WIRD GANZ ALLMÄHLICH UND MIT BEDACHT AUSGEARBEITET.
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... und damit fing eine ganze Menge an ... Let's start!
I remember: Buddy Holly
Ritchie Valens
Es fing einfach so an: Wieder einmal war die Pause unserer angeordneten Studierzeit vorbei und wir mußten am späten Nachmittag dorthin gehen, wo es weiterhin zu lernen und Hausaufgaben zu erledigen galt. Für uns war das der alte, schmucklose Zeichensaal der Oberrealschule Hohenschwangau. Ein Mitschüler hatte auf diesem Weg noch sein kleines Kofferradio an: AFN. Und dann kam es, dann kam er -- Ritchie Valens mit seinem Song "La Bamba". Ich war weg, so als habe eine neue, eine andere Welt begonnen. Und sie hatte begonnen! Für mich jedenfalls. Später hörte ich von ihm dann noch das Lied Donna ("I had a girl, Donna was her name.") und fand mich erneut wie in einer anderen Welt. Als ich wenige Tage später erfuhr, daß "La Bamba" und "Donna" zusammen auf einer Single zu haben waren, war der allererste Kauf einer Schallplatte beschlossene Sache. So viel Glück auf einer Scheibe! Ja, so habe ich es damals empfunden, die Single habe ich heute noch (bestens erhalten!) und sie gefällt mir (immer noch fast so gut) wie damals. (Für mich mit einem seinerzeit extrem karg bemessenen Taschengeld war der Kauf einer Single schon eine große Schwierigkeit, das können sich die meisten heute gar nicht mehr vorstellen ...)
Ritchie Valens hieß eigentlich Richard Steven Valenzuela und wurde am 13. Mai 1941 in Pacoima, L.A. geboren. (Fast schon legendär kann man sein Live-Konzert an der Pacoima Junior Highschool bezeichnen, welches auf Schallplatte gepresst wurde, leider in sehr schlechter Aufnahmequalität.). Er stammte aus sehr armen Verhältnissen und verdiente das Geld für den Familienunterhalt zusammen mit seiner Mutter zunächst als Erntehelfer.
Seine Musikkarriere begann bereits in sehr jungen Jahren. Anfang des Jahres 1959, Ritchie erst 17 Jahre alt und schon so erfolgreich, ging er zusammen mit Buddy Holly und Jiles Perry Richardson ("The Big Bopper") auf Tournee. Die Tour ("Winter Dance Party") fand besonders auf Druck der Schallplattenfirma statt, vor allem Buddy Holly sollte (und wollte?) seine neuen Songs promoten. Die Witterungsbedingungen waren ungünstig, es war sehr kalt und in dem alten Tourbus fiel immer wieder auch die Heizung aus. Vor seinem letzten Konzert erkältete sich Ritchie Valens stark. Buddy Holly waren die Fahrten mit dem unbequemen Bus längst lästig und extrem unangenehm geworden, sodaß er ein Kleinflugzeug -- eine zwölf Jahre alte Beechcraft Bonanza -- charterte, um zum nächsten Auftrittsort (Moorhead) zu gelangen. Als Fluggäste waren vorgesehen: Buddy Holly, The Big Bopper und Buddy Hollys Gitarrist (von The Crickets) Tommy Allsup. Wegen der Erkältung bat R. Valens Allsup, ihm den Platz im Flugzeug zu überlassen, obwohl Valens an Flugangst litt. Allsup wollte zuerst nicht, erklärte sich dann jedoch dazu bereit, einen Münzwurf entscheiden zu lassen. Ritchie Valens gewann ihn... (Übrigens hatte auch Dion di Mucci -- zunächst bekannt unter Dion & The Belmonts, "A Teenager In Love" u.a. -- zunächst einen Platz in jenem Flugzeug erhalten, jedoch darauf verzichtet.)
Sofort nach dem Konzert im "Surf Ballroom" in Clear Lake, Iowa, gingen die 3 Künstler zum Flugzeug, der Start erfolgte trotz widriger Witterung sogleich. Das Flugzeug stürzte jedoch aufgrund eines Schneesturms kurz nach dem Start in der Nähe von Mason City ab. (Als weitere Unfallursache vermutete man auch einen Instrumentenablesefehler des Piloten.) Alle drei Sänger sowie der Pilot Roger Peterson waren sofort tot. Es war der 3. Februar 1959. "The day the music died." (Don Mc Lean) Die Meldung über das tragische Unglück wurde sofort landesweit in fast allen Rundfunksendern verbreitet.
Ritchie Valens schaffte es hervorragend mit seiner Musik, die Herzen und Gefühle zumindest der jüngeren Menschen zu treffen. Das sehr erfolgreiche Lied "Donna" hatte er übrigens für seine Highschool-Liebe Donna Ludwig geschrieben (angeblich wollte er sie auch heiraten). Der andere Hit dieser Single, "La Bamba", ein rhythmisch-rockiger Song in dem es um einen Tanz geht, war und blieb übrigens sein einziger auf Spanisch gesungener. Weitere die Gefühle sicherlich vieler ansprechende gut gemachte Lieder waren / sind unter anderem: "Come On, Let's Go", "Stay Beside Me", "We Belong Together", "Oh My Head", "That's My Little Suzie", "Hurry Up", "Framed", "My Darling Is Gone", "Little Girl" und "In A Turkish Town" (Wie er wohl in seinen sehr jungen Jahren im doch extrem entfernten Amerika gerade auf ein Mädchen, das in der Türkei auf ihn wartet und seine große Liebe ist, gekommen ist?). Oder weshalb er sich von den "Bluebirds Over The Mountains" erhofft, daß sie ihm seine verlorene Liebe wieder zurückbringen? Klar natürlich das Mädel in "Hi-Tone", von allen so genannt, weil sie stets elegant gekleidet in der Schule ist, die Nase angeblich hoch trägt ("Sweet sixteen, doesn't wear jeans, walks around the campus like a high school queen"), aber er weiß es besser, sie ist nicht so ... ("But when I'm the only one around, she lets her hair down, she's just-a boppin' baby and a crazy little clown, she may be shy with the other guy, but when she's with me: Oh, my!") Und wer hatte nicht schon häufiger die Gefühle, die Valens in seinem "Hurry Up" beschreibt?! Natürlich heißt es in diesem Zusammenhang zu bedenken: es gibt gewiß Situationen, wo man sich besser beeilt, aber -- hoffentlich -- viele, viele mehr, in denen man es klugerweise eher langsam angehen läßt ...
[Das kurze Leben von Ritchie Valens wurde übrigens m.E. recht gekonnt und zutreffend verfilmt ("La Bamba")].
Was wäre die Zeit im Internat damals ohne den AFN gewesen?! Jedenfalls sicherlich schwerer zu ertragen (trotz der vielen Sportmöglichkeiten und einer doch von den meisten Lehrern praktizierten relativen liberalen Umgehensweise mit uns). AFN -- das war für uns, ja, wohl auch Zugang zum wirklichen Leben bzw. zu dem, was viele von uns dafür hielten. Wir schickten dorthin auch immer Grußwünsche, die in schöner Regelmäßigkeit von den dortigen Diskjockeys (das waren noch Könner, ganz im Gegensatz zu den heutigen auf mich eher wie Marionetten wirkenden Klugschwätzern mit ihrer Künstlichkeit und abgehenden Natürlichkeit -- diese Belehrungsakrobaten, Weiblichkeit natürlich eingeschlossen!) erfüllt worden. Schön auch zu hören, wie jene sich mit unseren Spitznamen abzumühen pflegten -- auch eine Musik in unseren Ohren. Nochmals, und ich kann es gar nicht oft genug betonen: ohne AFN wäre es für uns junge Leute bestimmt schwerer gewesen, nicht nur im Internat.
Damals gab es hierzulande für junge Leute kein brauchbares musikalisches Angebot. Auch war es nicht so einfach, Zugang zu vielen der großartigen Schallplatten mit amerikanischen Hits zu bekommen. Freilich, eine kleine Auswahl an Interpreten gab es schon in den Geschäften, zumeist Elektrogeschäfte mit einer kleinen Schallplattenecke: Elvis Presley, Pat Boone, Bill Haley & The Comets, natürlich den Billy Vaughn mit seinem Orchester, auch Fats Domino, bisweilen Jerry Lee Lewis und Wanda Jackson, Connie Francis, u.a. Aber alle anderen "Größen" waren hierzulande rar, es entwickelte sich erst so langsam mit dem Vertrieb von den von uns so begehrten "Vorbildern" (was sie ja zumindest in Teilen auch waren, zumal sie uns suggerierten, daß man sich von dem üblichen Mief befreien könne ...). Ich weiß noch gut, als ich bei einem Vertreter einer damals noch sehr unbekannten Firma (Ariola, später dann hat sich das unter anderem Namen zu einem Weltkonzern gemausert) einmal (zufällig) TOP RANK Singles anschauen durfte und da war er dann: Freddy Cannon, ein Sänger der neue Maßstäbe setzte.
Gut, nochmals: AFN, wir lernten sie alle kennen, auch Buddy Holly, Ritchie Valens, ach, sinnlos hier mit Aufzählungen fortzufahren, es würde zu keinem Ende führen. Auch all die weitreichenden Angebote an Country Music! Wie gerne erinnere ich mich da an den AFN. Man muß sich nur mal erinneren, was die bundesdeutschen Sender den Jugendlichen damals so geboten haben: genaugenommen nämlich NICHTS überhaupt nichts.
Wie schockierend dann die Meldungen vom Februar 1959: Am 3. Februar 1959 starben bei dem Absturz eines Kleinflugzeuges im Schneegestöber bei Mason City (Iowa) Buddy Holly, Ritchie Valens und J.P. Richardson (ein einziger bekannter Song: Chantilly Lace). Buddy Holly sollte nun nicht mehr sein? Ritchie Valens auch nicht mehr...? Ich wollte und konnte das kaum glauben. Das Gefühl, zu leiden wegen Menschen, die man persönlich gar nicht kennt, nie kennengelernt hat? Ja, weil sie mit ihrer Musik einem mehr gegeben haben als so mancher oder manche, die einem fast schon unmittelbar auf den Füßten trampelt(e). Don Mc Lean hat viel, viel später Buddy Holly mit seinem "American Pie" ein weiteres Denkmal gesetzt und schrieb auf den Todestag Hollys bezogen u.a. "The day the music died." Als ich viele Jahre später mal wieder in England verweilte, schaute ich abends mir wieder mal eine Folge von "The Eastenders" an. Darin wurde ein Mann, der eine Neuigkeit noch nicht kannte, vorwurfsvoll gefragt: "Haven't your read the newspaper?!" Dessen lapidare Antwort: "I stopped reading the newspaper the day Buddy Holly died." Übrigens war / ist Buddy Holly in England noch populärer als seiner Heimat.
Der Texaner (aus Lubbock) setzte einfach Maßstäbe in der Musikwelt, die ihresgleichen suchen. Wie schrieb Bob Dylan in seiner Nobelpreisrede denn? Er schrieb, für ihn hätte mit Buddy Holly alles erst begonnen. In Dylans Worten: "If I was to go back to the dawning of it all, I guess I'd have to start with Buddy Holly. Buddy died when I was about eighteen and he was twenty-two. From the moment I first heard him, I felt akin. I felt relative, like he was an older brother. I even thought I resembled him. Buddy played the music that I loved -- the music I grew up upon: country and western, rock 'n' roll, and rhythm and blues. Three separate strands of music that he intertwined and infused into one genre. One brand. And Buddy wrote songs -- songs that had beautiful melodies and imaginative verses. And he sang great -- sang in more than a few voices. He was the archetype. Everything I wasn't and wanted to be. (...) He was powerful and electrifying and had a commanding presence. He was mesmerizing. (...) Something about him seemed permanent, and he filled me with conviction." (Bob Dylan, The Nobel Lecture, 2. Auflage 2018, Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, S.6ff.) Dem vermag ich nichts hinzuzufügen, es sagt einfach bereits alles ... Buddy Holly war einzigartig, schuf neue Maßstäbe in der Musik und verstand es, Herz und Gemüt anzusprechen und auszudrücken.
Buddy Holly (Charles Hardin Holley) wurde am 7. September 1936 in Lubbock, Texas, geboren; er starb am 3. Februar 1959 bei Mason City, Iowa, durch einen Flugzeugabsturz.
Buddy Hollys Musik hatte für mich bereits während meiner Gymnasialzeit eine sehr große Bedeutung. Immer wenn es auch nur irgendwie möglich war, versuchte ich seine Lieder nachzusingen (freilich in der Qualität meilenweit entfernt vom Original). Oft machten wir das zusammen, meistens mit einem oder zwei weiteren Klassenkameraden in Donauwörth und vor allem am Heimatort mit "Frank Cookfield" (so nannte er sich, sein richtiger Name lautete anders, eher sehr bürgerlich, also Rudolf H., aber er wollte sich unbedingt ein "amerikanisches Image" verschaffen. Jedenfalls machte es viel Spaß all die Lieder zu singen. (Natürlich sangen wir nicht nur Buddy Holly, sondern alles, was der Popmarkt so offerierte, solange uns die Musik eben zusagte.)
Warum mir gerade Buddy Holly so ganz besonders gefiel? Es war die Frische, mit der er seine Lieder sang, es war die Instrumentalisierung, mit der er sie (meistens zusammen mit The Crickets, seiner Band) präsentierte und vor allem waren es auch die Texte, mit denen er fast alles "abdeckte", was meine jugendliche Psyche und Entwicklung erfaßte, so erfreute bzw. oft auch belastete. Liebe, Sehnsucht, Zusammenfinden, Trennung, Unbeschwertheit, Belastungen, u.a.m.: einfach (na ja, so einfach war es dann doch meistens nicht ...) die nahe und weitere Umwelt in seinen Worten erklärt, sie mit ihnen gespiegelt, sie gezeichnet -- und das mit wundervollen Klängen umwoben. Ein Tanz zwischen Realität und Traumwelt. Ja, auch ein Stück Geborgenheit. Er konnte uns sicherlich auch ein Stück "Nähe" vermitteln, obwohl er so weit weg war, obwohl wir ihn nie live erleben konnten. Buddy Holly war für uns einfach "da", war für uns sowohl Spiegel als auch eine Art von "Ratgeber" und dies nicht nur in "Liebesdingen" und "Sehnsuchtsbewältigung". Wenn man seine Lieder hörte, spürte man darin: Ehrlichkeit. Keine irgendwie geartete Kunstgebilde von Beziehungskonstruktionen, sondern greifbare Wirklichkeit -- im Guten wie im weniger Guten oder gar im Schlechten. Seine Lieder waren sehr oft "Bestätigung", daß man irgendwie (oder ganz konkret) auf dem "richtigen Weg" war. Sie waren aber auch eine Art Fingerzeig, wie es gehen, wie es laufen könnte, gaben in gewisser Weise "Richtung" vor. Natürlich lenkten sie häufig ab von dem, was man eher als schwer oder gar nicht zu ertragen empfand. Wer hier nun herauslesen zu müssen glaubt, Buddy Holly war der dogmatische Ort von Fremdbestimmung, mir, uns, also die Fähigkeit zu autonomen Handeln oder auch nur das Bemühen dazu absprechen möchte, der ist sprichwörtlich auf dem Holzweg (weshalb eigentlich dieses Sprachbild, was können jene Wege denn dafür, wenn jemand ignorant oder gar dumm bleibt? Im Gegenteil, jene Wege führen sehr oft in Gegenden, wo man freier als in der Alltäglichkeit üblichen Geschehens sein kann ...) oder / und hat überhaupt nichts verstanden. Buddy Holly (und seine Crickets) waren Wegbegleiter, allerdings welche ohne Leine und direkte Bestimmungsmacht. Anders eben als jene, die stets versuchten, uns zu zeigen, wo es langzugehen hat, sei es Eltern oder andere Erzieher, also anders als jene, die von Jugend eher wenig oder -- in nicht seltenen Fällen --- nichts verstanden oder nichts verstehen wollten / konnten. Was die Musik Buddy Hollys angeht, möchte ich mit dem Dichterwort antworten: Und fühlt ihr's nicht, ihr könnt' es nicht erjagen. Und heute? Er gefällt mir immer noch, er ist immer noch irgendwie anwesend, hilft auch immer noch (unter vielem anderen) beim Beschreiben und Erklären von Gefühlen, dies Gott sei Dank frei von den längst überall krebsgeschwürhaft grassierenden Versuchen bedeutungsschwangerer Seins-Erklärungen von Fachleuten oder jenen, die sich dafür halten, die zumeist seichten Popakrobaten der Gegenwart eingeschlossen. Fangen wir einfach einmal erst beim Naheliegenden und immer noch Wichtigsten an: bei der Liebe und all den damit zusammenhängenden Erscheinungen. Buddy Holly hat das mit einfachen, schönen Worten erklären, beschreiben können, was so manche "Professionelle" heute nicht einmal in Ansätzen deuten können, wahrscheinlich weil sie, überwiegend in ihrem Buchwissen gefangen, zu wenig Ahnung haben von alledem, was einfach "pulst" ... In diesem Sinn gestatte ich es mir, sein "It doesn't matter anymore" (nach dem tragischen Tod eher negativ rezipiert) umzuformen: natürlich spielt es noch eine Rolle, IT DOES MATTER!
Seine Beisetzung in Lubbock fand vier Tage nach dem Unglück statt. Buddys Song "It Doesn't Matter Anymore" erreichte am 24. April 1959 den ersten Platz der britischen Charts und blieb drei Wochen in dieser Spitzenposition. In die Rock and Roll Hall of Fame wurde Buddy Holly dann posthum 1986 aufgenommen.
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Hier noch eine kleine Ergänzung, wie Dinge manchmal halt so laufen ...
Die "Winter Dance Party" Tournee wurde nach dem tragischen Unglück nicht beendet, sondern fortgesetzt. Stars waren weiterhin vor allem Jimmy Clanton ("Venus In Bluejeans") und Frankie Avalon ("Venus") sowie Dion. Die Veranstalter suchten jedoch zusätzlich unverzüglich einen "Ersatz" für Buddy Hollys vorgesehenen Auftritt in Moorhead. Sie wurden fündig: Bobby Vee (eigentlich Robert Thomas Velline, geboren am 30. April 1943 in Fargo, North Dakota, gestorben am 24. Oktober 2016 in Rogers, Hennepin County, Minnesota; er starb an den Folgen seiner Alzheimer Krankheit) und seine eher hastig zusammengestellte Band "The Shadows" (alle Schüler aus Fargo) empfahlen sich für diese herausfordernde Aufgabe. Sie hatten schon vorher einige lokale Auftritte gehabt, sich in ihrer Musik stark an Buddy Hollys Stil angelehnt.
Der Auftritt in Moorhead war der Beginn von Bobby Vees Karriere ... Der Auftritt von Bobby Vee und The Shadows kam beim Publikum sehr gut an. Vee, Sänger der amerikanischen "The Shadows" (nicht zu verwechseln mit den britischen "The Shadows", zugleich Begleitband von Cliff Richard!), die sich dann in "The Strangers" umbenannten (u.a. um keine Probleme mit der englischen Band zu bekommen) ging danach auf Tournee, dies schon einigermaßen erfolgreich, und als Bobby Vees erste sehr gute Single ("Suzie Baby") auf einer kleinen Plattenfirma (Soma) erschienen war, wurde die Plattenfirma Liberty Records hellhörig und kaufte Vee aus seinem bestehenden Vertrag heraus. Der eigentliche Durchbruch gelang Bobby Vee dann 1960 mit seinem Lied "Devil Or Angel". Es folgten anschließend zahlreiche andere Hits, mir hat beispielsweise sein "Take Good Care Of My Baby" sehr gut gefallen, wenngleich ich die Kernaussage in jenem Text schon als sehr unwahrscheinlich ansah, insofern man sich an der Wirklichkeit menschlichen Verhaltens (sieht man von extremen Ausnahmen einmal ab) orientiert ... Ein schönes Liebeslied von ihm: "More Than I Can Say", sicherlich sehr zutreffend, was er in seinem "The Night Has A Thousand Eyes" besang, geradezu erfrischend sein "Rubber Ball" und hörenswert sicherlich auch sein "Come Back When You Grow Up", um nur einige seiner Erfolge zu nennen.
Man kann es schon so sagen: Mit Buddy Hollys Tod begann die großartige Karriere von Bobby Vee. Er selbst war sich dessen auch immer bewußt geblieben. Er betonte immer wieder Buddys Einfluß auf ihn, sprach häufig von den damaligen Umständen, auch davon, daß er eigentlich sich wahnsinnig gefreut hatte, Buddy Holly im Konzert in Moorhead live zu erleben und wie dann tragischerweise alles anders kam. Er war sich darüber klar, daß er letztlich auch Nutznießer jenes Unglücks war. Im Jahr 1963 veröffentlichte Bobby Vee ein Tributalbum auf Liberty Records: "I Remember Buddy Holly" (meines Erachtens sehr gut gelungen!). Regelmäßig gab Vee bei der Winter Dance Party Erinnerungskonzerte (memorial concerts), wobei ihn seine drei Söhne, alles auch Musiker, unterstützten.
Vielleicht noch ein interessantes Detail um Bobby Vee: Früh in seiner Karriere tourte für kurze Zeit ein junger Musiker, der sich Elston Gunn nannte, mit der Band. Jener Elston Gunn hieß eigentlich Robert Zimmermann und wurde später als Bob Dylan weltbekannt ... Dylan erwähnt Bobby Vee in seiner Autobiographie, verweist mit Komplimenten auf Vee, sowohl was ihre persönliche als auch musikalische Freundschaft angeht. Bei einem Konzert am 10. Juli 2013 im Midway Stadium in St. Paul, Minnesota, sagte Bob Dylan, er wäre schon mit vielen Stars auf der Bühne gewesen, aber keiner von ihnen war für ihn so bedeutungsvoll wie Bobby Vee. Vee war damals im Publikum und Bob Dylan spielte emotionsgeladen Vees Hit "Suzie Baby". In einer Videoaufnahme jenes Konzerts kann man diese Huldigung Dylans hören: "Thank you everyone, thank you friends. I lived here a while back, and since that time, I've played all over the world, with all kinds of people. And everybody from Mick Jagger to Madonna. And everybody in there in between. I've been on the stage with most of those people. But the most beautiful person I've ever been on the stage with, was a man who is here tonight, who used to sing a song called "Suzie Baby". I want to say that Bobby Vee is actually here tonight. Maybe you can show your appreciation with just a round of applause. So, we're gonna try to do this song, like I've done it with him before once or twice." Dylan erinnert sich hinsichtlich Vee "[He] had a metallic, edgy tone to his voice and it was as musical as a silver bell". Inwieweit man jedoch angesichts Dylans Extraklasse (vor allem was Musik und Poetik angeht) Vees Replik, daß der Musiker, den er als Gunn kannte und mit einem "[He] played pretty good in the key of C" bedachte, als besonderes Lob empfinden sollte, mag jeder für sich beurteilen.
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I remember Elvis Presley
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wenn ich an dieser Stelle über den am 8. Januar 1935 in Tupelo, Mississippi geborenen Elvis Presley noch weiter mich in Details verlieren würde. Sein rasanter Aufstieg, seine schnelle Berühmtheit, sein riesiger Erfolg und der Einfluß dieser Musik auf weitere gesellschaftliche Entwicklungen sind bekannt. Wie leider auch die Tatsache, daß ein noch so großer Erfolg keine Garantie für ein in der Gesamtschau "glückliches Leben" ist. Auch dafür steht Elvis Presley mit seinem doch eher tragischen Dasein in seinen späteren Jahren. Vielfach wird behauptet, er sei mit dem Erfolg und der plötzlichen Beliebtheit nicht zurecht gekommen. Das vermag ich für seine Anfangsjahre nicht so zu sehen, für seine späteren jedoch sehr wohl. (Ricky Nelson hat die Problematik von der "Beliebtheit" von Pop-Stars, von den zwei Seiten dieser Medaille, in seinem Lied "Teenage Idol" einmal recht klar aufgezeigt.)
Fakt bleibt -- wie immer man zu Elvis Presley stand und stehen mag --, er hat großen Anteil an neuer Bewegung innerhalb der Jugend, damit auch innerhalb des Zusammenlebens in Gesellschaften.
Daß die von einigen einschlägigen Avantgardisten gesetzten Trends, dann besonders auch von Elvis übernommen und "vervollkommnet", also die daraus abgeleiteten Perspektiven in der Folge von Marktmächten funktionalisiert und aufgegriffen wurden, gehorcht(e) dem charakteristischen Merkmal kapitalistischer Mehrwertstrategie. [Das Aufgreifen von für die Märkte erfolgversprechender Trends (meistens durch Entdeckung und Erkundigung in scouthafter Manier bei Subkulturen, Peergroups, etc., eingeleitet) war, ist und bleibt schon jeher dem Ziel,entsprechend kapitalistisch orientierter Gewinnmaximierung verpflichtet.] Eine Folge war natürlich dann die den Marktmechanismen gehorchende Umsetzung der sich aus der sozialen Bewegung ergebenden Möglichkeiten zu einem weiteren "Big Business". Wer jedoch hier ausschließlich den Blickwinkel auf dieses kapitalistische Phänomen richtet, geht am Gesamtkontext der Wirkung von Elvis und Co sicherlich vorbei. Alle damit verbundenen Geschäftsmodelle und -strategien (bis hin zu Ausbeutung der Künstler, Ausnützen derer teilweise vorhandenen Naivität bzw. Gutgläubigkeit, hierzu gehören auch bekanntgewordene Bestechungsversuche beim Ankurbeln des Plattenumsatzes, u.a.m.) können den wesentlichen Kern nicht verdecken: es war von Anfang an eine fast schon revolutionär anmutende neue Bewegung innerhalb bestimmter sozialer Schichten (sofern man auch heute noch an dem damals gebräulichen gesellschaftlichen Schichtenbegriff festhalten möchte, zumindest während der Entstehungsphase hatte das alles zumindest einen subkulturellen Charakter). Jene von Elvis Presley und anderen Träger dieser Rock 'n' Roll ausgeübten Einflüsse waren maßgeblich, wenn nicht gar ausschließlich verantwortlich: für eine radikale Veränderung des Pulses jener Zeit. Daß diese Einflüsse auch heute fortwirken, ist leicht aufzeigbar. Daß diese Entwicklung, jene Bewegung den etablierten Kreisen, den in ihrer Bürgerlichkeit satt eingerichteten Leuten, denjenigen, die jegliche Veränderung als Bedrohung, als Aufruhr, gar als Systemgefährdung verstanden, nicht gefallen hat, ist bekannt. Entsprechend war dann auch die Einordnung und Kategorisierung jener Künstler und all derer, die mit ihnen "gemeinsame Sache" machten. Bezeichnend war auch das von Kritikern, von Gegnern oder gar von Feinden (die gab es tatsächlich zahlreich!) gegenüber den Rock 'n' Roll Größen verwendete Vokabular. Daß Elvis (und seine Fans) vielfach als "Verbrecher" bezeichnet wurde, hatte gewiß kaum etwas mit dem Inhalt seines Films "Jailhouse Rock" und einer eventuell daraus abzuleitenden Assoziation zu tun, sondern vielmehr damit, daß die große Mehrzahl der Etablierten die Welt als eine aus den Fugen zu geratende fürchteten. Jene fanden durchaus mit Begriffen wie "Verbrecher", "Zuchthäusler", "Lump", "Erzlump", "Zigeuner", mit Phrasen wie "Die stehlen dem lieben Herrgott den Tag!" und pseudoprophetischer Bösartigkeit wie "Du wirst noch mal im Zuchthaus landen!", und anderen haßerfüllten Schimpftiraden sowie Diffamierungen den aus ihrer Sicht sprachlich angemessenen Ausdruck dafür, daß wohl nun endgültig das Böse, das Höllische, die Verdammnis auf diese Erde gekommen sei. Natürlich war die Musik für jene dann nichts anderes als "Negermusik" (was die mehrfache sicherlich auch unzulänglich präformierte Persönlichkeitsqualität der Tobenden und Tosenden eigentlich hinreichend deutlich machte ...). Natürlich würde man es als Anhänger jener "Dschungelmusik" weder zu ordentlichen Schulabschlüssen noch zu einer ordentlichen Berufsausbildung schaffen. Wie überhaupt "Ordnung" ein Kristallisationspunkt der -- ich sage es einmal so -- außer geistigen Rand und Band geratenen "Alten" geworden war, jene Ordnung des Althergebrachten, die man sich nicht durch "Teufelswerk" zunichte machen lassen wollte. "Ordnung"! Welche denn? Natürlich die derjenigen, welche ihren Hoheitsanspruch in Sachen Definition geltend machten. Daß deren Ordnung sich nicht gerade immer recht positiv, was das soziale und menschliche Miteinander betrifft, ausgewirkt hat, zeigen kritische Blicke in Geschichtsverläufe ... [Vielleicht ist es ja auch diese teilweise unsägliche Vergangenheit, von Kriegen und Aufruhr durchzogen, die bei den angesichts von Rock 'n' Roll und dessen Protagonisten Empörten, bei jenen "Außer-sich-geraten-Seienden", jegliches Verständnis für Kritik, für notwendige Veränderungen und vor allem auch für Entwicklungssehnsüchte Jugendlicher verhindert hat?! Vielleicht war es ja auch so, daß jene, denen Unterordnung, Subalternität, Gleichförmigkeit, Kritikunfähigkeit und andere sie in ihrem Aufwachsen hemmende bzw. eingrenzende Erscheinungsformen als Selbstverständlichkeit, als das "Normale" (statistisch gesehen waren diese Handicaps freilich "normal", eben weil die große Masse diesen Verhaltensweisen sich unterwarf!) erschien, als etwas, das es zu "bewahren" galt, und sie deshalb gegen alles, was auch nur in irgendeiner Form als "neu", das Althergebrachtes gefährdend erschien, eine große Skepsis bis hin zu aggressiver Ablehnung zeigten.] Entsprechend war für so viele Elvis Presley "des Teufels", seine Musik nichts als "Teufelswerk" ... Dabei war er sicherlich sowohl für die Weltgeschichte als auch für soziale Entwicklungen viel, viel harmloser und ungefährlicher als das, was viele seine aggressiven Kritiker (und deren Mitläufer!) uns und der Welt als Erbe hinterlassen hatten ...
[Wie antiquiert, wie selbstherrlich, ja, auch wie dogmatisch, vor allem auch: wie blöde!, wenn ein Prediger nach einem der früheren Auftritte Buddy Hollys, auch einer der Avangarde des Rock 'n' Roll, im heimischen Lubbock, Texas, von der Kanzel giftete, Buddy Holly sei -- sprichwörtlich gesehen -- der Teufel in Menschengestalt gewesen, einer, der die Jugend verführe, obszön und sittenlos sich gebärde und das alles sei "as unamerican as can be", dieser Sündenpfuhl gehöre ausgemerzt. Wer nun noch weiß, wie Buddy Holly aufgetreten ist, wie das äußere Erscheinungsbild war -- nämlich eher sehr bieder, mit Fliege oder mit Krawatte ... --, wer dann noch seine Texte kennt, der könnte ob des Predigers Sichtweise schon mal auf den Gedanken kommen, ob nicht jener selbst vom sprichwörtlichen Teufel besessen war ... Natürlich müßte man bei einem derartigen Schluß erst einmal selbst an die Existenz eines Teufels glauben und welcher aufgeklärte Mensch tut das schon ... Da ist es aus meiner Sicht schon ein riesiger Fortschritt, daß immer weniger Menschen auf derartigen "Kanzelgesang" hören! ]
Elvis Presley war ein begnadeter Sänger, sehr vielseitig in seinen Ausdrucksmöglichkeiten. Er konnte knallharten Rock singen, er beherrschte eine ganze Bandbreite, was Vortrag und Gesang anging, bis hin zu den gefühlvollsten Balladen. Seine Stimmvolumen erstreckte sich über drei Oktaven, sein Gesangsstil war sicherlich innovativ und emotionsgeladen, sodaß es nicht verwundert, daß Elvis in vielen Musikfeldern wie z.B. Gospel, Country, Bluegrass, Blues, traditionellem Pop und Rock sehr erfolgreich war.
Aber selbst das wurde von den massiven Gegnern (und Gegnerinnen!) nicht gesehen, nicht wahrgenommen, und falls doch: nicht zugestanden. Als er beispielsweise zu späterer Zeit seine Versionen von O Sole Mio, 1898 von dem Neapolitaner Eduardo die Capua komponiert, ("It's Now Or Never"), G'schichten aus dem Wienerwald (Tonight's All Right For Love"), vom deutschen Volkslied Muß I denn zum Städtele hinaus ("Wooden Heart"), von der neapolitanischen Ballade Torna a Surriento, geschrieben 1902 von Giambattista und Ernesto de Curtis, ("Surrender") u.a.m. auf eine herausragende Weise vortrug, da war diese Abkehr von den harten Rock-Songs vielen seiner Kritiker auch wieder nicht recht. Nicht selten konnte man aus deren Schimpfkehlen vernehmen, der Elvis "verhunze Kulturgut" (wobei nicht selten deutlich wurde, daß jene Steinewerfer / Steinewerferinnen mit dem Begriff "Kultur" nicht immer gerade auf geistiger Höhe standen ...), besonders "schlimm" war es dann auch noch, daß er es gewagt hatte, ein Lied, das "man" von Mario Lanza kannte (hier: O Sole Mio), zu "versauen". Nicht erfunden! Originaltöne aus jener Zeit der "kreativen" Schaffensphase ehedem sehr Folgsamer und Unterordnungsexperten / -expertinnen ...
Nein, Elvis war einfach sehr gut, er war sicherlich auch irgendwie "einmalig", war einer der bedeutendsten Trendsetter, behandelte (wohl muß man sagen: endlich!) auch Themen, die besonders für Jugendliche essentiell waren und bis dato eher nicht deutlich -- wenn überhaupt -- angesprochen wurden, die einfach Tabu waren, bis hin zu: "Pfui!" -- nämlich Liebe, Sex, Sehnsucht, Lust. Natürlich war es gefundenes Fressen für die Empörungsmaschinerie, wenn er davon sang, daß er mit ihr eine Nacht verbringen wolle ("One Night"), daß die Nacht für die Liebe wie gemacht wäre ("Tonight's All Right For Love"), daß er von einer wirklich süßen "Honigbiene" gestochen wurde -- und sie wohl auch von ihm ... ("I Got Stung"), daß er heute Nacht ihre Liebe unbedingt benötige ("I Need Your Love Tonight"), und, und, und. Auf der anderen Seite standen jedoch all jene, die derartige Gefühle und zumindest einige solcher Sehnsüchte kannten und sich auch zu ihnen bekennen, sie zugeben, wollten. Kurz: Prüderie gegen Natürlichkeit, gesundes Leben. Auch dafür stand Elvis, wenn er leider für das eigene Leben zumindest in seinen späteren Jahren ein "gesundes Leben" nicht zu gestalten vermochte; auch die Natürlichkeit sowie Spontaneität blieben da immer mehr auf der Strecke ...
Aus heutiger Sicht geradezu lächerlich (und das hätte es eigentlich auch damals bei ehrlicherem Blick auf die Realität schon sein müssen ...), wie man hysterisch über Presleys Bühnenauftritte herfiel! Es ist bekannt, daß die Musikrichtung Rock 'n' Roll von Elvis nicht einmal "erfunden" worden ist (was er übrigens immer wieder selbst eingeräumt hat!), daß sie vor ihm schon längere Zeit in unterschiedlichen Ausprägungen aufzuweisen ist, aber daß er in und mit dieser Musikrichtung eine völlig neuartige Präsenz zeigte, dies vor allem auch in seinen Bühnenauftritten. Seine Performance war (zumindest aus damaliger konservativer Sicht!) "ungehemmt", er setzte in seinen Bewegungen den ganzen Körper, somit auch seinen Unterkörper (deshalb auch die Bezeichnung "Elvis, the pelvis", Elvis, das Becken) ein, spielte expressiv mit dem Mikrophonständer (damals war es üblich, sich auf der Bühne eher statisch zu verhalten, eine Dynamik blieb ausschließlich dem instrumentellen und gesanglichen Arrangement vorbehalten). Seine Bühnenbewegungen erregten große Teile der Bevölkerung derart, daß man ihm exhibitionistische Verhaltensweisen vorwarf; er und seine Musik wurden für eine Menge von Dingen verantwortlich gemacht, die eigentlich ihre Ursachen -- sofern sie als Betrachtungsgegenstand überhaupt relevant anzusehen sind -- anderweitig zu verorten haben. Aber das scherte seine Kritiker nicht, sie sahen nur ihn und seine Musik als "das Übel" für gesellschaftliche Mißstände, abweichende Moral- und kulturelle Wertvorstellungen, Rassenvermischung (die spielte damals gerade in den USA, aber letztlich zumindest im Denken auch bei uns, eine große Rolle!), Jugendkriminalität sowie -- man höre und staune oder auch nicht ... -- Gottlosigkeit. (Vielleicht hatte man ja sehr große Verdrängungsleistungen erbracht um von der "Gottlosigkeit" in all den Kriegsgeschehnissen ablenken zu müssen, und da kam der "Rock 'n' Roll, besonders Elvis als dessen großartiger Vertreter, als "cuprit" gerade recht ...) Gerade wegen seines körperbetonten Auftretens wurden Live-Auftritte vom ihm im TV zensiert, bei einem Konzert in Florida (1956) wurde ihm verboten, seinen Unterkörper auch nur irgendwie zu bewegen -- dies unter Androhnung von Haftstrafe ... Das Konzert wurde von der Polizei streng kontrolliert und Elvis, wohl um die Lächerlichkeit der Maßnahmen und Auflagen zu unterstreichen, bewegte bei jenem Konzert nur seine Finger zum Rhythmus der Musik -- das jugendliche Publikum verstand diese Gestik sehr wohl, höchstwahrscheinlich auch die damit ausgedrückte Anspielung und johlte begeistert. Was Elvis Presley sicherlich noch besser als seinen Kollegen (und nicht gerade zahlreichen Kolleginnen -- z.B. Brenda Lee, Wanda Jackson, Annette) gelungen ist: er wurde Leitfigur jener Bewegung.
Elvis Presley (natürlich nicht er alleine) hat es geschafft, verschiedene Stilrichtungen zu fusionieren, vor allem die Musik der weißen und schwarzen Arbeiterklasse, damit auch einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Abschaffung der Rassentrennung geleistet (was ihm schließlich nur umso mehr den Widerwillen jener verschaffte, die an dieser Segregation weiter festhalten wollten -- man muß wissen: damals durften "weiße" und "schwarze" Künstler nicht gemeinsam auftreten, sie mußten, sofern sie überhaupt am selben Veranstaltungsort tätig werden durften, unterschiedliche Bühneneingänge benutzen, u.s.w.)
1956 und 1957 waren tatsächlich Jahre, in denen wesentlich eine Veränderung in mehrfacher Hinsicht angestoßen wurde: damals herrschende "soziale Selbstverständlichkeiten" galten für die aufkommende Bewegung nicht mehr als unhinterfragbar, nicht mehr als unveränderlich und vor allem nicht mehr als dogmatisches Fundament einer Gesellschaft. Und Elvis Presley hatte daran einen herausragenden Anteil. Die Jugend hatte jedoch auch schon früher aufbegehrt, war den Etablierten zu einem großen Problem geraten. So auch unter anderem in den 1940er Jahren. Damals waren die beiden Weltkriege mit ihren (psychischen) Auswirkungen eine wesentliche Ursache für Aufruhr, Krawall bis hin zu kriminellen Exzessen bei den Jugendlichen. Dies hat u.a. Jon Savage in seinem sehr gründlich recherchierten Buch "Teenage. The Creation of Youth 1875 - 1945", Chatto & Windus, London 2007) Auch damals wurden Musikeinflüsse als Ursache mit unerwünschten Wirkungen gesehen, so z.B. Auftritte von Frank Sinatra und Harry James. Jon Savage konstatiert, daß gerade heranwachsende Mädchen für die Öffentlichkeit ein großes Ärgernis waren: "What really shocked America, however, was the unrestrained behaviour of adolescent girls. (...) American pop music had changed since swing, but crowd behaviour hat become even more extreme." (a.a.O., S. 403) Und er schildert nicht nur für die USA sondern auch für England, wie sich diese "neuen" und "unerwünschten" Verhaltensweisen äußerten. Die Ursachenzuschreibung ist ebenso eindeutig: "Simultaneously exploited and condemned, America's adolescents had every right to feel misunderstood. They hadn't started the war, but they were being used as a litmus test for all America's social problems (...). Among the reasons of juvenile delinquency were a breakdown in family life; war psychosis, with its culture of violence; and all the youth media -- comic books, jukeboxes, movies, culture of violence and 'the style of boogie woogie which appeals to hep cats'." (ebd., S. 406) Auch wenn er verglichen mit Elvis und den anderen Rock 'n' Rollern eher extrem bieder und spießig wirkt, hat auch Frank Sinatra in der Übergangsphase von Krieg zu Frieden offensichtlich zur Aufruhr und Änderung moralischer Vorstellungen beigetragen und wurde dafür mitverantwortlich gemacht (auch wenn ich und sicherlich viele andere gerade jenen "craze" um diesen Mann und dessen Wirkung nicht so ganz nachzuvollziehen vermag ...). Jon Savage schildert Sinatras Auftritte und deren Wirkung: wenn die jungen Mädchen sich zunächst noch wie wild und ungezügelt aufführten (S.441ff.), Frankie-Boy geradezu hysterisch anhimmelten, ihm Rosen auf die Bühne warfen, war bereits ein Jahr später im Mai 1949 (Auftritt im Paramount) die Situation noch hemmungsloser: "This time they threw more than roses (...), they threw their panties and their brassieres."(Jon Savage, a.a.O., S.443) All diese Hysterien und Exzesse blieben natürlich nicht ohne Wirkung auf die amerikanische Öffentlichkeit des Establishments. Sie fürchtete um Anstand, Sitte, auch um rechtstreues Verhalten. Jon Savage: "Sensational articles about female delinquency amplified adult fears about a younger generation of fourteen- to eighteen-year-olds who, despite being the most affluent in American history, seemed to be running amok and adrift." (S.445)
Mit diesen Erinnerungen in den Gehirnwindungen ist es kaum erstaunlich, daß so mancher biedere Amerikaner, so manche sittsame Amerikanerin (mittlerweile in Teilen aus eigenem "unsittlichen" Verhalten in der eigenen Jugendzeit in die Erwachsenenwelt hineingewachsen) in Erinnerung daran, was jener (aus meiner Sicht total langweilige und unpoppige) Frank Sinatra bereits mit Augenspielchen und Fingerschnippen bei überwiegend steifer Körperhaltung und sittsamster Kleidung bei der "Jugend" bewirkt hatte, das blanke Entsetzen erfasste, wenn da plötzlich ein Elvis Presley, dazu noch in unziemlicher Kleidung und Ärger auslösender Frisur und mit "unerträglicher" rhythmischer Musik (Schlagwort der Zeternden dafür überwiegend: "Negermusik"; übrigens eine Begrifflichkeit, die sofort auch den ideologischen Kontext bloßlegt ...), mit seinen Hüften zu wackeln anfängt. Das konnte für die Empörten dann ja nur mehr der Untergang ihrer Welt voller (implizit oder gar explizit gerühmten) Werte sein (eine Welt, die, das sei nochmals betont, sich, was "Werte" angeht, auch durch Ausbeutung, Krieg, Rassentrennung und andere Abscheulichkeiten darzustellen hat, was man freilich eher tabuisiert hat, sozusagen ein geistiges No-Go ...), das mußte ja die Vorstufe zur Hölle sein, die greifbare Apokalypse ... Wer hier bei vielen Kritikerin und Empörungsakrobaten an die Rede von "Haltet-den-Dieb!" denkt, kommt zumindest einer Ursachenerklärung sehr nahe. So als hätte es auch den Sex in körperbejahender Spielart zuvor nie gegeben ... (Hierzu ruhig nochmals die Schilderung der Jahre vor Elvis Presley, die Kriegs- und Nachkriegszeit bei Jon Savage nachlesen!) Allerdings gilt das hier gesagte nicht nur für die USA oder Großbritannien! Wer sich hierzulande mit offenen Augen und Ohren sowie mit wachem Verstand zu bewegen pflegte, weiß wie z.B. in Deutschland der Rock 'n' Roll und seine Anhänger verteufelt und angegriffen wurden ...
Insofern sollten die Ereignisse ab ca. 1956, also die Entwicklung des alles Hergebrachte offensichtlich bedrohenden Rock 'n' Roll (so zumindest die vehementen Kritiker der Rock 'n' Roll Bewegung) unter ihrer für die breite Öffentlichkeit so wahrnehmbaren "Speerspitze" Elvis Presley, nicht so gänzlich unbekannt auf die Gesellschaft hereingebrochen sein (immer unterstellt, daß man überhaupt aus "Geschichte" zu lernen fähig und bereit war / ist)!
Warum dann aber doch jene Empörung, jene (gespielte?) Verwunderung ob dieses plötzlichen Einflusses einer Musikrichtung, kreisender und wackelnder Hüften und anderer körperlicher sowie geistiger als auch emotionaler Enthemmtheiten (über die man heute angesichtes dessen, was da so auf Bühnen und im "Business" abgeht,nur noch lachen könnte) und einiger Sprachfetzen, welche gegenüber heutigen Ausdrucksweisen eher kommunionkindhaft anmuten?
Die Antwort darauf ist wohl nicht eindeutig zu geben, aber natürlich dürften Furcht vor Veränderung, Ängste, Verdrängung eigener Schuld am Vergangenen (z.B. Unterstützung bzw. Beteiligung am Kriegsgeschehen) und natürlich Verklemmtheit sowie große Prüderie Krücken für das teilweise schon hysterische Verhalten der Kritiker und Kritikerinnen gewesen sein. Daß da auch noch eine erhebliche Portion von Scheinheiligkeit und "Haltet-den-Dieb-Attitüden" mitmischten, liegt auf der Hand. Damit stellt sich die weitere Frage: Waren diese von vielen als Auflehnung und Aufruhr, gar als Untergang des Abendlandes gesehenen Entwicklungen in der Folge des Aufstiegs von Elvis Presley nun "nur" so eine Art von Déjà Vu-Erlebnis oder hatte das alles gegenüber z.B. 1944-1945 doch eine neue, eine andere Qualität? Den zweiten Teil der Frage beantworte ich mit einem klaren: Ja. Ich finde, es war tatsächlich eine neue, eine andere Qualität! Was damals eher sich in delinquente Sphären ausuferte, sozusagen -- wenn man versucht, es neutral auszudrücken -- Auswüchse und Übergriffigkeiten als Folge von erlebter, erlittener Frustration, nicht zuletzt zumindest in großen Teilen auch ein "Weltkriegserbe" sowohl drüben (in den USA) als auch hüben in Großbritannien (vgl Jon Savage, a.a.O., S.411ff.), war ab den 1954er mehr: konkretes Aufbegehren gegen Althergebrachtes und vor allem gegen die daraus resultierenden Moralvorstellung mit dem Ziel einer Veränderung der vorherrschenden Verhältnisse. Eine Absage an ein "Weiter-so". Wunsch und Sehnsucht nach Anerkennung der tatsächlichen (zumindest von den Jugendlichen so gefühlten) Bedürfnisse und Lebenspläne. Kampf um gesellschaftliche Veränderung. [Es dürfte nicht zu weit gegriffen sein, festzustellen, hier wurde zumindest in rudimentären Ansichten das angestoßen, was später die 1968er-Bewegungen (inklusive jener, die das US-Engagement in Vietnam u.a.m. ablehnten) in politisch akzentuierterer Form vorgebracht haben. Das gilt nicht nur hinsichtlich sozialer und politischer Ausrichtung, sondern auch bezüglich moralischer Orientierung und "Befreiung von Zwängen", man denke dabei stellvertretend nur an jenes -- aus meiner Sicht gewiß blödsinnige! -- "Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment."]
Es nimmt nicht groß Wunder, wenn man erfährt, daß seinerzeit gerade Elvis Presley neben all den ihm verpaßten negativen Attributen eine tragische Funktion, eine offensichtlich nicht hinzunehmende hinsichtlich gewünschter Fortschreibung des Status quo zugeschrieben wurde. Ein Schuldspruch sozusagen. [Seine "Mitstreiter" waren hierzulande in aller Regel nicht so bekannt, sieht man einmal von Bill Haley & The Comets ab, die indirekt Wasser auf die etablierten Kritikermühlen lieferten, nicht zuletzt weil bei einem Auftritt im Berliner Sportpalast die Zuschauer das Mobiliar zerlegten -- was natürlich verurteilenswert ist, aber man sollte es sich mit der Ursachenzuschreibung da nicht allzu einfach machen!]
Dabei sah man Elvis nicht in seiner (möglichen persönlichen) Tragik, soviel Mitgefühl und Einfühlungsvermögen hätte man ihm ja nie und nimmer gegönnt. Tragisch war das -- immer aus Sicht der vorgeblich Integeren und Saubermänner der Nation natürlich nur für sie selbst, und damit für den Fortbestand einer Gesellschaft, die sich als sittlich gefestigt und vor allem auch als "sauber" verstand. Vor allem als eine, die aus jenem Selbstverständnis keiner Veränderung bedurfte, schon gar nicht eine in diese niveaulose, geradezu obszöne Richtung gehende.
Tragisch war Elvis Presley aber gewiß nicht für das Weltgeschehen, schon gar nicht für die weitere gesellschaftliche Entwicklung, eine (seinerzeit so viel beschworene) Gefahr war er auch nicht, tragisch war vielmehr das Schicksal, welches er selbst erlitt (manche sagen, auf Grund der Umstände im Musikgeschäft), vielleicht sogar als Konsequenz, mit dem Ruhm nicht richtig umgehen zu können, erleiden mußte. Er war sehr bald so eine Art "pawn in their game", ein Mensch, der vor allem, was die ihm aufgezwungenen Filmrollen (er selbst hätte lieber anspruchsvolle Rollen gespielt, mußte / hat sich aber den kapitalistisch orientierten Entscheidungen seines Managers (etc.) unterordnen / untergeordnet. Es ist längst müßig, was Elvis angeht, hier die Frage nach der Freiheit der Wahl versus Sachzwang zu stellen. (Ansonsten sollte man sich persönlich -- für das eigene Leben -- dieser Aufgabe sicherlich nicht entziehen!!!) Aber seinen Lebensweg möchte ich um ein klareres Bild als jenem, das nur aus Vorurteilen und Aggressivität zusammengesetzt war / ist, doch noch -- sicherlich nur kursiv -- darstellen. (Geringe Überschneidungen mit bereits Gesagtem habe ich ganz bewußt gewählt.)
Elvis starb -- er lebte alles andere als gesund, war u.a. immer wieder abhängig von Tabletten -- am 16. August 1977 in Memphis, Tennessee, gerade mal 42 Jahre alt. Als Todesursache wurde -- nach einigen zunächst sehr unterschiedlichen Einschätzungen von Ärzten -- letztlich festgestellt (1994 durch einen unabhängigen Pathologen, Joseph Davies), daß Elvis an einem plötzlichen Herztod gestorben ist, der in Zusammenhang mit einer schweren chronischen Darmerkrankung Presleys, wegen der er schon lange in Behandlung gewesen war, steht. Damit wurde die vom Shelby County Medical Examiner bereits am 21. Oktober 1977 bestätigte These einer "hypertensive heart disease with coronary artery disease as a contributing factor" als Todesursache erneut bestätigt und alle anderen vorgebrachten Theorien (die sogar zu Rechtsauseinandersetzungen führten ...) als unrichtig dargestellt.
Es ist natürlich richtig, daß sein hektischer Alltag und all die zahlreichen Herausforderungen und Anforderungen an seine Leistungskraft sicherlich einer gesunden Lebensweise nicht gerade förderlich waren. Vielleicht haben ja auch wiederkehrende Probleme mit "Einsamkeit" eine seine Gesundheit sehr beeinträchtigte Wirkung gehabt. (vgl. zur Wechselwirkung von Einsamkeit und Gesundheit u.a. Manfred Spitzer, "Einsamkeit. Die unerkannte Krankheit", Droemer München 2018, Taschenbuchausgabe 2019, wo Spitzer die verschiedenen Auswirkungen aufzeigt, diese auch evidenzbasiert unterlegt und letztlich Einsamkeit als "Das Lebensrisiko Nummer Eins" darstellt.)
Sein Vater Vernon Elvis Presley, ein Landarbeiter, überlebte ihn (geboren 10. April 1916, gestorben 26. Juni 1979), seine Mutter Gladys Love Presley, geborene Smith, starb allerdings recht früh (geboren 25. April 1912, gestorben 14. August 1958). Die Mutter erlebte also von Elvis Presleys Karriere, die 1954 begonnen hatte, nur vier Jahre, vier Jahre in denen Elvis von seinem durch die Musik verdientem Geld den Eltern große Unterstützung gewähren konnte.
Der "King of Rock 'n' Roll" (oft auch nur "King" genannt) verkaufte im Laufe seines Lebens eine Unmenge von Tonträgern (man spricht von über einer Milliarde!) und gehört sicherlich zu den erfolgreichsten Interpreten der Musikgeschichte, alles in allem gesehen dürfte er sogar der erfolgreichste sein.
Elvis schaffte, was kaum jemanden bislang so erfolgreich gelungen ist, nämlich sowohl erfolgreich in der amerikanischen Billboard-Hitparade als auch in den Country-Charts und den Rhythm&Blues Auflistungen geführt zu werden.
Natürlich war das alles nicht zu (er-)ahnen, als er erstmals in eines der professionellen Aufnahmestudios ging, um für sich privat eine Platte aufnehmen zu lassen. Es wird immer noch kolportiert, daß er in die SUN-Studios ging, um seiner Mutter zum Geburtstag ein von ihm selbstgesungenes Lied auf Schallplatte pressen zu lassen und mit jenem "That's All Right, Mama" hätte schließlich alles begonnen ... So einfach, so geradezu märchenhaft, war es allerdings nicht. Wahr ist, daß Elvis von seinem ersten Gehalt aus einem einfachen Job bei einem kleinen Maschinenreparaturservice (dort hatte er unmittelbar nach erfolgreichem High-School-Diploma eine Stelle angetreten) in Memphis eine Schallplatte aufgenommen hat. Dies war im Juni 1953 beim Sam Phillips Memphis Recording Service, wo er allerdings nicht schon auf den bereits damals sehr bekannten Inhaber des Studios Sam Phillips (Sun Records!) traf, sondern "nur" auf dessen Assistentin Marion Keisker. Ihr sagt Elvis, daß er eine Platte für seine Mutter zum Geburtstag machen wolle. Er nahm dann die Titel "My Happiness" und "That's When Your Heartache Begin" auf. Marion Keisker war von Presleys Talent sehr beeindruckt und notierte sich dessen Namen und Adresse. Das war es allerdings zunächst einmal ...
Ende 1953 bekam er eine Arbeit als LKW-Fahrer bei Crown Electric, fuhr Material auf Baustellen und half dort auch den beschäftigten Elektrikern. In seiner Freizeit trat er live auf Partys im Raum Memphis auf. (zu bereits früheren Auftritten weiter unten!) Für jene Auftritte überwiegend vor Schülern und Studenten bekam er auch immer ein wenig Geld.
1954 ging Elvis erneut zu den Sun Studios, traf diesma auch Sam Phillip und nahm erneut eigene Kosten (das war seinerzeit für ein paar Dollars möglich!) zwei Country-Songs auf: "I'll Never Stand In Your Way" und "It Wouldn't Be The Same Without You". Phillips war begeistert und begann Elvis nun zu fördern. Bei einer jener Aufnahmesessions mit einer Band spielte Elvis während einer Aufnahmepause seine Version von Arthur Crudups Bluesnummer "That's All Right", dies dann allerdings im Rockabilly-Stil (Rockabilly ist eine Mischung aus Rhythm&Blues der "Schwarzen" sowie C&W Music der "Weißen" und wurde dadurch sehr rhythmisch und zu einer Art "Rock 'n' Roll). Der Song wurde dann sofort aufgenommen, Sam Phillips ging damit zu einem bekannten Südstaaten-DJ, der in einem eigentlich auf "weiße" Musik ausgerichteten Radiosender in Memphis erfolgreich Musik "schwarzer" Sänger und Sängerinnen auflegte. Der DJ (Dewey Phillips, nicht verwandt zu Sam) legte die Platte mehrfach auf, die Hörerschaft war begeistert. Elvis Presleys Bekanntheitsgrad begann ab 1954 bereits sehr zu steigen ehe es dann 1956 endgültig zum großen Durchbruch kam ... Man kann das Jahr 1954 durchaus als den Beginn seiner Karriere sehen, denn er hat als "weißer" Sänger der Rockabilly-Bewegung mit seiner Verbindung von "weißer" und "schwarzer" Musik den neuen Trend eingeleitet (zumindest war er der auffälligste Vertreter dieses Genres), als Jahr des endgültigen Durchbruchs mit letztlich weltweiter Aufmerksamkeit ist 1956 zu nennen (z.B. "Heartbreak Hotel", im Frühjahr 1956 zugleich Platz 1 in den Pop- als auch in den Country-Charts! Diese Single war auch seine erste Goldene Schallplatte.); besonders fiel er auch durch körperbetonten Bühnenauftritt auf, den einen (also überwiegend jugendlichen Musikfans) positiv, den anderen (zum Establishment gehörenden Personen) eben negativ.
Viele meinen bei Erfolgen von Pop-Größen immer wieder, der Erfolg wäre so einfach "out of the blue" gekommen, vielleicht gar einem Wunder vergleichbar. In den allermeisten Fällen trifft das jedoch nicht zu: der Weg zum Erfolg war meistens mit größten Anstrengungen, Durchhaltevermögen, aufgebrachter Frustrationstoleranz und Arbeit an vorhandenem Talent gepflastert. Hinzu kamen fast immer noch persönliche Vernetzungen und etwas (oder auch mehr oder gar sehr viel) Glück. Das war bei Elvis nicht anders. Deshalb nochmals ein kleiner Blick zurück aus ergänzender Perspektive.
Presley wuchs als gut umsorgtes Einzelkind auf (sein Bruder war verstorben), in einem engen Familienverband und dessen sozialer Umgebung. In der Familie und Verwandtschaft wurden häufig Gospels gesungen, Elvis kam damit schon als Kleinkind in Berührung. Später sang er im Kirchenchor (ein Onkel war Prediger in der Assembly of God Church, wo geistliche Musik eine große Rolle spielte). Damals spielte das Radio als Unterhaltungsmedium noch eine dominierende Rolle, man scharte sich um die wenigen vorhandenen Empfangsgeräte und hörte die Country&Western-Stars der Grand Ole Opry (Nashville, Tennessee). Über das Radio lernte Elvis auch seine Identifikations-Personen aus dem Musikgeschäft "kennen", so z.B. die beiden Country-Stars Sonny James und Roy Acuff (alles andere als bekannt für "rockigen" Musikstil!), Perry Como, Dean Martin, Mario Lanza (sic!), The Ink Spots, Roy Hamilton, ja sogar Gefallen an der Klassik der Metropolitan Opera (New York) fand er großen Gefallen -- letztlich keine Musik, die Ansätze von dem zeigten, was später dann als Rock 'n' Roll Furore machte...
Elvis hatte jeweils seine sozialen Erfahrungen durch häufige Umzüge der Familie erweitern können. So kam er auch in Kontakt mit afroamerikanischen Familien und deren Musikstile. Dadurch kam er auch mit dem Blues in Berührung, für den er große Begeisterung aufbrachte. Elvis besuchte auch oft mit seinen Nachbarkindern afroamerikanische Gottesdienste, die mit ihren sehr rhythmischen Liedern sicherlich ebenfalls Ansätze für seine musikalische Entwicklung leisteten (natürlich sang Elvis auch dort immer mit). Als die Presleys 1948 von Tupelo nach Memphis zogen, erhielten nach dem Aufenthalt in verschiedenen Pensionen ein Apartment in den Lauderdale Courts (ein Viertel des sozialen Wohnungsbaus in der Innenstadt). Auch da kam Elvis erneut in engen Kontakt mit afroamerikanischen Einflüssen. Memphis, Tennessee, war überhaupt auch dafür bekannte, daß "weiße" und "schwarze" Radionprogramme nebeneinander existieren konnten.
Der junge Elvis galt als schüchtern und durchschnittlicher Schüler. Eine Grundschullehrerin erkannte jedoch sein Gesangstalent und sorgte letztlich dafür, daß der 10-jährige Elvis bereits 1945 im Rahmen der Mississippi-Alabama Fair und Dairy Show in Tupelo an einem Radiotalentwettbewerb teilnahm. Mit seinem A-cappella-Gesang belegte er dort den 5. Platz und seine Eltern schenkten ihm dann eine Gitarre. Zu jener Zeit kam Elvis auch in näheren Kontakt mit dem Country-Musiker Carvel Lee Ausborn ("Mississippi Slim"), einer lokalen Berühmtheit beim örtlichen Sender W.E.L.O.; jener ließ Elvis in der Talentshow des Senders singen und gab ihm Gitarrenunterricht. Bei einem Talentwettbewerb, den seine High-School im Juni 1953 veranstaltete, gewann Elvis den ersten Platz. Am 30. Juli 1954 hatte Elvis zusammen mit Scotty Moore und Bill Black seinen ersten größeren Auftritt bei einem Open-Air-Konzert in Memphis (Amphitheater Overton Park). Die Begeisterung war für damalige Verhältnisse extrem groß, teilweise lautstarke bis hin zu tumultartigen Szenen. Dies war vor allem das Ergebnis von Presleys Bühnenperformanz (vor allem: rhythmische Hüft- und Beinbewegungen beim Gesangsvortrag).Von jenem Auftritt an ging es mit Elvis weiter aufwärts. Er trat regelmäßig in Clubs (Memphis und Umgebung) auf. Er bekam nach einigen Auftritten beim Louisiana Hayride (Shreveport) sogar einen Jahresvertrag. (Lousiana Hayride war bekannt für Country-Musik, allerdings eher relativ "fortschrittlich" eingestellt, dies im Gegensatz zur damaligen Grand Ole Opry, Nashville, Tennessee, wo Elvis zwar auch einmal aufgetreten war, jedoch beim eher stockkonservativen Publikum dort auf keine große Gegenliebe stieß ...) Durch die immer häufiger werdenden Auftritte Presleys verbreitete sich der Rockabilly-Sound immer mehr, zunächst in den amerikanischen Südstaaten. Elvis trat damals bereits mit sehr bekannten Stars der auf, darunter Buddy Holly, Pat Boone, Hank Snow, Bill Haley (!), Johnny Cash, Roy Orbison, u.a.m. Immer mehr Sänger (und auch einige, damals allerdings sehr wenige Sängerinnen) kopierten E. Presley Stil und waren damit auch erfolgreich. Eigentlich kann man an dieser Stelle mit einem "The rest is history!" abschließen. Man weiß ja um den dann riesigen Erfolg von der Single "That's All Right" mit der Rückseite einer sehr rockigen Version des alten Bill Monroes Countryhit "Blue Moon of Kentucky". Elvis wurde immer erfolgreicher in den lokalen und dann auch in den nationalen Country-Charts, dann auch, nicht viel später in den nationalen Pop-Charts (Billboard Hot Hundred).
Elvis veränderte ab seinem vorletzten Schuljahr übrigens auch seine äußere Erscheinung erheblich. Heute würde eine Veränderung in Style und generellen Erscheinungsform sicherlich nicht mehr diese Aufregung verursachen wie damals; vor allen den (weißen) Erwachsenen gefiel es nicht, wenn da nun einer mit langen, schwarz gefärbten Haaren und breiten Koteletten daherkam, und dann noch mit auffälliger Kleidung im Stil der Afroamerikaner und sich obendrein an deren Musikstil orientierte ... (man beachte in diesem Kontext auch die damals vorherrschende Rassentrennung!). Dazu paßte in gewisser Weise sicherlich auch Presleys Engagement bei den "All Night Gospel Singers" sowie seine Begeisterung für die Blackwood Brothers und Statesmen (beides Gospel-Quartette) als auch für die East Trigg Baptist Church, wo er ebenfalls musikalische Einflüsse erlebte. Ende August 1954 wurden dann endgültig andere namhafte Plattenfirmen auf die Marktchancen, die Elvis ihnen bieten könnte, aufmerksam; letzten Endes konnte Sam Phillips (SUN Records) dem Druck von RCA Victor nicht mehr widerstehen und verkaufte seinen Vertrag mit dem damals zwanzigjährigen Elvis Presley für 40.000 Dollar (damals für so einen Deal eine ungewöhnlich hohe Summe ...) und nun konnte es mit seiner Karriere weitergehen. Und es ging weiter, wie wir alle wissen! Sam Phillips allerdings hatte wieder einmal mehr einen hoffnungsversprechenden Jungstar an die marktmächtigere Konkurrenz verloren (so erging es ihm bekanntlich ja auch mit Buddy Holly, dem großartigen Talent aus Texas) ...
Frühjahr 1956: "Heartbreak Hotel" Platz eins in den Country- und in den Pop-Charts! Auch das war ein Novum. Auch seine erste LP, deren Songs noch überwiegend aus der SUN-Zeit stammten, allerdings jetzt mit RCA-Aufnahmen überarbeitet worden waren, gelangte ebenfalls auf Platz 1 der Billboard-LP-Charts. Noch sensationeller der Erfolg von "Hound Dog" (ursprünglich von Big Mama Thornton gesungen), Rückseite "Don't Be Cruel"): der im Juli 1956 eingespielte Song erreiche gleich in 3 Charts den Nummer-1-Platz: in den Country Charts, in den Pop Chats und in den Rhythm-and-Blues Charts (man nennt Songs, die es in Hitparaden unterschiedlicher Genres schaffen auch "Crossover-Songs").
Der Einfluß von E. Presleys Manager Tom Parker (vorher für Country-Stars tätig, z.B. für Hank Snow und Eddy Arnold), ein sehr gewiefter und knallharter Geschäftsmann, dürfte hinlänglich bekannt sein. Er war nach Presleys Wechsel zu RCA, den Parker miteingefädelt hatte, ausschließlich für Elvis tätig. Dies machte Elvis zwar reich, aber gewiß nicht immer glücklich ... (Elvis war ausschließlich für die künstlerischen Belange zuständig, wie es hieß, jedoch wurde dieser Eindruck etwas verwässert, wenn man z.B. sieht, wie Parker auf Elvis bezüglich Filmrollen Druck ausgeübt hat -- Elvis mochte die allermeisten seiner Filmrollen nämlich nicht, sie waren ihm zu anspruchslos, brachten freilich viel Geld ein --; Tom Parker, der "Colonel" war für die finanziellen, damit auch vertraglichen Belange verantwortlich.)
Schnell wurde Elvis dann auch international, weltweit, erfolgreich; daß seine Militärzeit ihn nicht aus dem Business "warf", dürfte er in erster Linie dem diesbezüglich geschickten Management Tom Parkers zu verdanken haben. Reibungslos verlief diese "Zusammenarbeit" jedoch nicht immer, vor allem nicht in späteren Jahren ... Gleichwohl ordnete sich Elvis immer wieder den (geschäftlichen, somit teilweise dann auch den "künstlerischen") Vorstellungen seines Managers (bisweilen zähneknirschend) unter.
Am 16. August 1977 war das alles dann zu Ende. Seine damalige Verlobte, Ginger Alden, fand ihn um 13:30 tot im Badezimmer. Eine Autobiographie hat Elvis nicht hinterlassen, auch sonst gibt es von ihm kaum Aufzeichnungen, die ein genaueres Bild über seine Person, eines das über die in seiner Musik enthaltenen "Signale" hinausgeht, ermöglichen. Er hatte nur wenig Briefe geschrieben und kaum Interviews, die über die üblichen Pressekonferenzen hinausgehen, gegeben. Fragen über sein Privatleben sowie zu seiner politischen Einstellung ist er stets konsequent (allerdings auch sehr höflich) ausgewichen. Er trat nie in Talkshows auf, hatte nur wenig Kontakt mit Kollegen aus dem Unterhaltungssektor, mied möglichst Prominentenpartys und Preisverleihungen, war jedoch häufig auf Konzerten von Musikkollegen, ging zu Footballspielen; bei seinen eher sehr seltenen Unternehmungen war er stets von einem Gefolge aus Mitarbeitern und Freunden begleitet, die ihn auch bei Notwendigkeit entsprechend abschirmten (was seitens Presse, der dieses Abschirmen ja weniger oder gar nicht gefiel, bisweilen mit dem Begriff "Memphis Mafia" kommentiert wurde.) Was man also von Elvis Presley wirklich kennt, sind die Rahmendaten seiner extrem erfolgreichen Karriere als Musiker und Entertainer. Kein Wunder, daß sich deshalb um Elvis viele Spekulationen bis hin zu Mythologien ranken. Ich denke, man kann sich von jenen Unternehmungen und Versuchen, mehr Licht in ein eigentlich zu respektierendes Dunkel zu schaffen, getrost und respektvoll fernhalten. Es sollte genügen, sich einfach an seiner so großartigen Musik zu erfreuen (oder auch nicht, falls man einen anderen Geschmack haben sollte ...).
Als der US-Präsident Jimmy Carter sich am 17. August 1977 sich zu Elvis Presleys Tod äußerte, hat er nach meiner Meinung sehr gute und zutreffende Worte gefunden: "Elvis Presley’s death deprives our country of a part of itself. He was unique and irreplaceable. More than 20 years ago, he burst upon the scene with an impact that was unprecedented and will probably never be equaled. His music and his personality, fusing the styles of white country and black rhythm and blues, permanently changed the face of American popular culture. His following was immense, and he was a symbol to people the world over of the vitality, rebelliousness, and good humor of his country.” ["Elvis Presleys Tod nimmt unserem Land ein Stück von sich selbst. Er war einzigartig und unersetzlich. Mehr als 20 Jahre ist es her, dass er in die Szene platzte mit einer Wirkung, die es bis dahin noch nie gegeben hatte und die es wohl auch nicht mehr geben wird. Seine Musik und seine Persönlichkeit, die Zusammenführung von weißem Country und schwarzem Rhythm & Blues, veränderten für immer das Antlitz der amerikanischen Kultur. Er hatte eine riesige Anhängerschar, und er war für Menschen auf der ganzen Welt ein Symbol für die Vitalität, die Aufsässigkeit und die gute Laune seines Landes.“]
Noch etwas zu meiner eigenen Position: Für mich war Elvis Presley natürlich auch bedeutend. Ich mochte seine Musik, nicht zuletzt deshalb weil sie einen neuen Wind in die verstaubte deutsche Musiklandschaft brachte, die bis dato vor allem Jugendlichen kaum etwas zu bieten hatte. Auch weil endlich Themen angesprochen wurden, die tatsächlichen Bedürfnissen entsprachen. Unverkennbar war Elvis sicher einer der bekanntesten, wenn nicht gar der bekannteste, Vertreter einer neuen Bewegung, die Jugendlichen etwas mehr zu geben und auch zu sagen hatte als all das, was man bis dato so erleben konnte, durfte, mußte ...
Allerdings war -- besonders auch was die Musik angeht -- Elvis nur einer von sehr vielen Sängern und Sängerinnen, denen ich eine persönliche Bedeutung zumessen konnte und wollte. Ein paar jener -- zumindes für mich -- ganz Großen aus der Pop-Szene möchte ich hier nennen (freilich ohne Anspruch auf Vollständigkeit und in keiner wertebegzogener Rangskala): Chuck Berry, Bill Haley & His Comets, Pat Boone, Fats Domino, Freddy Cannon, Brenda Lee, Annette Funicello, Lloyd Price, Paul Anka, Billy Boyd (mit "Cream Puff" und "I Love You So"), Little Richard, Cliff Richard, Tommy Steele, Johnny Burnette, The Everly Brothers, Ray Charles, The Coasters, Buddy Holly & The Crickets (Buddy Holly schätze / schätzte ich doch noch ein bißchen mehr als alle anderen!), natürlich: Jerry Lee Lewis, Eddie Cochran, Ritchie Valens, Ricky Nelson, Carl Perkins, Buddy Knox, Jackie Wilson, Conway Twitty, Sandy Nelson, Johnny & The Hurricanes, und, und, und ...
Wer sich nur auf Elvis Presley, nochmals: ein zweifelsohne hervorragender Künstler und auch Trendsetter!, allein begrenzt, der oder die geht an der eigentlichen damals ausgelösten und fortgeschriebenen, vor allem aber auch notwendigen Bewegung etwas vorbei, erfaßt nur einen kleinen Kern. Und man sollte nicht vergessen: auf lokaler Ebene gab es jeweils sehr viele, die diese neue Bewegung ebenfalls mit dem erfüllt haben, was sie letztlich dann auch geworden ist. Von jenen haben es eben nur ein paar ganz, ganz wenige ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geschafft! Aber ihr Einfluß sollte gebührend gesehen und gewürdigt werden. Das war früher schon so: die wenigsten der Aktiven, der Tätigen, derjenigen, die Barrieren hinterfragen und beseitigen helfen, kommen zu (äußerem) Ruhm und Ehre. Und das ist heute nicht anders ...
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Die Bedeutung von Elvis Presley (der sicherlich die weltweit so wahrnehmbare "Speerspitze" einer neuen Bewegung mit ihrem Anfang in diversen Subkulturen, vor allem innerhalb Jugendlicher war -- er hatte natürlich einige andere als "Wurzeln" und Vorbilder, die allerdings meistens nicht seinen weltweiten Bekanntheitsgrad erlangten) wurde unzählige Male aufgearbeitet und vielfach dokumentiert. Stellvertretend hierfür seine kurze Erwähnung hinsichtlich Elvis Presleys Bedeutung, die durch den gezeichneten scharfen Kontrast noch sicherlich mehr als nur einen Kern Wahrheit erfaßt: In seiner (eher traurigen) Autobiographie "Mars" hat "Fritz Zorn" (Pseudonym, gewählt weil er seine Eltern, die in der Schweiz am Zürichsee, an der sogenannten "Goldküste" -- dem Ort der zahlreichen Millionäre --, lebten, mit seiner Abrechnung über seine Erziehung, über sein Aufwachsen und über die [auch allgemein] praktizierte gesellschaftliche Lebensweise, nicht auch noch an die Öffentlichkeit zerren wollte) es wohl treffend ausgedrückt: "Ich als Schüler war stolz darauf, mich für so viele interessante Dinge nicht zu interessieren und schon ganz wie ein Erwachsener zu sein. Ich war stolz darauf, (...), daß ich nicht wissen wollte, wer Elvis Presley war und die berühmten goldenen sechziger Jahre nicht bewußt miterlebte. Daß Elvis Presley für die Weltgeschichte etwa hundertmal bedeutender werden sollte als der ewige Goethe, dessen Produktei ich las und gebührend klassisch fand, wußte damals wohl noch niemand. (Hervorh. d. V.) Das Ausschlaggebende für mich war einfach, daß ich bei jenen Ereignissen auch wieder einmal nicht dabei war, während meine Kameraden eben dabei waren." (Frankfurt a. M., Fischer TB 1994, zit. nach 22. Aufl. 2000 S. 64f.) Bei Fritz Zorn geht es eben darum, am eigentlichen Leben vorbeizugehen und dafür einen (teueren) Preis zu bezahlen. Diese Bewegung, diese Neugier auf Neues, auf Abwechslung, auf das mögliche "Andere" im Dasein, in der Alltagsgestaltung, ging jedoch bei der Mehrzahl (vor allem der Jungendlichen, aber nicht nur bei denen) nicht wirkungslos, nicht spurlos vorbei, im Gegenteil, sie wurde vielfach aufgegriffen und der Einfluß von alledem auf die weitere Entwicklung dürfte hinlänglich bekannt sein. Plötzlich war Aufbegehren, waren Erotik und Sex, war "Dinge beim Namen zu nennen", war der (auch politisch ausgerichtete) Impetus kein Tabu mehr, Sehnsucht und Willen nach Veränderungen bekamen eine völlig neue Dimension, zumindest was die Bewegung innerhalb der Jugendkultur angeht. (Allerdings ist auch die "Mitläuferdimension" sehr erheblich, was allerdings letztlich für alle Bewegungen zutrifft!) Daß dies dann besonders auch -- in unterschiedlichsten Auswirkungen -- die "Erwachsenenwelt" (bisweilen auch einschneidend und von dieser alles andere als willkommen gesehen) berührte, ist einleutend, vor allem hinlänglich bekannt ...
Der Unterschied zwischen der "Jugendbewegung" der Kriegs- bzw. unmittelbaren Nachkriegsära
und derjenigen der Rock-and- Roll - Zeit
(Ein kleiner Exkurs)
oder: Die tatsächlich engen (und klugerweise wahrzunehmenden ...) Grenzen der Pop-Musik
Ehe ich mich mit meiner eigentlichen Absicht befasse, nämlich nach einem markanten Unterschied zwischen den beiden Epochen zu suchen, möchte ich zunächst auf eine sehr wesentliche und stets im Auge zu behaltende Gemeinsamkeit verweisen. In beiden Fällen waren Marktmechanismen wirksam und erfolgreich, die wie auch immer zu sehende Bewegungen für ihre Gewinnmaximierung zu funktionalisieren. Daß sich hierbei eher angebotsorientierte, mit massivster Werbung betriebene Strategien gegenüber nachfrageorientierten durchsetz(t)en, dürfte einleuchten.
Altruismus war jedenfalls noch nie das Hauptmotiv derjenigen, die auch auf diesem Gebiet vorwiegend an einem interessiert waren: am Geld, das man den Leuten mehr oder weniger geschickt aus den Taschen ziehen kann. Das Mittel, mit dem man zu Geld kommen konnte, ist für den Kapitalisten in aller Regel austauschbar. Hauptsache ist und bleibt: Geld zu scheffeln, koste es was es wolle. Charakter und Moral stehen da zumindest nicht in der vordersten Front des Planens und Handelns. Lenin wird immer wieder folgende Aussage zugeschrieben: «Die Kapitalisten werden uns noch den Strick verkaufen, mit dem wir sie aufknüpfen.» Ob dieser vielleicht böse klingende, jedoch das Problem zumindest bildhaft gut beschreibende Satz von ihm tatsächlich stammt, soll hier nicht weiter interessieren, er zeigt zumindest den Gedanken auf, daß bisweilen das Streben nach Gewinnmaximierung bis hin zur Selbstzerstörung betrieben wird. Das ist heute nicht anders, eher noch schlimmer und rücksichtsloser geworden, wie man beispielsweise am Umgang mit und entsprechend rücksichsloser Ausbeutung der Umwelt sehen kann.
Man kann durchaus festhalten: Bei der Musikproduktion, im Musikmarkt, herrschen ungeachtet der verschiedenen, häufig sicherlich sehr ehrlichen (bisweilen sicherlich auch überwiegend immateriellen) Intentionen der individuellen Künstler, generell Gewinnmaximierungsgesichtspunkte vor; insofern scheint es völlig egal, was inhaltlich bzw. wert- oder unwertbezogen (zweifelsohne jeweils ein subjektiver Gesichtspunkt respektive einer, der durch entsprechende Manipulation gesteuert wird, um so zu erwünschten Urteilen und Kaufverhalten zu verführen) produziert und auf den Markt gebracht ist. Die wohl überwiegend geltende Maxime lautet: it must sell, folks must buy.
Die Frage bleibt zu stellen: Inwieweit besteht, wenn Avantgardisten eine neue Entwicklung inspiriert haben, die dann große Schar der "Mitmachenden" eher oder ausschließlich aus Mitläufern statt aus Personen, die tatsächlich und ernsthaft, vielleicht sogar unter Einsatz eigenen Risikos (!) der (neuen) Bewegung auch inhaltlich (also nicht nur als quantitativer Wirkmechanismus) dienlich sind. Reine Quantität reicht niemals aus (sieht man von unheilvollen Entwicklungen einmal ab; jene sind dann meist nicht von langer Dauer, dafür aber leider häufig von zerstörerischer Wirkung ...) Leider -- und da macht der Musikmarkt keine Ausnahme -- ufert all das, wo größere Massen "wirken" in Oberflächlichkeit, Mitläufertum, Kritikarmut, Beschwichtigungsstrategien, Rechthaberei, Unterdrückung anderer, Abwesenheit von Emanzipation, Abwesenheit von Diskurs, Aus- und Abgrenzung von Minderheiten, häufig auch in: Saturiertheit, aus. Das bedeutet zugleich: sollten anfangs tatsächlich hehre Ziele eine Bewegung stimuliert, sie als notwendige Bedingungen für Verbesserung der (gesellschaftlichen) Verhältnisse definiert haben, dann bleibt nicht selten nur mehr heiße Luft übrig, soll vor allem heißen, jene Bewegungen werden von den etablierten Mächten absorbiert und in von diesen gewünschte Bahnen gelenkt. Kurz: die tatsächlichen Machtverhältnisse bleiben unangetastet, die ursprünglich anvisierten Veränderungen unterbleiben bzw. werden in so erträgliche Formen geführt, daß tatsächliche Machtverhältnisse unangetastet und bereits bestehende Privilegien erhalten bleiben. Wie es so unschön und wenig griffig einmal geheißen hat: die Karawane zieht weiter ... Und so geschieht es auch mit der "Popmusik-Karawane" immer wieder. Viel von dem, was da als "Veränderung", gar als "Revolution" oder "Fortentwicklung" gepriesen und verkauft wird, ist nichts anderes als: den Status quo nur ja nicht verändern, ihn ja nicht verändern lassen.
Besonders deutlich ist das -- und nun komme ich so langsam zu den oben angekündigten Unterschieden -- bei der "aufmüpfigen" (seien es eher harmlose Exzesse oder gar delinquente Vorfälle) Weltkrieg II-Generation aufzuzeigen. Die etablierte Gesellschaft erkannte sehr schnell die aus ihrer Sicht (oder tatsächlich) bestehenden Gefahren und unerwünschten Entwicklungen; sie sah recht schnell, daß man diesen Entwicklungen Einhalt gebieten müsse. Dabei dachte man keineswegs an eine substantielle Veränderung bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern man legte den Schwerpunkt auf Einbindung der jüngeren Generation in "gewachsene" Strukturen: allen voran "Freizeitkultur" und "Konsumbefriedigung". Die kurzen Jahre nach Kriegsende waren es dann auch, in denen eine neue Begrifflichkeit zur Beschreibung der Jugendkultur aufkam: "Teenage" / "Teenager". Der britische Autor und Musiker Jon Savage (eigentlich: Jonathan Sage) hat dies nachvollziehbar aufgezeigt. In seinem Buch "Teenage. The Creation Of Youth Culture" (London 2007) zeigt er auf, wie diese Weltkriegs-/Nachkriegsgeneration letztlich "ruhig" gestellt und wieder in für die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse akzeptable Bahnen gelenkt wurde. Unterhaltung und Konsum, das waren die Zielsetzungen, und man hatte damit auch Erfolg. Dieser Weg wurde besonders auch durch die am 1. September 1944 erstmals erschienene Zeitschrift "seventeen" unterstützt. Konstruktive Kritik war offensichtlich nicht das Ziel jener Medienmacher, allerdings so eine Art "verbale Erleichterungen" wurde generös geduldet, ja erwünscht (so etwa nach dem Motto "Schimpfen ist der Stuhlgang der Seele"...., und danach hat wieder alles in ruhigen Bahnen zu verlaufen, dies durch Unterstützung kanalisierter Wegweiser): "Young fashiona & beauty, movies & music, ideas & people". Vor allem auf der vorhandenen, überwiegenden Orientierung der Frauen an Äußerlichkeiten wollte man fest aufbauen, also die bereits sehr ausgeprägte Neigung zum Konsum noch weiter befördern. Jon Savage: "American women had always been in the forefront of the country's consumer culture, but during the later stages of the war events conspired to amplify this importance." (a.a.O., S.441) Die Ereignisse der 40erJahre und Anfang der 50er konnten von der Öffentlichkeit nicht mehr einfach ignoriert werden, dazu waren sie zu unübersehbar geworden. Orientierungslosigkeit, Exzesse bis hin zu kriminellen Handlungen verlangten nach Lösungen. Da bot sich natürlich -- natürlich vor allem für all jene, die im Gütererwerb den größten Lebenssinn sahen -- das Feld des Konsums (weiterhin) an. Auch habe angeblich das Bedürfnis nach guter Arbeit als ein Anliegen der Heranwachsenden bestanden, dies auch um der doch recht vorherrschenden Delinquenz unter Jugendlichen zu begegnen. "We want to work, we don't want to be interested only in juke boxes and cokes. There's a lot of youth power in the country that can make up for the shortage in manpower. The adults must help us organize it (sic! d.V.) into a voluntary corps. Young people want a chance to do things and to have responsible jobs.", zitiert Jon Savage stellvertretend für viele gleichgerichtete Forderungen aus einem New York Times forum über jugendliche Delinquenz, veranstaltet im Sommer 1944. (a.a.O., S. 446) Man suchte also über Konsum und Einbindung in Arbeit die (zumindest temporäre) Misere im Verhalten der Jugendlichen zu verbessern. Hinzu kamen dann noch Angebote an Plätzen und Einrichtungen, an denen sich Jugendliche aufhalten und ihren eigenen (anderen) Freizeitstil pflegen konnten. Hier hatten nach Ansicht einiger Kritiker der Situation vieler Jugendliche die traditionellen Jugendorganisationen versagt. Stellvertretend für andere sagte Mc Closkey "recreational director for the Office of Community War Services": "Your Boy Scouts, your Girl Scouts, your YMCAs, have never dealt with the delinquent child." (a.a.O., S. 447). Ein berechtigter Vorwurf war zudem, daß Unterstützungsprogramme während des Krieges (wartime programmes) wie The Senior Service Scouts und The Junior Police Organization zu autoritär ausgerichtet waren, als daß sie jene entsprechenden Jugendlichen auch nur in Ansätzen erreichen konnten. Jon Savage: "The Office of Community War Services began from the premise that ' a large group of tween-teens, the 14-18-year-olds have long been socially, often educationally adrift, and too often, as police blotters testify, morally adrift' (Mc Closkey)" (ebd.) Die institutionalisierten Räumlichkeiten für Jugendliche ("Canteens") wiesen meist eine Musikbox (sic!), Tischtennisplatte(n), eine Tanzfläche und einen Coca-Cola-Automaten auf. Coca-Cola gab übrigens auch Informationsmaterial heraus, wie man so ein Zentrum für Jugendliche aufbaut ... Bei diesen Zentren gab es zumeist eine Altersregelung (faktisch von 13 bis 19 Jahren), keinen Alkohol, auch örtlich ausgerichtete Zutrittsbeschränkungen und sie waren stets in den nachbarschaftlichen Kontext eingebunden. Aber die soziale Zusammensetzung spiegelte nicht unbedingt immer die gesellschaftliche Realität wider, auch nicht unbedingt die Praxis eines pluralen Gesellschaftsverständnisses: "These youth clubs were dominated by high school adolescents, potential inductees into the kind of life envisaged by the club constitution. (..) The Teen Canteens represented an official attempt to apply the wartime rhetoric of freedom and democracy to adolescent lives." (a.a.O., S. 447) Stellvertretend am Beispiel der "Hep Cat*) Hall" liest sich die Zielsetzung folgendermaßen: "clean, wholesome recreational facilities and entertainment based on the American Republican form of government" (ebd.), was bereits Möglichkeiten und Grenzen jener "Canteens" aufzeigen dürfte.
Die Lokalitäten für die Heranwachsenden leiteten ihre Namen häufig von Teenager-Assoziationen und -Wunschprojektionen ab, auch von marktbeherrschenden Einflüssen, begnügten sich bisweilen aber auch mit eher trivialen Namensgebungen wie "Teen Tavern" o.ä.
*) hepcat ("hep") bezeichnet eine Person, die Musiker oder Anhänger von Jazz und Swing in den 1940er Jahren war / ist, also ein Interpret (Künstler) der Jazzmusik, besonders Swing, spielt(e) bzw. ein Fan dieses Musikgenres. In den 1950er Jahren nannte sich ein Rock 'n' Roll Sänger Harry Hepcat; er konnte jedoch nicht die Erfolge wie die "Großen" der Rock-Musik der 50er vorweisen.
Allerdings wäre es falsch, die Veränderungen im Weltbild der Heranwachsenden überwiegend oder gar ausschließlich dem Einfluß von "seventeen", von Frank Sinatra, Harry James, Glenn Miller u.a. zuzuschreiben; sie haben eher einen latenten Trend verstärkt, sodaß die breite Öffentlichkeit diesen auch nicht mehr übersehen konnte. Unbestreitbar ist gewiß die Wechselwirkung von erfahrener gesellschaftlicher Wirklichkeit, vom zu lebenden (=aufgezwungenen) Alltag einerseits und dem immer stärker werdenden Bedürfnis auf der anderen Seite. Freilich hatte es da noch nicht den in der Rock-Entstehungs-Zeit aufkeimenden revolutionären, d.h. gewisse Verhältnisse umwälzen wollenden Impetus. Es handelte sich eher um umgesetzte "Besänftigungsstrategien", also um Versuche, mit Mitteln des Marktes und entsprechenden Sozialtechnologien die Heranwachsenden zufrieden zu stellen, um sie letztlich wieder ruhig zu stellen, was zunächst ja auch weitgehend gelang. Deutlich wurde, die zunehmende Bedeutung der Jugendlichen, der Blick auf eine "Jugendkultur", verlangte nicht nur nach einer neuen Begrifflichkeit um der Trennschärfe, der Abgrenzung willen ("Teenager"), sondern auch entsprechende zielgerichtete Befriedigungsmomente. Der Soziologe Talcott Parsons hat letztlich in seinem 1942 erschienen Artikel "Age and Sex in the Social Structure of the United States" die Notwendigkeit einer besonderen Betrachtung und Wertschätzung jener Entwicklungsphase betont, für diese Gruppe dann den Begriff "youth culture" geprägt, um auch so dem ganz Besonderen und irgendwie Einzigartigen dieser Entwicklungsspanne entsprechen und sie systematisch untersuchen zu können, er sah diese Auffälligkeit und Herausgehobenheit dieses "set of patterns and behavior phenomena", ihm war klar, daß man dem allen mit den herkömmlichen Methoden und Betrachtungsweisen nicht länger werde gerecht werden können. Die soziale Entwicklung hatte endgültig einen weiteren, sehr markanten Schub bekommen: "This new type was the ultimate psychic match for the times: living in the now, pleasure-seeking, product hungry, embodying the new global society where social inclusion was to be granted through purchasing power (sic!, d.V.). The future would be Teenage." (Jon Savage, a.a.O., S.465)
Eines wurde / wird da aber auch sehr, sehr deutlich: Hauptfokus sollte weiter nicht eine internale Reifung, sozusagen eine Förderung eines emanzipatorischen Entwicklungsstranges sein, sondern eine Förderung von und Anpassung an Marktmechanismen und an übliches, von restaurativen Kräften sozial erwünschtes, Verhalten, allen voran mittels und über Konsum. Und wie der weitere Verlauf es zeigte: so geschah es letztlich dann auch.
Wer hier durch die etwas später darauf folgende Rock 'n' Roll Bewegung allerdings da eine radikale Veränderung dieser manipulativen Einflüsse von quantitativer hin zu einer mehr qualitativen (im Sinne von immaterieller) Lebensqualität erwartet hatte (oder es auch aus heutiger Sicht so idealistisch zu verklären versucht), ist -- so sehr man dies auch bedauern mag -- auf dem Holzweg ... Völlig falsch dürfte es sein, die als so plötzlich empfundene "aufmüpfige" Bewegung dem Rock 'n' Roll alleine zuzuschreiben, aber er war sicherlich ein die Bewegung "tragendes" und "vorantreibendes" Vehikel. Es fand einmal mehr das statt, was Samuel P. Huntington als "moral convulsion" (= Moralkrämpfe) beschrieben hat, die in der amerikanischen Geschichte in größeren Intervallen immer wieder aufzuzeigen sind; die Begleiterscheinungen bzw. Auslöser davon seien: sinkendes oder kein Vertrauen in Institutionen, zunehmende moralische Entrüstungen, Mißtrauen gegenüber Eliten bis hin zu deren Verachtung. Hier zeigte sich, von einer moralistischen jungen Generation ausgehend, die Inanspruchnahme eines neuen Musikstils (auch als Kommunikationsmedium!), der einem völlig neuen Lebensgefühl Anspruch verschaffte, wie eine bis dato eher marginalisierte, vom "großen" gesellschaftlichen Leben (und dessen immanenten Setzungen) weitgehend ausgeschlossene Kohorte, sich um mehr Einfluß und Kontrolle bemühte, darum kämpfte, um diesen Anspruch auch einzulösen. Man wollte sich nicht mehr mit "Beruhigungspillen" der vorangegangen Zeit (s.o.) zufrieden geben. Es galt wohl auch: "Rock 'n' Roll Is Here To Stay"(Ein großer Erfolg -- Platz 19 Billboard Hot 100 -- für Danny&The Juniors 1958 auf ABC-Paramount Records; der Folgehit des Number-One-Songs der Gruppe "At The Hop", ebenfalls schön rockig und gewiß auch nicht zur Freude der "Satten", der "Veränderungsresistenten" ...)
Eines war unübersehbar (vor allem: unüberhörbar!): Mit Titeln wie "Rock Around The Clock" (Bill Haley And His Comets), "Jailhouse Rock" (Elvis Presley), "Tutti Frutti" (Little Richard), "That'll Be The Day" (Buddy Holly & The Crickets), "Blue Suede Shoes" (Carl Perkins), etc. kam schon ein recht neuer Wind in die Musikwelt; vor allem deren Darbietung lehrten so manche etablierten Kräften das Staunen (bzw. das "Fürchten"), zeigten zumindest bei einer zunehmenden Zahl der Heranwachsenen, daß diese nicht mehr gewillt waren, sich durch Täuschungsmanöver modifizierter Bürgerlichkeit einlullen zu lassen. Im wahrsten Sinn des Wortes geriet so manches soziale Gefüge nun "außer Rand und Band". Restaurative Kräfte sahen nicht nur ihre Welt gelebter Saturiertheit bedroht, nein, sie fürchteten gar das Allerschlimmste für die Zukunft der Gesellschaft. Die sich gegen die Rock-Musik und ihre (aus ihrer Sicht völlig aus den Fugen geratenen) Apologeten besonders mobilisierenden etablierten Kräfte fürchteten um Anstand, Sitte, Moral und Ordnung. Schnell war man auch mit Schuldzuweisungen bei der Hand: "Negermusik!" Daß eine derartige Etikettierung keinen abwägenden, vorsichtig differenzierenden Aspekt beinhaltete, war unübersehbar, unüberhörbar. Solche Angriffe waren Ausdruck großer Aggression (auf entsprechende Gegenwehr mußte man da nicht lange warten ...). Jene Kräfte des Gestern waren ein Feind von Entwicklung, wußten mit völlig Neuem nichts anzufangen, fühlten sich durchwegs bedroht, fürchteten um die Zukunft des Landes. [Wer all die heutigen Zustände auf musikalischem Gebiet -- gerade auch auf dem Gebiet der Bühnen- und Video-Performance und der Inhaltsleere der (textlichen) Darbietungen -- zur Kenntnis nimmt und diese Informationen an den Ereignissen und Erscheinungsformen der Ursprungs-Rock-Ära spiegelt, der wird eher zu dem Urteil kommen müssen, daß dies "damals" alles noch relativ harmlos, vor allem von besserer und auch ehrlicherer Qualität, gewesen ist. Denn damals gab es knallharte, deutlich formulierte (also nicht bis zur Unkenntlichkeit verklausulierte) Aussagen, prägnant formulierte Wünsche nach einer anderen, sinnlichen und wirklichkeitskritischen Lebensgestaltung, während heute man zumeist mit bedeutungsschwangeren, gleichwohl hohlen Floskeln versucht, die Zuhörer bei der Stange zu halten, ihnen zu suggerieren, man habe die Wirklichkeit richtig analysiert, habe sie "im Griff", weise den "richtigen Weg" in die Zukunft und sei bei all dem seichten Gesäusel bereits hochwirksam tätig, ihnen dabei eine Geborgenheit und Nähe suggerierend, die mit den ausschließlich kommerzorientierten Selbstinszenierungen genau genommen nichts zu tun hat außer eben die Reproduktion von Verlogenheit und Scheinheiligkeit sowie einer Scheinwelt -- vor allem auch hier in noch penetranterer Form: Umsatzorientierung. Letztlich die perfektionierte Form des "panem et circenses", leider extrem erfolgreich ...]
Was den Beginn und die erste Zeit nach dem Erwachen des Rock 'n' Roll (in "versteckter" resp. kaum verbreiteter, von der Öffentlichkeit zur Kenntnis genommenen Form gab es diesen Musikstil ja schon längere Zeit vor dem "großen Aus- und Aufbruch"!) von der vorherigen ersten Kriegs- und Nachkriegs-"Unruhe" und der dann zwei Jahrzehnte später einsetzenden "schaumgebremsten" auf schnulzigen Wogen schwimmenden und seitdem anhaltenden und mit immer mehr perfiden-subtilen Geldscheffelungsstrategien unterscheidet, ist erstens die Knappheit als auch die Konkretheit der (gesungenen) Aussagen des ursprünglichen Rock 'n' Roll, einfach das Verlangen nach möglichst eigenständiger und personenbezogener Alltags- und Lebensgestaltung, zuvorderst Gefühle und Lust ausleben zu dürfen und Arbeit eher "nur" als Notwendigkeit zur Absicherung materieller Bedürfnisse zu akzeptieren. Es ging um eine Art "neuer" Freiheit, um größere Unabhängigkeit, um mehr "Persönlichkeit", aber auch um Befreiung von jenen Zwängen, die das Leben zu sehr "knechten". Konsum stand aus der Perspektive der "Sich-Auflehnenden" nicht im Vordergrund ihrer Agenda. Daß jedoch die Logik kapitalistischer Gewinnorientierung jene Rock-Anhänger (vor allem aber auch dessen Performer -- jene wurden teilweise brutal ausgebeutet und funktionalisiert indem man ihre jugendliche Unbedarftheit ausnützte, sie oft mit schlechten Verträgen skrupellos über den Tisch zog!) auch in dieser Entwicklungsphase einmal mehr zum Objekt degradierten gehört einmal mehr zu den "Mysteries of Life" (Hank Locklin), um es wenigstens salonfähig auszudrücken ...
Mit dem Aufkommen der Rock-Musik hat sich innerhalb der Gesellschaft tatsächlich etwas verändert, es wurden Veränderungen angestoßen und erzwungen, aber letztlich wurde daraus erneut wieder ein Fundamant, auf dem ein modifiziertes Establishment einmal mehr geschickt seine Kreise zu ziehen verstand. Wer heute die ungebremste Rede der Wachstumsideologie einer übergroßen Masse zur Kenntnis nehmen muß, der weiß sehr wohl um die Wirkungsrelativität von noch so edel und zukunftsorientiert gedachten Forderungen. Jedenfalls ist ein zentrales Ziel der Rock-Ära, nämlich die Befreiung des Individuums von lästigen (und sicherlich in vielfacher Hinsicht: überflüssigen) Zwängen nicht erreicht worden; bestenfalls wurden die einen Zwänge durch andere (nicht minder die Person einschränkende) ersetzt, geblieben ist mit Sicherheit jedoch -- dies leider in noch viel mehr verstärktem Auswuchs! -- die machtvoll wirkende Internalisierung von Konsumorientierung bis hin zum Konsumterror, dieser von diversen Tentakeln geldgieriger Haltlosigkeit gesteuert. Nachhaltigkeit, naturbezogene Rücksichtnahmen, Bescheidung zugunsten Diversität, Achtung vor dem, was vielfach als "Schöpfung" bezeichnet wird, Ressourcenschonung, etc. -- alles Fehlanzeige.
Im Gegenteil: mit Totschlagargumenten wie "Vollbeschäftigung", "Wachstum" (im kapitalistischen, nicht im qualitativen Sinn!) und "Spaß" (um nur einige der Tor- und Tollheiten zu nennen) wird über die eigentliche Problematik, die wegen wirklicher Lebensqualität für die Menschen einer dringenden Lösung harrt, hinweggegangen, wird getäuscht, verkürzt und gelogen.
Aber es erdreisten sich nicht wenige, über all diese Widersprüche musikalisch-gesanglich sich mit jenen (sei es intentional oder auch "nur" faktisch) gemein zu machen, denen einzig und allein die Gewinnmaximierung, koste es was es wolle (Devise: nach mir die Sintflug!), wichtig ist. Man tut auf Bühnen und in Videos so, als wäre man die Avantgarde der Erkenntnis und vor allem: der Tat, des Handelns. Dazu dann das Beifallgeklatsche all jener, die nicht selten fest davon überzeugt sind, daß sie bei ihrem auf dieser Ebene angesiedelten Mittun bereits hochgradig engagiert seien, daß sie gerade die Welt reorganisieren, in positver Richtung verändern, die Artenerhaltung hilfreich unterstützen und vielleicht dann noch mit einem der zahlreichen Gesangsaposteln einstimmen, sie wären gerade mal schnell noch dabei, die Welt zu retten. Danach nach derartigen Veranstaltungen noch schnell noch in ein Lokal, sich die Wampe vollhauen, heim ins Bett (mit all seinen dort vorhandenen Möglichkeiten und Gegebenheiten beziehungsweise Grenzen) und dies mit dem satten Gefühl, ach wie tatkräftig, ach wie konstruktiv, ach wie revolutionär man selbst doch wieder mal gewesen sei...
Nein, so waren die frühen Rock 'n' Roller gewiß nicht, das hatten sie -- sofern sie nicht gleich als Marionetten der Plattenindustrie, von dieser sorgsam nach Marktgesichtspunkten ausgesucht, gestartet waren --bestimmt nicht als ihre Perspektive, als ihren Einfluß auf Fans im Sinn gehabt; gleichwohl wurden sie fast alle Opfer dieses Systems einer Dysfunktionalisierung (=sofern hier mehr als Unterhaltung unterstellt wird!) von Pop-Musik. Ich werde mich diesem Aspekt am Ende dieser Ausführung über die "Grenzen der Pop-Musik", über ihren aus meiner Sicht: tatsächlichen Wert, also über jenen, der eine falsche Akzentuierung dieses Marktprodukts letztlich verbietet, noch zusammenfassend auslassen. Aber vorher noch ein kurzer Rückblick auf einen Teil des "Lebensgefühls", das uns der Rock 'n' Roll gegeben hat und wie auch daraus die Produzenten es verstanden, ihre Gewinnmaximierung zu verfolgen. Es zeigt einmal mehr: Man hatte keinerle Skrupel Gefühle anderer für sich zu funktionalisieren, spielte mit ihnen so als seien sie nur Schachfiguren, die man je nach Belieben hin- und herschieben kann (bei Schach allerdings verbietet das strategische Ziel, den anderen schachmatt zu setzen, diese Beliebigkeit ...). Ob Freud, ob Leid, alles hat eben materialisiert zu werden, ohne Rücksicht auf (etwaige) Verluste ...
In der Folge nach den ersten Anfängen der Rock-Musik machte sich in vielen Köpfen ein völlig neues Lebensgefühl breit, jenes des "Live Fast, Love Hard, Die Young", also das Leben möglichst intensiv und hedonistisch zu gestalten, dies in der Form: schnell leben, heftig lieben, jung sterben. Allerdings ist dieses Motto keine ausschließliche Geburt des Rock 'n' Roll, wurde später jedoch vielfach in der weiteren Entwicklung von ihm noch intensiver aufgegriffen bzw. befördert. Namhafte Vertreter des Genres pflegten diesen Lebensstil offensichtlich (sicherlich dann nicht ohne folgende Problematik der Vorbildwirkung!), darunter Janis Joplin, Van Morrison, Jimmy Hendrix, Brian Jones, Amy Winehouse, Kurt Cobain. Letztlich kann man auch Rock-Stars wie Elvis Presley, Prince, Freddy Mercury, u.a., also jene, die nicht bereits sehr früh ("Stichwort: Klub 27"!) gestorben sind als "Opfer" dieses oder diesem zumindest angenäherten Lebensstils betrachten -- also Opfer ihres Ruhms der damit verbundenen (eigenen) Lebenspraxis.
In zahlreichen Fällen dürften die Widersprüche zwischen gewünschtem Leben und tatsächlichem, zwischen Beliebtheit und Einsamkeit, zwischen tatsächlichem Leistungsvermögen und großer Überforderungen, zwischen Wunsch nach Gebundenheit einerseits und dem, was man unter Freiheit verstand (manche dürften mit dem Zusammenhang von "Freiheit wovon" und dem meines Erachtens damit unmittelbar verbundenen Postulat "Freihheit wozu" inhaltlich nicht zurecht gekommen sein ...), zwischen Sinnhaftigkeit und Sinnlosigkeit, etc., Formen von Zerrissenheit und damit verbundener Kraftlosigkeit für eine subjektiv erträgliche Lebensgestaltung erzeugt haben. So litt beispielsweise Kurt Cobain unter dem Widerspruch, einerseits die Sinnlosigkeit gesellschaftlichen Erfolgs besingen zu müssen glauben, dies bei gleichzeitig extrem erfolgreicher Karriere genau in diesem Geschäftsfeld -- ein kommerziell ausgewertetes und ausgebeutetes Markenzeichen seiner Generation ... Als er das alles nicht mehr aushalten konnte, erschoß er sich. Ähnlich auch der Rock 'n' Roll Sänger Del Shannon, der seinem Leben ebenfalls mit einer Schußwaffe ein Ende setzte. Diverse Formen von Suiziden sind von einigen Größen der Unterhaltungsmusik bekannt, wohl in vielen Fällen Folge der Diskrepanz zwischen zwei miteinander nicht zu vereinbarenden Wirklichkeitsverständnissen.
Der Gedanke, so zu leben, entstammt jedoch ursprünglich einem Country-Song mit gleichem Titel aus dem Jahre 1955 (Capitol Records, F 3056), gesungen von einem ausschließlichen C&W Musiker namens Faron Young. (Er hatte mit Rock 'n' Roll selbst kaum musikalische Berührungspunkte!) Geschrieben hatte den Song Joe Allison, die Idee dazu hatte jener angeblich aus dem Film "Knock on Any Door", in dem der Gangster Nick Romano (gespielt von John Derek) sagt: "Live fast, die young, and leave a good-looking corpse". Das Lied war sehr erfolgreich in den Billboard-Country-Charts, kam dort sogar auf den ersten Platz, war jedoch kein Crossover-Song. Gleichwohl erfaßte dieser Slogan des Songs im Laufe der folgenden Jahre allmählich und zusehends die Rock-Bewegung(en), dies zusammen mit einer weiteren dort dann vielfach gepflegten Maxime, nämlich der von "Sex. Drugs & Rock 'n' Roll". [Übrigens mochte Faron Young dieses Lied zunächst nicht, nahm es nur auf Druck auf, gefand aber nach dem großen kommerziellen Erfolg dann mehr Gefallen an dem Song. Faron Young: "This was a tune I detested. Ken Nelson made me record this song. I put it out and it was a big, big hit. Then I got to liking it."]
Was hat Faron Young in dem von Joe Allison geschriebenen Lied denn besungen? Er wolle letztlich ein zwar kurzes, jedoch aufregendes Leben führen, wohl: partyhaft, dabei intensive Liebe (wohl auch in Formen von Promiskuität) pflegen, den Frauen viel geben und nehmen, ihnen dabei aber auch dieselben Freiheiten einräumen, die er für sich selbst beansprucht. Für viele dürften hier bereits spätere Gepflogenheiten der Hippie-Zeit anklingen. [I wanna live fast love hard die young and leave a beautiful memory / Don't want slow walkin' or sad singin' let 'em have a jubilee / I wanna leave a lot of happy women a thinking pretty thoughts of me / (...) / I wanna find 'em fool 'em leave 'em and let 'em do the same to me] Für die Ausgestaltung dieses Lebensgestaltungswunsches hat er auch, sicherlich um Eindruck zu schinden, einen Cowboy-Anzug (also wohl alles andere als ein typisches Kleidungsstück für Rock 'n' Roll-Fans ...), ein "aufgemöbeltes" Auto (ein Auto, das "frisiert" ist, vielleicht auch im äußeren Erscheinungsbild besonders gestylt) -- also ein "hot-rod car" und sein kleines schwarzes Buch ("little black book") ... (wofür wohl?) Natürlich sind die Mädchen alle "süß" ("the gals look cute") und er weiß alle Plätze in der Stadt, wo echt etwas los ist ("I know the name of every spot in town"). Natürlich wird man sich auch ungestört ausleben / Zechtouren machen ("we're really goin' on a spree"), die ganz besonderen Tanzeinlagen gehören zweifelsohne auch dazu ("we're gonna do some fancy stepping"), und auf gar keinen Fall soll irgendjemand auch nur auf Idee kommen, ihn fest an sich binden zu wollen, er möchte gänzlich frei und ungebunden bleiben ("but don't ever think you can tie me down I'm gonna stay footloose and fancy free"), man solle entsprechend Platz machen und die schönen Mädels zu ihm heranlassen ("so jump back make tracks move out and let the pretty gals at me"). Mag mancher mit den Dingen, die er tut, nicht einverstanden sein, so ist ihm das völlig egal ("now you may not approve of the things I do but it really don't bother me"). Er möchte einfach nur nach seiner Vorstellung genußvoll leben und eine angenehme Erinnerung an seine Person hinterlassen ("I wanna live fast love hard die young and leave a beautiful memory") ... Traurige Lieder sind nicht gefragt, und er möchte viele Frauen zurücklassen, die nur das Beste über ihn denken, obwohl er sie letztlich stets betrügt, er ihnen aber auch diese Gestaltung von Befriedigung einräumt.
Aber genau dem Wunsch nach Abwesenheit von "traurigen Liedern" wurde nicht konsequent entsprochen, sondern man hat zunächst auch einmal den negativen Aspekt jener Orientierung des "Live fast, love hard, die young" entsprechend emotionalisiert (der Tod eignet sich da bekanntlich ja auch recht gut ...) und für die eigenen Zwecke funktionalisiert. Aus dem Aspekt der Gewinnscheffelung ist m.E. nun schon interessant, wie findige Geschäftsleute sofort gesehen haben, daß und wie man aus dieser "Die-Young-Haltung" (ob tatsächlich vorhanden oder "nur" -- fremdgesteuert -- mehr oder weniger latent geschürt, um Umsätze zu erzielen sei einmal dahingestellt) Plattenumsätze ankurbeln kann. So wurden in geschickt gewählten Abständen entsprechende Lieder produziert, die dann auch sehr erfolgreich waren. Und wo die eine Bewegung (hier: das Hervorheben von Tod, Ende, Niedergang) schon mal sich regt, da kommt auch schon fast unverzüglich die Gegenmacht im Sinne unkritischer Bejahung der vorherrschenden Zustände, das euphemistische Ablenken von eigentlich besser Wahrzunehmenden (weil man eigentlich die Wirklichkeit vollumfassend begreifen sollte und nicht nur isolierte Elemente als "das Ganze", somit reduktionistisch, "verkaufen" darf, will man ehrliche und sachliche Auseinandersetzungen unterstützen!), daher. Auch hier seitens Produzenten das eigentliche Motiv (das natürlich auf ideologisch verbrämt offeriert wird): Geld zu scheffeln, den Jugendlichen (und natürlich auch anderen, je nach Produktpalette) das Geld aus der Tasche zu ziehen.
Da beklagte mit seinem Riesenhit ("Let's Think About Living") Bob Luman schon mal, daß es doch nicht sein könne / dürfe, daß in ihren gesanglichen Darbietungen seine Kolleginnen und Kollegen so zahlreich ihre besungenen Apologeten hinwegsterben lassen (Flugzeugabstürze wurden besungen, Autounfälle, Suizide aus enttäuschter Liebe und diverse andere Seichtigkeiten) und forderte zu mehr Positiven, zu mehr Fröhlichkeit auf: "In every other song that I've heard lately / Some fellow gets shot / And his baby and his best friend both die with him / As likely as not / Some Cat's crying or ready to die / We've lost most of our happy people / And I'm wondering why. / Let's think about living / Let's think about loving / Let's think about the whoopin' and hoppin and boppin' and the lovie, lovie dovin' / Let's forget about the whinin' and the cryin' / And the shooting and the dying / And the fellow with a switchblade knife / Let's think about living / Let's think about life."
Man muß (weitgehend) einräumen: all die "Katastrophensongs" waren -- was jeweils den Geschmack der Zeit angeht -- hervorragend gemacht, zumindest wenn man das an den Verkaufserfolgen mißt. Ebenso wie ihre positiv gestimmten Counterparts. Und zwischen jenen extremen Gefühlswallungen gab es -- Gott sei Dank, möchte man da sagen -- jede Menge von Alltäglichkeiten, die sich in dem Text-Musik-Angeboten zeigten. Also jene Themen, Bereiche, Gefühle, Freuden, Leiden, mit denen sich die große Mehrheit der Menschen auseinanderzusetzen hat. Auch hier mag vielfach zutreffen: banal an Inhalt bis hin zu seichtester Oberflächlichkeit, oft auch verlogen, Produktion von Scheinwelten bis hin zu vielfach unerträglichem Schrott.
Kurz: für alle möglichen Geschmacks- und Gefühlsübungen reicht(e) die Palette; was die Qualität angeht, dürften gefühlte 90 Prozent aller Produktionen eher als "dünn" und einfallslos anzusehen sein, minderwertigste Textqualität eingeschlossen. Wer hier gar sachliche Bezogenheiten oder sogar kritischen Impetus erwartet, wer hier auf Kritik an herrschenden Verhältnissen o.ä. hofft, der sollte sich besser ein anderes Metier suchen -- dies dann in der (leider auch dort oft trügerischen) Hoffnung auf Befriedigung von einschlägigen Wünschen ...
Popmusik ist nichts anderes als reine Unterhaltung, freilich häufig aus Gewinn- und Beschäftigungsinteressen serviert als anspruchsvoller Spiegel gesellschaftlicher Wirklichkeit! Dessen sollte man sich stets bewußt sein und bleiben. Sie selbst verändert nichts (außer den Gewinn gewisser Kreise) und im allergünstigsten Fall unterhält sie (mehr oder weniger gut) für Augenblicke, lenkt ab (hoffentlich führt das nicht gleich zu Weltflucht und zu falschem Verständnis von Wirklichkeit), sie kann sicherlich sehr oft (mehr oder weniger geschickt, mehr oder weniger zutreffend) selbst erlebte Gefühlswelten und Sehnsüchte, verspürten Ärger und Freude ausdrücken, "nachformulieren", aber in aller Regel keineswegs präjudizieren. So gesehen hat sie sicherlich ihren (sowohl berechtigten als auch angemessenen) Platz im Leben eines Menschen; vor Übertreibungen, vor Fremdvereinnahmung, vor allem vor trügerischem Gefühl, sie könne als Ersatz oder gar als Wirkmechanismus für notwendige Veränderungen und Anstrengungen dienen, sollte man sich jedoch hüten. Ihr ist also nur den Wert zugestehen, der ihr objektiv (also nicht: subjektiv durch Eigendefinition!) zukommt.
Und sie ist vor allem und sinnvollerweise (= um keine falschen Allgemeinerungen vorzunehmen!) jeweils in ihrer spezifischen Zeit zu sehen und zu begreifen, was natürlich auch die eigenen damit verbundenen Erinnerungen (und Bewertungen) betrifft. Es wäre ein großer Fehler -- allerdings gilt das nicht nur für den Umgang mit "Unterhaltungsmedien" sondern für alle Bereiche, besonders auch für den Umgang mit dem eigenen Wirklichkeitsverständnis! --, die Vergangenheit durch die Brille der Gegenwart zu sehen, denn dann würde der "Blick der Gegenwart", also das was ist, jenes was nicht mehr ist, beeinflussen, also falsch oder zumindest verzerrt darstellen. (Umgekehrt gilt das natürlich ebenso, vielleicht in der Auswirkung noch gewichtiger: Sieht man das Gegenwärtige durch die Brille der Vergangenheit, dann bestimmt das, was nicht mehr ist, weiterhin den "Blick" für die Gegenwart, somit auch die Urteilsperspektive für sie.)
Jetzt wäre die Tatsache des Konsums für sich alleine schon nicht als wünschenswerte Zielvorgabe für ein "besseres Leben" zu begrüßen, als viel gefährlicher sehe ich jedoch noch den Umstand, daß mit all den manipulativ wirkenden Produkten (und da sind Musik und einschlägige Medienarbeiten ein besonders kritisch zu hinterfragender Sektor!) vielen Konsumenten eine Scheinwelt verkauft wird, die leider vielfach im Laufe dieses Prozesses von -- höchstwahrscheinlich -- der Mehrzahl aller Menschen als "Wirklichkeit", oder zumindest als "realisierbare Möglichkeit" internalisiert wird, somit zur (nicht selten gar dogmatisch-prämissenhaften) Basis von Orientierung und umsetzbaren Zielvorstellungen gerät.
Kurz: es werden Traumwelten geschaffen, es findet letztlich umfassende Manipulation bis hin zur Entfremdung von Wirklichkeitsverständnis statt. Das, was man (musikalisch) hört, was man (durch die Texte) vernimmt, was man -- heutzutage besonders wichtig zu sehen! -- bildhaft und choreographisch dargestellt bekommt, wird vielfach so gesehen, als sei dies bereits Wirklichkeit, als sei dies bereits die Lösung zu bestehenden Problemen, als sei dies eine Form der Lebensgestaltung für jedermann, als stünden jedem diese Wege auch tatsächlich (also nicht nur abstrakt-theoretisch) offen ...
So gesehen und verstanden trifft auf die Rock 'n' Roll-Bewegung trotz ihrer auch systemimmanenten Verworfenheit auf kapitalistische Gewinnmaximierung und daraus ausgerichteter Marktstrategien schon zu, daß die Musik zusammen mit ihren Protagonisten und Anhängern eine auf Veränderung gerichtete Bewegung war, die sich nicht mehr in alten Einbettungs- und Besänftigungsstrategien einbinden lassen wollte.
Es dürfte auch hier bei der Rock 'n' Roll - Generation zutreffen, was Bernd Rabehl einige Jahre später als gesellschaftskritische Analyse der deutschen Situation (allerdings expressis verbis nur auf die Studentenschaft bezogen, somit eine Verkennung anderer relevanter gesellschaftlicher Kräfte bzw. gar aus einer überheblichen Perspektive argumentierend) herausgearbeitet hat: "Es ist die Empörung gegen ein sinnlos erscheinendes Leben und gegen die zynische Bevormundung durch bornierte Autoritäten, die ihre selbstherrliche Regentschaft im Staatsapparat, in den Universitäts- und Schulhierarchien und in der betrieblichen Patronage ausüben. (...) Zum erstenmal in der Geschichte (...) lehnt sich (eine große Zahl Heranwachsender) -- [Rabehl nennt hier "nur" die "Studenten", was mir zu spezifisch ein- und ausgrenzend erscheint] -- (...) gegen die autoritären Strukturen und Verhältnisse der Gesellschaft auf." (Bernd Rabehl, "Von der antiautoritären Bewegung zur sozialistischen Opposition", in: Bergmann, Dutschke, Lefèvre, Rabehl, "Rebellion der Studenten oder Die neue Opposition", Reinbek 1968). Die Rock 'n' Roll - "Rebellion" hatte nämlich sowohl in den USA als auch in England wie auch, mit einem kleinen time-lag in der BRD, ihre Anhängerschaft und Apologeten sowohl in den Unis wie in den Highschools (dort besonders weitverbreitet) als auch in der Arbeitswelt der Jugendlichen. Da letztlich alles gesellschaftliche Handeln auch politisch ist, ging es darum, eine "Gegenpolitik" zur vorherrschenden Politik aufzuzeigen: "Und in diesem Sinne müssen wir dieser Gesellschaft auf dem Boden ihrer eigenen totalen Mobilisierung begegnen. Wir müssen die Indoktrination zur Knechtschaft mit der Indoktrination zur Freiheit konfrontieren. Jeder von uns muß in sich selbst und in anderen das Triebbedürfnis nach einem Leben ohne Angst, ohne Brutalität und Stumpfsinn wecken. Wir müssen alle triebhaften und intellektuellen Kräfte aufbieten gegen die vorherrschenden Werte einer Gesellschaft im Überfluß, die überall Aggressivität und Unterdrückung verbreitet. (...) Und da ist die Revolte gegen die zwanghafte Sauberkeit und Puritanermoral und die Aggression, die von ihr erzeugt wird (...):" (Herbert Marcuse, "Befreiung von der Überflußgesellschaft", in: David Cooper, Hrsg., Dialektik der Befreiung, Reinbek 1969, S. 100f.) Besonders verweist H. Marcuse in diesem Zusammenhang darauf, daß "tatsächlich neue Triebbedürfnisse und Werte auftauchen". Daß dieses dann mit den seinerzeit vorherrschenden, praktizierten Gegebenheiten und Verhaltensformen, besonders was Regeln, Moralvorstellungen und Bevormundungen angeht, in Konflikt geraten ist, wurde ja mehr als deutlich ...
Und die Wut, die Aggression, gegen jene, die gegen Bestehendes aufbegehren (also auch gegen jene der Rock-Bewegung), speist(e) sich sehr oft durch unkritische Identifikation mit den Mächtigen, mit den Autoritäten: "Wenn man schon selbst die Autorität zur Stimme des Gewissens verinnerlicht hat und zu willigem Gehorsam bereit ist, dann sollen sich auch die anderen unterwerfen. Von hier aus wird die Wut begreiflich, die manchen frustrierten Kleinbürger überfällt, wenn sich Außenseiter den Luxus enes unkonventionellen Verhaltens erlauben und gegen die Normen von 'Ruhe und Ordnung' verstoßen. (...) [Es zeigt sich hier] auch der verstohlene Neid denen gegenüber, die sich der herrschenden Autorität nicht bedingungslos unterworfen, sondern einen Freiheitsraum bewahrt haben." (Reinhard Kühnl, "Formen bürgerlicher Herrschaft", Reinbek 1971, S.95)
Wer da nun allerdings glaubt, daß er / sie nicht zum Klientel des vorgenannten "frustrierten Kleinbürgers" gehört, weil er bereits durch Mitmarschieren bei einer Bürgerinitiative oder beim öffentlichen Skandieren von Parolen in der Gemeinschaft mit Gleichgesinnten über jegliche Kritik sakrosankt und auf der "richtigen" Seite zu sein scheint, der sollte zunächst immer wieder sein Selbstverständnis und den tatsächlichen Hintergrund eigenen Denkens und Tuns kritisch hinterfragen, vor allem den eigenen Anspruch und die eigene Wirklichkeit überprüfen ... Der gerade von Veranstaltern gegenüber jenen, die sich nicht an ihren "modernen" / "jeweils aktuellen" Demonstrationen Beteiligenden, diesen gar ablehnend Gegenüberstehenden erhobene Vorwurf eines "Mangels an Gemeinsinn" muß nämlich nicht immer diesem ursprünglichen Wortsinn entsprechen, dahinter kann sich auch eine Form verschleierter (klassischer oder neoklassischer) Ausbeutung verbergen, also eine neue Form restaurativer Strukturen und Seinsweisen. Gerade was die geistige Kompetenzen so mancher Vertreter, auch gegenwärtiger Empörungsmachinerien angeht, gilt leider häufig jenes "I'm so far behind I think I'm first" oder dessen Abwandlung, daß man glaubt, soeben das Rad neu erfunden zu haben.
Und der Grat zwischen Restauration / restaurativen Elementen und tatsächlicher (also nicht nur vorgetäuschter beziehungsweise aus eigenem Geltungs- oder Machtbedürfnis betriebener) qualitativer Veränderung ist leider sehr oft sehr, sehr schmal ... In Anlehnung an den Titel eines vor langer Zeit von Freimut Duve herausgegebenen Buches möchte ich festhalten, daß auch heute noch immer wieder die Restauration ihre Kinder entläßt, daß dies sicherlich auch, aber nicht nur mit "den Rechten" zu tun hat, denn es gibt sie auch aus der "linken" Ecke, diese restaurative Interessenbezogenheit.
Eines ist jedoch deutlich: all die gesellschaftskritischen Analysen sind letztlich als "Kopfgeburten" fortgeführt worden, bauten sich sehr schnell auf dem Fundament gefühlter Unzufriedenheit und Widersprüche auf und wiesen vor allem häufig in einer Sprache auf (tatsächliche oder bisweilen auch nur konstruierte) Zusammenhänge hin, die bereits ausgrenzenden Charakter hatte. Der häufig soziologische Jargon (aber auch die Inhaltlichkeit der Kritik und anvisierter "Lösungswege") hatte -- ob von den "Verkündern" so gewollt oder nicht -- schon einen sehr elitären Anspruch. Man empfand sich nicht selten als Avantgarde, die glaubte, "dem gemeinen / übrigen Volk" erst zur "richtigen Bewußtseinsbildung" verhelfen zu müssen. Dagegen war die Rock 'n' Roll Bewegung eine "Revolte" aus dem Bauchgefühl heraus, bediente sich einer einfachen und sehr verständlichen Sprache und schloß faktisch allein durch ihren strukturellen Untergrund niemanden aus, der daran teilnehmen und mitmachen wollte. Sie war sozusagen: für jeden unmittelbar verständlich und offen.
Ein weiterer kritischer Aspekt der (meist zumindest überwiegend theoretisch getragenen) intellektuell ausgerichteten oder sich so verstehenden "Aufbruch-Aktivitäten" ist, daß man -- richtigerweise! -- Ideologiekritik betreibt (also z.B. die tatsächlichen Hintergründe und Motivationen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Handelns aufzudecken versucht), diese allerdings sofort unterläßt wenn man sie gegen sich selbst, gegen die eigene Bewegung und Strategien anwenden müßte / sollte. Das erzeugt natürlich Unglaubwürdigkeit und Widersprüche. Vor allem: das stößt nicht selten auch jene ab, deren Unterstützung man zum Erreichen vorgegebener Veränderungsziele eigentlich bräuchte. Man zeigt so deutlich auf, daß man tatsächlich überhaupt nicht an einer wirklichen und emanzipatorisch orientiertenTeilhabe möglichst vieler Menschen interessiert ist. (Das löst den Verdacht aus, daß man eben nur die eine Macht durch eine andere, die eigene!, ersetzen möchte ...) Ich gebe zu, daß mich schon sehr früh die intellektuellen Auseinandersetzungen interessiert haben (und es immer noch tun), daß sie jedoch ihr Ziel verfehlen, wenn man dabei an der breiten Basis einer Bevölkerung vorbeigeht, gar die ureigenen Interessen in den Vordergrund stellt und daß sie vor allem meist eine bedenkliche Entwicklung nehmen, wenn sie den Gesamtkontext von Problemlagen nicht mehr beachten können / wollen!
[Das ist heute mit "Fridays for future", "Black lives matter", "Me too", auch mit all den -- vom Gedanken her sicherlich richtigen und notwendigen -- Umweltbewegungen, aber auch mit den "Fortschritts-Ideologen" sowie "Vollbeschäftigungs-Apologeten" und "Konsum-Fetischisten" nicht anders: sie vereinfachen, verkürzen, tun mit ihren meist skandierten seichten Parolen so als hätten sie allein den "Stein der Weisen" gefunden und wer sich bei dieser Oberflächlichkeit nicht einklinken möchte, wird von jenen sehr schnell als "Ewig-Gestriger"bis hin zum "Gesellschaftsfeind" diffamiert. Wahrer Fortschritt, echte gesellschaftliche Weiterentwicklung in einem konstruktiven, positiven Sinn geht allerdings: anders!]
Es ging mir in dieser Abhandlung zuallererst darum, aufzuzeigen, wie und daß Zusammenhänge zwischen Musik und Marktmacht bestehen, daß es allerdings (eher seltene) auch soziale Bewegungen gibt, die ihren Ursprung über kulturelle Formen (hier am Beispiel der Verbreitung des Rock 'n' Roll) weitertransportieren, sich entsprechend artikulieren. Davon getrennt habe ich dann den Umstand, daß Pop-Musik (zu der ja der Rock 'n' Roll dann -- sogar extrem erfolgreich -- wurde) in aller Regel ausschließlich ein Unterhaltungsmedium ist, daß ihr jedoch seitens diverser, faktisch mit einer großen Definitionsmacht versehenen Interessengruppen -- weil man aus unterschiedlichsten Gründen Abhängigkeiten erzeugen möchte -- eine Wirkmacht zugeschrieben wird,die eigentlich nichts mit der behaupteten Wirklichkeit zu tun hat. Diese Bandbreite der Suggestion, ja: der Lüge, erstreckt sich von Gewinnmaximierung bis hin zu einer "panem et circenses"-Strategie, eben das Volk "ruhig zu halten", es abzulenken, zu beschwichtigen. Gerade auch mit der Popmusik werden manipulative Kräfte erfolgreich tätig, werden Betätigungsfelder geschaffen, die nicht selten zur "Umwertung aller Werte" (Friedrich Nietzsche) führen. Natürlich muß man mit Nietzsche die Werte als relative betrachten, sofern man nicht transzendental orientierte Setzungen a priori setzt. Was Nietzsche bereits für seine Zeit feststellte, nämlich einen Niedergang der Kultur, der sich in einem sich ausbreitenden Werteverlust ausdrückte, trifft für unsere Zeit sicherlich noch augenfälliger in Erscheinung: man muß nur die Produkte der Unterhaltungsindustrie, die Organisation von Freizeitverhalten, aber auch die Formen (un-)geistiger Auseinandersetzung sich vergegenwärtigen! Was er in seiner Genealogie der Moral ausführte, daß "nichts (...) wahr (ist), alles ist erlaubt" (GM III, 24), wird einem bei Beobachtung und Erleben gegenwärtiger Sozialaktionen schon sehr augenscheinlich. Auch hier zeigt sich die niedere Qualität der Pop-Musik in strengem Gleichschritt mit den anderen Unterhaltungsangeboten an vorderster Front. Man kann schon einen Prozeß des "Wertloswerden(s) der obersten Werte" (Nietzsche) immer wieder und vielfach erkennen. Im Einfluß und in der Dominanz als auch in der massenhaften Ausbreitung der Unterhaltungssetzungen zeigt sich sehr wohl, wie das alles auf das vorherrschende "Herrschafts-Gebilde" (Nietzsche) ausgerichtet ist. Man tut der Unterhaltungsindustrie nicht zuviel der Ehre an, sie hier in einen anspruchsvollen Kontext zu stellen, denn es ist gerade die aus jenem Kontext zu entnehmende Vorstellung, welche zur Demaskierung von Oberflächlichkeit und Verlogenheit der Unterhaltungsindustrie beizutragen vermag: es geht denjenigen, welche Märkte bestimmen, welche (politisch und in anderen Institutionen verortet) hinter ihnen stehen, sie (be-)treiben und für ihre ureigenen Zwecke funktionalisieren um Machterwerb und Machterhalt. Dieser Wille zur Macht als treibende Kraft strebt danach, sich zu verselbständigen, alle bestehenden Werte zu zerstören oder zu relativieren, um sich selbst zum obersten Wert zu erheben. Man versucht eine neue, der Gewinnmaximierung zuarbeitende Wertstruktur zu schaffen, mittels derer man dem Leben einen neuen Sinn gibt. Sinnhaftigkeit als Weg in Konsum, weg von Natur und dem eigentlich Menschlichen, hin zu Fremdbestimmung und Einordnung in vorgegebene Rhythmik. Nietzsche spricht von "einen neuen Sinn in das sinnlos Gewordene legen", wobei das sinnlos Gewordene heute zumindest all das ist, was über diverse Formen der politischen Korrektheit und Ideen "wie man gesellschaftlich zu funktionieren und was man gesellschaftsbezogen zu leisten hat", erst ihres ursprünglichen Sinns beraubt worden ist, um dann in diese Lücke, in diese Leerstelle stoßend, die der Mächtigen eigenen Zielvorstellungen realisieren zu können. So gesehen muß vor allem alles, was zuvorderst der Zerstreuung, der Unterhaltung, der Ablenkung, faktisch: der Fortschreibung von Unmündigkeit (im Kantschen Verständnis), dient, gründlich ideologiekritisch durchforstet werden. Und dazu gehört die Freizeitindustrie, gehört der Versuch, durch permanente Berieselungsversuche "das Volk" ruhig zu halten. Und auch aus diesem Grunde führt kein Weg an der besonders kritischen Betrachtung der tatsächlichen Funktion von Pop-Musik vorbei: sie ist (leider) nicht nur in erster Linie ein harmloses Unterhaltungsmedium, sondern erfüllt wie alle anderen Bemühungen, die Freizeit des Bürgers zu verwalten, zu gestalten, zu ordnen, zu lenken (nochmals: leider) auch manipulative Aufgaben (nochmals: im Sinne des "panem et circenses", aber auch mit der Wirkung des häufigen Vermittelns verlogener Weltbilder und vermeintlicher Gestaltungsmöglichkeiten). Damit ziele ich sicherlich nicht in erster Linie auf (andere, vielleicht gar erneut manipulative) Substitutionsformen, um dann entstandene Unterhaltungslücken damit zu füllen; nein: warum nicht einmal "nur" Entschleunigung, warum nicht Langsamkeit, warum nicht Beschaulichkeit, warum nicht Innerlichkeit, ja: warum nicht auch gelegentlichen Stillstand, Ruhe und Rast statt all der Hektik und des (im Laufe der Manipulationsprozesse internalisierten!) Gefühls des "Unbeding-mitmachen-Müssens", des "Unbeding-dabei-sein-Müssens"?! Einfach häufiger: schlicht, stressbefreit ersatzlos innehalten, nicht (fremd-)bestimmt und verwaltet werden ...
(Vor kurzem sah ich in einer Gesprächsrunde erneut einmal mehr einen hier wohl immer und unvermeidbaren obligatorischen "Experten"; es ging um Formen der Lebensgestaltung, des Leidens, der Freude. Und als was wurde jener Herr Experte angekündigt? Das muß man sich schon auf der Zunge zergehen lassen: "Lebensfreude-Philosoph". Daß er nicht besonders freudvoll wirkte, dafür jedoch jede Menge Selbstverständlichkeiten und Plattitüden von sich gab, nimmt da nicht groß wunder. Wie und was muß man denn sein, daß man sich als "Lebensfreude-Philosoph" versteht, selbst so ankündigt?! So könnte man die Tingel-Tangel-Sänger und Sängerinnen mit ihren Lustig-Lustig-Tralalas sicherlich auch betiteln -- nur: der wirklichen Lebensfreude brächte es niemanden näher, davon bin ich überzeugt. Und: wer tatsäch "Philosph" ist, sich also der "Liebe zur Weisheit" verschrieben hat, der würde sich kaum so beschreiben, sich so eine Art Markenzeichen umhängen, der würde einfach -- ja, sich um tatsächliche Weisheit bemühen und nicht den Weg anderer groß und selbstverliebt kommentieren ... Dies hier für ein weiteres Beispiel für "So-tun-als-ob", wofür die Masse der Pop-Musik ja hinlänglich bekannt sein sollte, sofern man sich den Blick dazu nicht verstellt hat resp. er verstellt wurde!)
Wer in meinem vorliegenden Versuch, eine etwas andere Sicht in das Verhältnis von Musikbewegungen und soziale Aufbrüche zu bringen, eine Über- bzw. (bei anderer Positionierung) Unterbetonung des Wertes respektive der "Wirkungsmacht" von Pop-Musik sieht, wird sicherlich seine jeweilige Beurteilung ausreichend begründen können. Es ist ja auch eine subjektive Angelegenheit, welchen Wert und Einfluß man selbst einer Sache beimißt. Ich selbst trenne zum Beispiel gerne jene Pop-Musik, die sich einfachen Lebenssachverhalten zuwendet (z.B. Liebe, Sehnsucht, Trennung, Ferne, Verstehen, Nichtverstehen, Freude, Ärger, Platzwahl) und dies in schnörkelloser, direkter, klarer Wortwahl mit dem dazu korrespondierendem musikalischen Arrangement) von jener, die schwülstig, bedeutungsschwanger, letztlich vielsagend-nichtssagend, in so einer Art Friede-Freude-Eierkuchen-Mischung daherkommt. Den ersteren Part füllen vor allem viele der alten Rock 'n' Roll - Songs und die in deren Gefolge produzierten Schlager aus, den letzteren eher das, was heutzutage in so Schlager-Veranstaltungen und den ihnen zugrundeliegenden Produktionen alles an Seichtigkeit, an Nichts und an Verlogenheit geboten wird. Der letztere Teil trägt sicherlich nichts, aber auch gar nichts zu sozialen Bewegungen bei (es sei denn, man legt die Sicht, daß faktisch alles politisch ist, also auch das Sich-ablenken-Lassen durch billige Unterhaltung, eben weil man auf diese Weise den wirklichen Alltag nicht mehr adäquat erfassen kann!) Der erstere Teil trägt zu Veränderung zumindest solange etwas bei, wie sich spontan Unmut, Kritk und deutliches Benennen von Mißständen auch musikalisch manifestiert. Musik ist in diesem Fall allerdings auch nur EIN Faktor, wenngleich bisweilen ein doch recht wirksamer.
Auch habe ich hier von der weitverbreiteten Pop-Musik einige (viele) ganz bewußt ausgeklammert, die zwar in aller Regel unter Pop-Musik gelistet werden, jedoch was Qualität und Individualität angeht, von dem üblichen angebotenen Gesäusel und Phrasengedresche, das dann alles auch noch in Wehmutsklängen oder Bedeutungsstakkatos gekleidet, (Gott sei Dank) meilenweit entfernt sind, sich von jenen Niederungen des Geschmacks wohltuend und hoffnungsstimmend abheben.
Natürlich -- da darf man sich keine Illusionen machen -- werden auch all jene "wirklich Großen" und "Niveauvollen" in der einen oder anderen Form, mehr oder weniger, mit unterschiedlichen Graden eingeräumter Gestaltungsfreiheit, in die Marktmechanismen der Musikindustrie verwoben, eingefangen. Aber es wäre aus meiner Sicht unzumutbar, zum Beispiel Gruppen wie The Rolling Stones mit jenen Vertretern der Mitklatsch- und Scheinweltphalanx auf eine Stufe zu stellen, auch wenn The Stones natürlich unter "Pop-Musik" firmieren.
Wer wollte denn einen Bruce Springsteen mit all seinem grandiosen Schaffen auch nur annäherend in die Nähe der Hitparadenjubilierer stellen! Oder gar Bob Dylan, der inhaltlich in jeglicher Beziehung in der Musik wirklich (immer wieder) neue Maßstäbe gesetzt hat, dies sowohl textlich als auch musikalisch auf allerhöchstem Niveau.
Oder Leonard Cohen, der Feinfühligkeit und Feinsinnigkeit in seinem Schaffen vereinen konnte und in schönster Lyrik die überwiegende Bandbreite menschlicher Gefühls- und Erlebenswelten sich selbst und uns zu vermitteln wußte! Da ist / war vor allem auch der "Geschichtenerzähler" (seine Lieder waren meistens überaus lang und umfangreich an Gehalt!) Harry Chapin, der es wunderbar verstand, seinen präzisen Blick nach innen und nach außen, in "Innenschau" und "Außenschau", in zutreffende und nachvollziehbare Worte zu fassen, dies dann mit jeweils aussagekräftiger Musik zu untermalen, der einen Großteils seiner Einnahmen für den Kampf gegen den Hunger in der Welt investierte und Musikerkollegen als auch Politiker beharrlich aufforderte dergleichen zu tun!
Ja, da waren (und sind natürlich auch heute noch) doch einige Interpreten, die sich von der großen Masse der "Unterhaltungsgenies" (nicht mein Empfinden!), also vom weitverbreiteten Pop-Tam-Tam wohltuend (und mit ehrlichen Botschaften und Schilderungen, weitgehend auf dem Boden der Realität bleibend) abheben und -- sicherlich auch neben: Unterhaltung -- etwas mehr bieten als das Gros der "Musik- und Unterhaltungsschaffenden". Ich zähle natürlich dazu auch all die ernsthaften und ernstzunehmenden als auch hochmusikalischen Liedermacher und Songpoeten (für Deutschland seien stellvertetend für andere Hannes Wader, Reinhard Mey und Caroline No genannt), die sich sehr wohl von den Fließbandmusikproduzierenden unterscheiden, also von all jenen, die zu allermeist ihre Fähnchen nach dem (Erfolgs-)Winde hängen.
Aber mein letzter Gedanke -- natürlich nicht qualitativ zu sehen -- soll hier abschließend all jenen gehören, die sich -- sei es bewußt oder unbewußt -- an der fortschreibenden "Umwertung der Werte" beteiligen und damit sicherlich unendlich fern von Aufbruchbewegungen, die Verbesserung der Verhältnisse anstreben, sind (sie sind damit auch weit fern von dem, was seinerzeit der Rock 'n' Roll mitbefördern half!), er gehört nämlich all jenen die sich mit hehrem Tun etikettieren und letztlich nur eines sind: "a pawn in their game" (Bob Dylan), die nicht einmal innehalten können im Sinne von "sitting on a fence" (Mick Jacker", die statt jenes "All my life's a circle" (Harry Chapin) zu erkennen so tun als gehörten sie zu einer fruchtbringenden Avantgarde, all jene die eben sich gerade nicht um den Versuch, gleich dem "Bird on a wire" (Leonard Cohen) um Freiheit mühen sondern mit ihrer Verlogenheit, ihren Einlullungsstrategien genau das befördern, was sie zu verhindern suggerieren: den Stillstand, die Einfalt und höchste politische Abstinenz. Dieses "So-tun-als-ob" ist kontraproduktiv, sofern man an einer positiven Weiterentwicklung der Gesellschaft interessiert ist, es ist einfach nur ekelhaft, seicht, wohl auch primitiv. Natürlich haben auch all jene ihr Recht, die eigenen Produkte und Vorstellungen von Freizeitgestaltung auf den Markt zu bringen, aber wirklich Engagierte sollten mit Blick auf jene Prozesse höchst wachsam sein und immer wieder einschreiten, wenn "wirkliche" Belange des menschlichen Daseins und der Natur (man denke nur an das Bäumefällen in Düsseldorf um viel Platz zu schaffen, damit ein Ed Sheeran-Konzert im Jahr 2018 stattfinden konnte ...) beeinträchtigt werden. Da sollte man schon jeweils angemessen einen Riegel vorschieben und die Aktivitäten dort verorten (lassen) wo sie möglichst geringen Schaden anrichten.
Das umfaßt sicherlich nicht nur oberflächliche Tingel-Tangel-Darbietungen, sondern all jene Bereiche und Versuche, die, vor allem auf Mehrwert schielend, sich des Menschen als Objekt ihrer Gier bemächtigen wollen! Es ist ganz allgemein der Erlebnisindustrie in ihrem fast schon krebsgeschwürhaft anmutenden Wachstumsbestreben entgegenzutreten, es ist ihr Einhalt zu gebieten, man muß ihr zeigen, daß sie keinesfalls das Maß aller Dinge sein kann, daß gerade sie nicht bei der "Umwertung aller Werte" federführend sein darf.
Der Rationalität der Erlebnisnachfrage ist es, eine andere Wertorientierung für Daseins- und Alltagsgestaltung den Menschen nahezubringen. Das Problem ist nämlich, daß der durch penetrant-beharrliche Dauerberieselung hervorgebrachte "rationale Erlebniskonsument" sich "nicht gegen Suggestionen (...) [wehrt], sondern er fragt sie nach: den Ruhm des Virtuosen, den Massendrang zum Rockkonzert, die aktuelle Etabliertheit modischer Details im eigenen Milieu, die Absegnung eines Films als 'Kultfilm', die Verklärung von Reisezielen durch enthusiastische Schilderungen, die feuilletonistische Elevation von Literatur, die Definition des Erlebnisgehalts von Angeboten durch Werbung, die Erzeugung einer Aura von Besonderheit durch exorbitante Preise." (Gerhard Schulze, Die Erlebnisgesellschaft. Kultursoziologie der Gegenwart, Frankfurt/Main; New York, 3.Aufl.1993, S. 436)
Die Erlebnisanbieter versuchen mit ihren Strategien, "die Handlungsmuster der Erlebnisnachfrager möglichst für ihre eigenen Ziele auszunutzen. (...) Sie haben (schon längst) einen durch und durch außenorientierten Rationalitätstypus entwickelt." (ebd., S. 437) Dieser Rationalitätstypus ist jedoch nicht ausschließliches Produkt der Erlebnisindustrie, aber die herrschenden gesellschaftlichen und marktbezogenen Verhältnisse haben durch ihre eigenen Setzungen und Vorgaben es ermöglicht und erleichtert, daß sich jene Erlebnisanbieter in dieser radikalen Form entwickeln und etablieren konnten (und es noch weiter in diese Richtung treiben ...). Gerade in der gegenwärtigen Corona-Problematik zeigt sich, welche Selbstverständlichkeit jene Anbieter an den Tag legen: sie fordern, daß ihre Einnahmeausfälle (die sie als "gigantisch" beschreiben, aber sie können nur "gigantisch" sein, weil die Anbieter zunächst ihre Gigantomanie aufgebaut haben ...) von der Gesamtgesellschaft kompensiert werden, weil sie wegen Lockdowns etc. keine (für ihr betriebenes Wachstum angemessene) Einnahmen erzielen konnten. Da wird sui generis sofort auf "Systemrelevanz" gepocht, zahlen sollen dafür jedoch jene, die überhaupt erst jene Werte schaffen, aus deren Mitteln man Kompensationsleistungen seitens Staat erbringen kann. So schlimm es für den Einzelfall sein mag, vor allem für all jene, die in jenen Bereichen auf ihre persönliche materielle Dauerabsicherung gesetzt hatten, da muß halt auch mal der Konkurs, die Pleite, in Kauf genommen werden.
Mit der allzu forschen Zuschreibung von "Systemrelevanz" sollte zukünftig überhaupt wieder in engeren Grenzen verfahren werden. Das gilt immer auch für andere Bereiche, in denen man ein Geschäftsmodell eröffnet hat, und statt sich der Gesetze einer Marktwirtschaft bewußt zu sein und / oder es auch zu bleiben, hofft man für die Zukunft auf garantierte Einnahmen, diese man dann bisweilen in einer dreist anmutenden Vorgehensweise mit diversen Druckmitteln auf Politik und Gesellschaft einfordert. Was die Erlebnisindustrie (also auch Künstler und "Künstler") angeht, dann ist unübersehbar, daß "gegenwärtige Erlebnisproduktion kein Selbstzweck ist", sondern der oft vorgegebene Selbstzweck, dem Kunst angeblich verschrieben ist, war "immer schon gefährdet durch Eitelkeit und Gewinnstreben" und "die angebliche Verpflichtung auf den künstlerischen Zweck oft genug nur ein Vorwand, um das Erlebnisbedürfnis anderer für eigene, ganz und gar profane Zwecke zu instrumentalisieren." (ebd. 437) Um hier jedoch ein effektives Gegengewicht zu setzen, fehlt es zunehmend am innenorientierten (sprich: eher autonomen, emanzipatorischen, ideologiekritischen) Rationalitätstypus; dieser ist durch beharrliche Manipulaton, auch durch die Praxis politischer Korrektheit, durch massives Rühren der Werbetrommeln und wirksame Restriktionen immer mehr auf den Rückzug gedrängt worden, er war und ist kapitalistischer Märkteorganisation einfach ein Dorn im Auge. Kein Wunder, daß auf dem Erlebnismarkt die Anbieter mehr auf ihre Kosten als die Nachfrager kommen (sofern dann nicht plötzlich lawinenhaft etwas wie die Corona-Epidemie einbricht). Ein außenorientierter (= leicht fremdbeeinflußbarer) Rationalitätstyp läßt sich hinsichtlich Beeinflußbarkeit und Steuerung eben besser "optimieren" als ein innenorientierter. Optimieren hier als Vorgang, möglichst durch das Schaffen entsprechender Voraussetzungen die Menschen in eine gezielte Abängigkeit zu bringen, um ihnen effizient das Geld aus der Tasche zu ziehen. Besonders perfektioniert gerät dies dann, wenn der Konsument glaubt, im Glauben gehalten wird, daß er all das freiwillig und aus seinem tiefsten inneren Bedürfnis heraus leistet ...
Was nun besonders auch auf den Popmusik-Markt zutrifft, ist die Tatsache, daß in der "Dynamik des Erlebnismarktes (...) die Produktion von Erlebnisangeboten immer mehr in die Hand von Korporationen übergeht. Längst ist der als Privatperson auftretende Erlebnisanbieter (Künstler, Schriftsteller, Musiker, usw.) zur Ausnahme geworden, für den die Freiheit von institutionalisierten Sachzwängen eine selbstverständliche Vorbedingung seiner Arbeit ist. (...) Auf dem Erlebnismarkt kommen die Originalgenies fast nur noch im Rahmen arbeitsteiliger Produktionsprozesse zum Zuge, als Ideenlieferanten ohne Einfluß auf die Ideenselektion, als Kommunikationstalente, denen die Inhalte vorgegeben werden, als Detailgestalter, deren Meinung zum Ganzen nicht gefragt ist." (Schulze, a.a.O.,S. 438)
Die Erlebnisanbieter setzen ihre Schwerpunkte und Verwirklichung von Zielen durch Maximierung des Verhältnisses zwischen den Parametern Produkteigenschaft, Absatz und Publikum. Anders formuliert: Wie muß das Produkt beschaffen und gestaltet sein, damit es maximalen Absatz bei einem entsprechend optimiertem Publikum erzielt? Wie läßt sich "Wohlgefühl" beim Konsumenten erzielen, damit er / sie bei der Stange bleibt? Und dieses Spannungsgefüge zu optimalen Erfolg zu gestalten, ist das dominierende, wenn nicht gar ausschließliche Element auch in der Produktion von Pop-Musik. Geht man davon aus, daß die überwiegende Mehrheit doch recht einfach gestrickt ist, sich gerne illusionieren läßt (was man sicherlich ihr grundsätzlich nicht zum Vorwurf machen kann), dann sollte es nicht groß verwundern, daß der übergroße Teil entsprechender Produktionen inhaltsleer, seicht und extrem oberflächlich daher kommt, einfach ein geringes Niveau aufweist. Daß es den Schaffern von "Lebensfreude" nicht um Beständigkeit (außer natürlich der des Gelderwerbs!) geht, sieht man an der ebenso forsch betriebenen künstlichen Veraltung der jeweiligen Produkte; eine längere oder gar sehr lange anhaltende Zufriedenheit mit einem Produkt, hier: mit einem Hit / Schlager / "Künstler-Erzeugnis" wäre kontraproduktiv für die Gewinnmaximierung, Nachhaltigkeit darf hier keinen Platz bekommen ...
Was bleibt also an Einfluß von "normaler" Popmusik auf die gesellschaftliche Entwicklung? Jede Menge, wenn man es so sieht, daß eine intensive Orientierung an der durch sie vermittelten Schein-Realität und Pseudoemotionalität Menschen davon abhält, sich tatsächlich (und kritisch) zu informieren und an der Besserung gesellschaftlicher Verhältnisse mitzuwirken. Aber auf diesen negativen Einfluß darf man keinen Wert legen. Jenem sollte man entgegentreten. Wenn damit die überwiegende Quantität an Pop-Produktionen zurecht so zu kennzeichnen ist (was ihre Wirkungsmacht angeht), dann steht dem auf der anderen Seite ein, wenn auch eher sehr kleiner, Gegenpol gegenüber. Und damit komme ich nochmals auf die Rock 'n' Roll Bewegung in ihren ersten Anfängen zurück (was darauf an "Rock" folgte, war nämlich bereits wieder zumeist die erfolgreiche Integration einer Bewegung in die Saturiertheit von Markt- und Ordnungsdenken!). Michael Ventura sagte, "damals 1956, als Elvis Presley in Tommy und Jimmy Dorseys Show zum erstenmal sein Becken rhythmisch zur Musik bewegten, hätten alle Eltern in den USA ihre Kinder in einer einzigen Nacht verloren." (zit. nach Robert Bly, "Die kindliche Gesellschaft. Über die Weigerung erwachsen zu werden.", München 1997, S.19) Das trifft, sicherlich mit einigen Abstrichen, vielfach den Kern des Geschehens. Der Rock 'n' Roll hatte für eine kurze Zeit geradezu revolutionären Einfluß auf die Jugenbewegung, damit auch auf die Sozialisations- und Enkulturations-Basis innerhalb der Gesellschaft. "Dank der Rockmusik fühlten sich junge Männer und Frauen von elterlicher oder institutioneller Bevormundung befreit: Ausgespielt hatte der Tyrann im dunklen Anzug mit der Nickelbrille auf der schmalen Nase, der Lehrer, der ihnen in der Grundschule befohlen hatte, in der Bank zu sitzen, sich zu benehmen oder später in der High-School, sexuelle Regungen zu unterdrücken, sich gerade zu halten, die amerkanische Fahne zu grüßen und aufzustehen, wenn der Lehrer den Klassenraum betrat." (Robert Bly, a.a.O.,S.19). Etwa dreizehn Jahre später mit Beginn des ersten Woodstock-Festivals gab es dann eine Art Fortsetzung jenes Umbruchs, man baute auf den populären "Helden" der späten fünfziger Jahre (aus diversen Genres: Elvis Presley, James Dean, Jack Kerouac, Marilyn Monroe / Norma Jean, etc.) auf: ein weiterer Wendepunkt in der amerikanischen Kultur, so wrude es empfunden: Absage an ungerechte Strenge, weg mit fundamentalistischer Härte, auch mit marxistischer Unbeugsamkeit (sic!), Absage an die steife Moral (vor allem auch der von High-School-Direktoren -- wir kennen das ja aus Deutlschland dann u.a. aus "Unter den Talaren der Muff von 1000 Jahren", ein bekannter Slogan des Aufbegehrens an den Universitäten), ein (sicherlich letztlich auch etwas trügerisches) Gefühl, man habe mehr Menschlichkeit zum Durchbruch verholfen ...
Die Ergebnisse sind ja bekannt, unleugbar ist aber auch, daß hier erneut die Musik eine doch recht wahrnehmbare Einflußgröße gewesen ist. Aber danach war wohl nichts mehr von massiveren Einfluß der Popmusik auf gesellschaftliche Entwicklung zu verzeichnen. Wie auch, denn die Erlebnisproduzenten hatten enorm dazu gelernt, hatten schneller als früher neue Trends in den jeweiligen Subkullturen aufgespürt und die dort geschaffenen Kreationen unverzüglich assimiliert, in ihre Geschäftsmodelle eingebunden, damit sie auch wrkungsärmer werden lassen.
Soll man auch all den Pop-Tam-Tam unter "Kunst", damit konsequenterweise unter "Kultur", subsumieren, sind also die Verteter jenes Genres auch ein Teil von Kultur? Aus meiner Sicht ist dies eindeutig zu bejahen. Denn es kann nicht angehen, daß man "Kultur" engzufassen versucht, etwa nach qualitativen Kriterien. Wer könnte / wollte da denn festlegen, wo Grenzlinien zu ziehen sind? Vom lateinischen Ursprung ausgehend, kann man durchaus sagen, daß alles, was der Mensch macht, sich ausdenkt, erschafft, in den unterschiedlichen Formen verbalisiert oder anderweitig ausdrückt, die "Kultur" bildet. Letztlich ist Kultur der Ausdruck menschlicher Lebensweisen, somit gehört natürlich auch Kunst zur Kultur und umgekehrt. In Kunst und Kultur spiegeln sich Vergangenheit, Gegenwart und in die Zukunft gerichtetes Denken wider. Kunst kann somit deskriptiv, interpretativ als auch visionär wirken. Das läßt sich aus ihren verschiedenen möglichen Dimensionen ableiten. Es ist davon auszugehen, daß Kunst / Kultur auch reflexiven Charakter haben, auch auf menschliches Handeln sich unmittelbar (oder indirekt über diverse Umgangsmodi) auswirken. Besonders spürbar wird dies immer, wenn über Kunst Gefühle und Gedanken ausgedrückt / verarbeitet und vedeutlicht werden. Da hier die jeweils "Kunstschaffenden" logischerweise den Maßstab setzen, die eigenen Intentionen darlegen, verbietet es sich von selbst (also letztlich ein kunstimmanenter Faktor!), daß Kritiker oder mit Kunst Geschäfte betreibende Kreise (z.B. auch Spekulanten und Plattenproduzenten) festlegen, was als "Kunst an sich" wertvoll ist (davon zu trennen ist der -- meist künstlich und / oder psychologisch erzeugte Markt-Wert eines Kunstprodukts!) letztgültig über die Zugehörigkeit zu "Kunst" das Sagen haben. Kunst hat grundsätzlich die Möglichkeit, Sprache (in der eigentlichen konventionellen Wortbedeutung) zu transzendieren (so z.B. in Gedichten und Liedtexten), sie kann gänzlich sprachlos sein (z.B. in Bildern), kann ebenso Raum und Zeit überwinden. "Kultur" (damit auch Kunst) kann durch sie konkretisierende gemeinsame Charakteristika für eine Gruppe, ein Land, eine Region, etc. "typisch", damit unterscheidbar (und abgrenzbar) von anderen Populationen sein. (Diese Aspekt führt häufig zu Spannungen bei Diskussionen, weil derartige Abgrenzungen von einigen sogleich als Ausgrenzung oder gar Diffamierung anderer Personen oder Sozietäten interpretiert wird, somit vergleichende Sozialforschung erschwert. Entgegen jenen Kritikern bin ich der Auffassung, daß sehr wohl "Typisches" -- natürlich nach ideologiekritischer Durchforstung des Sachverhaltes! -- benannt und rein deskriptiv hervorgehoben werden darf. Was "Kultur" per se angeht, kann man m.E. mit dem Medizinanthropologen Cecil Helman auf das Verhalten des Menschen bezogen sie durchaus als ein System von Richtlinien für das Individuum als Mitglied einer bestimmten Gesellschaft definieren. Daß es innerhalb einer Kultur auch leicht oder stark davon abweichende Formen, diese werden dann als "Subkultur" bezeichnet, gibt, ist hinlänglich bekannt und fällt auch immer wieder auf. So war gehörten all jene, die den Rock 'n' Roll als Bewegung anfänglich und in einer eher kurz bemessenen Folgezeit, zweifelsohne zunächst einer Subkultur an, ehe dann die breite Masse ihn aufgriff und sich ebenfalls zu eigen machte -- dann war es nicht mehr sinnvoll, hier von einer Subkultur zu sprechen. Daß alle sich organisierenden und mit Kultur beschäftigenden Personen und Institutionen zum "Kulturbetrieb" gehören, also auch jene, die mit Produktion, Vermittlung und Vermarktung zu tun haben, ist unmittelbar einleuchtend (vorausgesetzt man setzt -- nochmals: aus meiner Sicht nicht sinnvoll machbar -- keine ausschließende Grenzen für das, was an Geschaffenem Kunst ist und was nicht).
Natürlich ergeht es dem Begriff "Kultur" nicht anders als anderen Begriffsbildungen: je nach Interessenlagen, je nach Kommuniktionsintention, je nach Deutungspositionierung wurde / wird er immer wieder unterschiedlich bestimmt und auch entsprechend abgegrenzt. Wir können dann jeweils das "lebendige Selbstverständnis", den "Zeitgeist", den Herrschaftsanspruch ausmachbarer gesellschaftlicher Klassen, bzw. deren Status herauslesen; ebenso das Wissenschaftsverständis bei Analyse und Definitionsbemühungen, es zeigen sich anthropologische Akzentuierungen, philosophische Schwerpunktsetzungen, wohl auch eine ganze Bandbreite von normativen Vorgaben bis zu rein deskriptiven. Egal wie man selbst dazu steht, wie die eigene Positionierung ist, man wird das nicht verändern können, sich damit abfinden müssen, freilich nicht resignierendv, sondern in diskursiv-kritischer Auseinandersetzung, dies mit Ziel, eine jeweils brauchbare Praxis darüber zu entwickeln, wie mit "Kunst", wie mit "Kultur" umzugehen ist.
Wenn man nun sinnvollerweise keine Ausgrenzung von Popmusik (und natürlich anderen Produkten) vornimmt, wenn man also sozusagen eine qualitative Beliebigkeit zuläßt bzw. einräumt, dann heißt das natürlich keineswegs, daß man zu einem Kunstprodukt, zu einer Kunstrichtung, zu einem Künstler o.ä. eine indifferente Haltung oder gar eine affirmative (etwa auf Grund der bloßen Tatsache, daß er / sie auf der Bühne steht, in den Charts gelistet wird, etc.) Haltung einzunehmen hat. Das Gegenteil sollte der Fall sein!
Es wäre völlig falsch, den Versuchen der "Kunst- / Kulturanbietern" auszuweichen, sie zu ignorieren, vielleicht gar noch zu jenen zu gehören, welche staatliche Subventionierungsbemühungen nicht kritisch hinterfragen!
Es wäre auch völlig verkehrt, weiterhin tatenlos zuzusehen, wie mit Zangsbeiträgen in den Öffentlich-Rechtlichen das, was man als "seicht", als "minderwertig", als inhaltsleer und belehrend, täuschend, wirklichkeitsverzerrend vorgesetzt bekommt, was alles andere als bildungsaffin ist (Stichwort: Bildungsauftrag der ÖR, den sie bekanntlich ja immer so betonen, wenn es um Legitimationsversuche für die Gebührenregelung geht ...) weiterhin auf Kosten einer Allgemeinheit unterstützt und vermehrt wird. Da heißt es: dagegen aufbegehren, sichtbar machen, was alles so läuft, auch die eigene Sicht über den "Wert der Darbietungen" möglichst in solidarischem Schulterschluß mit anderen, die auf mehr Niveau pochen, laut vernehmlich deutlich zu machen. Vielleicht ändert sich ja dann doch ein klein wenig -- oder gar viel, irgendwann, hoffentlich nicht zu spät. Vielleicht wird es so möglich, die "Umwertung aller Werte" wieder in bildungsgemäßere Fahrwasser zu lenken. Und in diese Richtung muß gearbeitet, gewirkt, werden, nicht zuletzt um wachsende Infantiliät sowie zunehmende Geistesarmt aus dem Sozialgefüge zu nehmen, um so bessere und auch zukunftsfähigere Niveaus zu schaffen. Denn: "Das Individuum, das sich von der Anstrengung der Kultur verabschiedet, erhält dafür die Erlaubnis zum Narzißmus, Freiheit vom alten Unbehagen und eine Freikarte für das große Illusionstheater, in dem Phantasien aller Art auf dem Programm stehen. Man könnte auch sagen, daß der träge, lüsterne Teil der Seele die Erlaubnis erhält, zu tun, was ihm beliebt. Tausende andere Halberwachsene (Anm. d.V.: das ist hier nicht als Alterskohorte zu verstehen, sondern als Zustand mangelnder Reife und fehlender Verantwortugnsbereitschaft!) in anderen Ländern werden das Verhalten eines solchen Menschen decken, so wie eine Truppe jeden Soldaten beim Rückzug deckt." (Robert Bly, a.a.O., S.77) Wer hier als Gegengewicht auf eine neue doch einigermaßen erfolgreiche Bewegung à la Rock 'n' Roll hofft, der dürfte vergebens hoffen; da bedarf es zur Gegenwehr schon anderer Kaliber -- die Musik wird sie diesmal gewiß nicht liefern können.
I remember Gene Pitney
Gene Pitney (eigentlich: Gene Francis Alan Pitney) hatte für Popsänger eine sehr ausgewöhnliche Stimme (Tenor), konnte damit sogar auch über mehrere Oktaven singen. Eine gute Bekannte aus Messina, Giesela H., meinte einmal, seine Stimme wäre alles andere als schön, jedoch faszinierend. (Sie schenkte mir damals seine Single "Verro"; Gene Pitney sang in mehreren Sprachen, auch in Italienisch. Auf dem San Remo Festival 1966 sang er zusammen mit Caterina Caselli das Lied "Nessuno mi può giudicare" und erreichte den zweiten Platz!) Nun, für mich war seine Stimme jedoch beides, schön und faszinierend, geradzu mitreißend. Erstmals hörte ich von ihm durch das Lied "Town Without Pity" aus dem gleichnamigen Film. (Für diesen Film-Song erhielt er den Golden Globe Award!) Es ging darum um die Mitleidlosigkeit der Bewohner einer deutschen Stadt, in der ein Mädchen von einem amerikanischen Soldaten vergewaltigt worden war und in der Folge alles andere als die notwendige Hilfe und Unterstützung erhielt. Gene Pitney konnte sowohl rockig (Beispiel: "I Wanna Love My Life Away", 1961 ein Riesenhit) als auch sehr einfühlsam und getragen singen. In "Amore Mio" trug er auf innig-eindrucksvolle Weise das Liebesgefühl seiner Angebeteten vor. In "Princess In Rags" schildert er, daß alle sein Mädchen niedermachen, ob ihrer armseligen Kleidung verachten, sie ablehnen, für ihn aber sei sie einfach sein Ein und Alles, eine Prinzessin, trotz der "Lumpenkleider". So geht es auch in "Something's Gotten Hold Of My Heart" um die Liebe, wie sie plötzlich ihn überfallen hat, wie er plötzlich so völlig aus dem Häuschen ist -- eben wegen dieses Verliebtseinkönnens. Anders dagegen in "Building Up My Dreamworld", ein Lied in dem Gene Pitney das Thema Flucht vor der Wirklichkeit, Flucht in eine Traumwelt aufgreift und -- zugegebenermaßen -- auf einfacher Ebene versucht abzuhandeln. Aber wer erwartet von Popmusik schon tiefgründige oder gar philosphische Erörterungen! Das kann sie doch wahrlich nicht leisten. Was sie immer wieder zu leisten vermag: Themen anzureißen, die Menschen (vor allem junge Menschen) sehr bewegen, ein Stück "Verstandenwerden" vermitteln, dadurch vielleicht sogar bisweilen für notwendige Ablenkung bei getrübter seelischer Verfassung zu sorgen. (Daß entsprechende Lieder davon auch genau das Gegenteil bewirken können, kann nicht bestritten werden! Ich denke "Town Without Pity" gehört eher in diese Kategorie.)
Gene Pitney wurde am 17. Februar 1940 in Hartford, Connecticut, USA, geboren; er verstarb am 5. April 2006 in Cardiff, Wales, Großbritannien. Am 4. April 2006 hatte er noch in Cardiff in der St. David's Hall ein Konzert gegeben, am folgenden Tag fand man ihn tot im Hotel angekleidet auf seinem Bett liegen. Sein Tourmanager James Kelly sagte aus, Gene sei anscheinend friedlich eingeschlafen.
Er schrieb sehr viele Lieder, vor allem auch für andere Sänger und Sängerinnen, natürlich auch für sich selbst. Wer zum Beispiel "Pretty Flamingo" von Manfred Mann kennt, sicherlich sehr gut gemacht, der sollte sich auch einmal Gene Pitneys Version des Liedes anhören. Ich fand beim ersten Hören, daß er es noch besser als Manfred Mann verstanden hatte, das im Text ausgedrückte Gefühl auszudrücken. Es ging darum, wie man die aus Liebe gesehene Schönheit und Eleganz des Mädchens vergleichen kann, eben daß sie wie ein Flamingo wirkt und geht. (Ob das für jede ein akzeptables Kompliment wäre, sei einmal dahingestellt.) Ehe er endgültig unter seinem Namen Gene Pitney auftrat, benutzte er einige Pseudonyme. So nannte er sich im Jahr 1958 Ginny Arnell in dem Duo Jamie & Jane ("Snuggle Up Baby", "Strolling -- Through the Park", "Faithful Our Love", "Classical Rock And Roll"), 1959 trat er solo als Billy Bryan ("Cradle Of My Arms", "Going Back To My Love") auf.
Bekannt gemacht wurden Lieder von ihm zum Beispiel durch Roy Orbison ("Today's Teardrops", wobei ich persönlich Gene Pitneys Version viel besser, weil eindringlicher gesungen, finde), Rick(y) Nelson ("Hello Mary Lou"; auch dieses Lied hat Pitney selbst gesungen, und zwar -- wie ich meine -- hervorragend), Bobby Vee ("Rubber Ball", einen Riesenhit für Vee, siehe oben, wie er durch Buddy Hollys tragischen Tod ins Rampenlicht der Öffentlichkeit geraten konnte); auch sein "He's a Rebel" erlangte hohen Bekanntheitsgrad und großen Hitparadenerfolg durch die The Crystals.
Mir hat besonders gut gefallen (und gefällt mir auch heute noch) sein "Every Breath I Take", produziert von Phil Spector, den wir u.a. durch die Arbeit mit Elvis Presley kennen. Er arbeitete auch mit den berühmten und außerordentlich erfolgreichen Musikern Burt Bacharach und Hal David zusammen, davon zeugen Hits wie "The Man Who Shot Liberty Valence" (Filmmusik zum gleichnamigen Western), "True Love Never Runs Smooth" (sicherlich eine zutreffende Feststellung ...), "Twenty Four Hours from Tulsa" (hier zeigt er auf, wie das Leben eben einem so manchmal mitspielt, wie man ein ursprüngliches Ziel aus den Augen verlieren kann ...); unzählige schöne Lieder stammen von ihm: so auch "Looking Through The Eyes of Love" (wie eine Frau ihren Freund einfach nur "überschätzt" weil sie ihn durch die Augen ihrer Liebe betrachtet und wertet), " I Must Be Seeing Things" (hier geht es um Seelenqualen, weil ein Mann Dinge sehen muß, die er vom Verhalten seiner Freundin lieber nicht sehen möchte ...), "Nobody Needs Your Love (more than I do)" (ein Mann versucht seiner Angebeteten zu erklären, wie wichtig, wie unverzichtbar sie für ihn sei), "Half Heaven, Half Heartache" ( darin: wie eben Liebe so spielt, wie sie ist, wie sie wirkt ...) und darüber hat er dann auch 1990 erneut mit dem bekannten "Let The Heartaches Begin" musikalisch sinniert ... Mir hat auch besonders sein "Ausflug" in die Country & Western Musik gefallen: schon phantastisch wie er mit George Jones "Lousiana Man", "Mocking Bird Hill" sowie "Why Baby Why" und mit Melba Montgomery "Being Together", "Everybody Knew But You And Me", "Being Together", "There's Gonna Be More Loving", "Baby Ain't That Fine" sowie "This Precious Love" singt ...
Bei der Fülle seiner guten Songs bleibt mir hier nichts anderes übrig als die Aufzählung abzubrechen. Sein Wirken ist vielerorts dokumentiert und gewürdigt, also bei Interesse einfach weiter tätig werden ...
Ab 1964, dem Jahr der britischen Musikinvasion in die USA (Beatles, The Rolling Stones, etc.), sank Gene Pitneys Stern am amerikanischen Schlagerhimmel (allerdings hatte er dort 1968 noch einen Erfolgshit mit "She's A Heartbreaker", er blieb jedoch in Europa, vor allem in Großbritannien weiterhin sehr erfolgreich; in Deutschland und Großbritannien erhielt er für seine Neuaufnahme von "Something's Gotten Hold of My Heart" (Duett mit Marc Almond!) sogar die Goldene Schallplatte verliehen. (Das Lied war auf dem ersten Platz der Hitparaden in beiden Ländern als auch in der Schweiz, in Irland und Belgien.) Seit 2002 ist Gene Pitney in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen. Inwieweit Gene Pitney mit der Kernaussage seines Hits "Only Love Can Break A Heart" allerdings richtig liegt, inwieweit diese Aussage verallgemeinerbar ist, dürfte recht unterschiedlich wahrgenommen und beantwortet werden.
I remember: K.H.
Die Musik dieser Gruppe hatte mich von Anfang an fasziniert. Sehr rockig, dabei gleichermaßen melodiös und aufregend. Eine echte Frische in der damals doch überwiegend sehr dezenten Instrumentalwelt der Popmusik ... Jedenfalls besorgte ich mir immer wieder deren neue Hits, von denen einige auch ein rockiges Arrangement bekannter Volkslieder waren. So zum Beispiel der Orange Blossom Special, The Old Spinning Wheel, You Are My Sunshine, Red River Valley (wurde zum weltbekannten Red River Rock gemacht!) und Old Smokie. Die Band selbst bestand aus musizierenden Schulfreunden aus Toledo in Ohio. Der Bandgründer Johnny Paris (eigentlich John M. Pocisk -- seine Eltern waren in die USA eingewanderte Polen) war jedoch das einzige Bandmitglied, das dauerhaft unter Johnny & The Hurricanes firmierte. Gut, die Musik war für mich einfach klasse, beinahe unbeschreiblich schön und gut!
Was aber hat diese Gruppe mit K.H. zu tun? Die Gruppe selbst nichts, sie hätte ihm höchstwahrscheinlich nicht einmal gefallen. Aber eines Tages traf ich Hilde, eine alte, sehr gute und liebe Bekannte, beim Einkauf. Sie sagte zu mir, Johnny and The Hurricanes würden am Abend in einem Tanzlokal ("Morningstar" -- ich mied normalerweise jenen Ort wie der sprichwörtliche Teufel das Weihwasser) spielen. Ich dachte zunächst, sie nähme mich auf den Arm, denn daß diese Gruppe in dieses (von mir eher so empfunde) Kaff sich verirren könnte, schien mir mehr als absurd. Immerhin doch eine Gruppe von Welt! Dann sagte sie noch eher beiläufig, K.H. habe sich umgebracht, das wisse ich sicherlich schon. Ich wußte es nicht! Ich war nicht nur geschockt, sondern auch immens traurig. Vor zwei Tagen war ich mit ihm noch in den hiesigen Auen spazieren gewesen, hatte mich mit ihm -- wie eigentlich immer -- gut, vor allem niveauvoll unterhalten. Mit ihm konnte man -- im Gegensatz zu so vielen anderen -- wirklich über alles reden. Er war anders als die meisten der damaligen Bekannten. Er war vor allem ehrlich, extrem ehrlich, vor allem auch sensibel, tiefgründig, gescheit, sehr emotional, mochte Gedichte, dachte sich selbst immer wieder (Phantasie-) Geschichten aus und konnte sowohl große Freude über etwas und jemanden zeigen wie auch ihn überfallende Trauer ansprechen. Ich mochte ihn sehr. So wie er war. Obwohl ich unsere Beziehung eher mit dem, was man amerikanisch so als "Buddy" bezeichnet, beschreiben würde. (Freund ist für mich ein sehr trennscharfer Begriff, den ich eher an den Idealen wie sie in der Klassik beschrieben sind, orientiere, sodaß ich für meinen Teil feststellen muß, man sollte mit der Bezeichnung "Freund" sehr zurückhaltend und feinsinnig umgehen. Jedenfalls habe etwas gegen die längst inflationäre Bezeichnung "Freund" für die normalerweise bestehenden Beziehungsebenen.)
Hilde und ich redeten noch lange auf dem Gehsteig vor jenem gesichtslosen Drogeriemarkt, sie wußte aber auch nicht viel mehr über K.H.s Tod als das bislang Gesagte. Sie fragte nochmals, ob ich denn nicht doch mit ihr zu Johnny & The Hurricanes gehen wollte, sie spielten tatsächlich hier im Kaff. Wir gingen dann abends zusammen dorthin, sie spielten tatsächlich, im Laufe des Abends setzten sich noch zwei andere Bekannte zu uns an den Tisch und mit alledem war dann das Schreckliche zumindest für Augenblicke zu verdrängen, zu vergessen. So bekam jene Gruppe an jenem Tage für mich allerdings noch eine weitere, eine zusätzliche, eine andere Bedeutung. Und von der ursprünglichen Band war nurmehr Johnny Paris vorhanden. Die Musik klang jedoch wie eh und je: original, rockig und sehr melodiös. Das Übrige blieb jedoch und mußte seelisch in der Folgezeit so nach und nach aufgearbeitet werden. Geblieben sind jedoch: die Erinnerungen an K.H., immer wieder erscheint er in meiner Gedankenwelt -- bis heute.
Letztlich sind solche Ereignisse, auch das des tragischen Endes von Del Shannon (s. nachfolgend), jene Gegebenheiten, in denen man sich zwischen den beiden Extrempolen bewegt: lieber tragisch träumen oder realistisch resignieren. Die Antwort hierauf sollte man dann irgendwo dazwischen suchen, auf der Ebene einer der eigenen Gesundheit dienenden (Lebens-)Pragmatik.
I remember: Del Shannon (Charles Weedon Westover)
Es gab eine Zeit, da ging ich in Donauwörth zur Schule. Ich hatte im Zentrum ein Zimmer bei zwei alten Lehrerinnen. Mein Vater war berufsbedingt unter der Woche ebenfalls dort in einem Zimmer einquartiert. Ich sah ihn den ganzen Tag nicht, er war in seiner Arbeit, auch war er ansonsten berufsbedingt häufig abwesend. Ich muß zugeben: diese Zeit habe ich immer genossen, fühlte mich da einfach freier und keinen lästigen Fragen ausgesetzt. Die Lehrerinnen waren extrem christlich und entsprechend konservativ, sodaß mein Zimmer, von der Ungemütlichkeit einmal abgesehen, auch so kein Ort war, zu dem man jemanden einladen konnten. Mädchen wären ohnehin Tabu gewesen, es hätte die beiden alten Damen wohl in den Infarkt getrieben. Aber die beiden waren ansonsten schon okay. So konnte ich am späten Nachmittag immer in ihrem Wohnzimmer AFN hören, sie brachten mir jeden Tag die Zeitung aufs Zimmer und ab und zu bekam ich von ihnen auch zu Mittag eine Suppe spendiert; so konnte ich das vom Vater für mein Mittagessen in einer nahegelegenen Wirtschaft vorgesehene Geld sparen, um damit immer wieder Schallplatten zu kaufen. Der richtige Ort hierfür war ein Elektrogeschäft in der Bahnhofstraße; dort verbrachte ich ohnehin viel Freizeit, weil ich mich mit der Verkäufern recht gut verstand und wir stundenlang über Musik und andere schöne Dinge reden konnten. (Aus dieser Beschreibung ergibt sich schon, daß ihr Chef ein extrem toleranter und verständnisvoller Mensch gewesen war, denn immerhin war das Mädchen dort ja als Lehrling beschäftigt ...) Als ich wieder einmal nach der Schule unverzüglich in das Geschäft ging (es war im Jahr 1961), lachte sie mir sogleich fröhlich entgegen, meinte sie habe etwas Neues für mich und legte auf: "Runaway" (= hier: Ausreißerin, da es sich um ein Mädchen handelt). Sie spielte mir das Lied mehrmals hintereinander vor. Ich war von Del Shannons erstem Hit sogleich wahnsinnig fasziniert. Die Geschichte von einer Verflossenen, er fragte sich immer wieder, weshalb sie denn weggelaufen und wo sie nun zu finden sei. Ebenfalls hörenswert fand ich die Rückseite der Single: "Jody" (ebenfalls ein eher wehmütig klingender Inhalt). Runaway war und blieb Del Shannons allergrößter Hit, er hatte aber in der Folge zahlreiche, auch weltweit, erfolgreiche Titel veröffentlicht.
Von jenem Tag an gehörte er zu meinen Lieblingssängern, der am 30. Dezember 1934 in Grand Rapids, Michigan, geborene Sänger Del Shannon (eigentich: Charles Westover Weedon). Sein Todestag ist der 8. Februar 1990, Santa Clara, Kalifornien. Er hat sich am 8. Februar 1990 selbst erschossen; Shannon war zunehmend von Depressionen geplagt, seine Frau meinte, sein Suizid sei Folge der Einnahme von Prozac gewesen (er hatte es zwei Wochen zuvor verschrieben bekommen) und verklagte den Hersteller.
Del Shannon wuchs in der Kleinstadt Coopersville (vor allem bekannt durch Getreide-/Frühstücksflocken-Produktion, z.B. Kellogg's und Post), Michigan, auf, sein Vater arbeitete als Lastkraftwagenfahrer. Schon als Schüler spielte Del Shannon leidenschafltich Gitarre (er fing mit 14 Jahren damit an). Er hörte auch sehr gerne Country & Western Musik, zu seinen Lieblingsinterpreten gehörten Hank Williams, Hank Snow und Lefty Frizzell. Er schätzte ebenfalls die Gruppe "Ink Spots" sehr, sagte einmal, von ihnen beeinflußt habe er sich seine Falsetto-Gesangsstimme angeeignet.
Als er 1956 zur US-Armee eingezogen wurde, kam er nach Stuttgart, spielte auch dort sehr viel Gitarre, trat auch öffentlich auf und gewann bei einem Talentwettbewerb, was ihm letztlich beim Armeesender AFN (American Forces Network) eine eigene Radioshow einbrachte: "Get up and go". 1958 verließ er den Militärdienst wieder, kam nach Michigan zurück und heiratete dort seine Jugendliebe Shirley Nash ("a local Michigan girl" aus einer sehr kinderreichen Familie: sechs Brüder und sechs Schwestern). Sie wohnten dann in Battle Creek (ca. 50.000 Einwohner) im Süden des Staates. [Del und Sue lebten 30 Jahre zusammen, ließen sich dann "plötzlich" scheiden, nachdem sie sich auseinandergelebt hatten. Er heiratete 1986 dann wieder, Bonnie LeAnne Tyson; mit ihr ging er auch auf Tournee: 1987 Japan, 1988 England, 1989 Australien. Zusammen gründeten sie auch eine Plattenfirma: CLAW-Music, zusammengesetzt aus den jeweiligen Initialen von Charles and LeAnne Westover]
Zunächst arbeitete er als Teppichhändler, formierte eine Countryrock-Band und trat mit ihr in diversen Clubs auf. Das war auch die Zeit, in der er den Namen Del Shannon für sich als Künstler wählte (eine Zusammensetzung aus dem Namen seines Lieblingsautos Cadillac Coupe De Ville und dem Ringer Mark Shannon, den Charles Westover bewunderte). Es ergab sich ebenfalls in dieser Zeit, daß der DJ und Plattenproduzent Ollie Mc Laughlin (damals war in den USA das Rassenproblem noch besonders gravierend und weitverbreitet -- ganz gelöst ist es bis heute offensichtlich immer noch nicht! --, selbst im Musik-Geschäft herrschte bisweilen eine radikale Trennung, sodaß es immer wieder -- positiv! -- auffallend war, wenn "Schwarz" und "Weiß" über die faktisch bestehenden Schranken hinweg zusammenwirkten; Mc Laughin war Afro-Amerikaner) ihm einen Schallplattenvertrag bei der Firma Big Top verschaffte. Die ersten beiden Aufnahmeversuche bei BigTop ("The Search" und "I’ll Always Love You") scheiterten jedoch (angeblich war Del Shannon zu nervös und unsicher), sie wurden von der Firma nicht veröffentlicht. Doch Ollie Mc Laughlin ließ nicht locker; nachdem er mehrere Demos von Del Shannon gesichtet hatte, konzentrierte er sich ein Lied namens "Little Runaway", das er aus mehreren Demos (u.a. "Daydreams", "The Prom", "One More Time", Condemned To Die" und "Honey Bee") ausgewählt hatte. Und das war der Schlüssel zum Durchbruch ...
Del Shannon hatte nun seinen Song, der ursprüngliche Titel wurde zu "Runaway" umgetextet, Max Crook, sein Band-Keyboarder, hatte die Melodie geschrieben. Am 24. Januar 1961 nahmen sie den Song dann in New York (Bell Studios) auf, gleich im Februar brachte BigTop die Platte auf den Markt. Es dauerte nur 3 Wochen, da war der Song schon in den Billboard Hot Hundred, am 24. April 1961 dort dann bereits auf Platz Nummer 1. Shannons für damalige Zeit außergewöhnlicher Gesang (Falsettstimme) und der melancholische Text hatten offensichtlich den Nerv eines großen Publikums getroffen ...
Es heißt, daß es Tage gab, an denen bis zu 80.000 Singles davon verkauft wurden. Auch in Großbritannien kam Del Shannon mit diesem Hit auf Platz 1 (dort veröffentlicht auf dem London Label). Del Shannon blieb weiterhin sehr erfolgreich mit seiner Musik. Er schrieb sehr viele seiner Titel selbst, die Texte beschäftigten sich mehr mit Liebesleid als mit den Freuden der Liebe, auch Sehnsucht spielte immer wieder eine große Rolle in seinen Veröffentlichungen. Del Shannon wechselte mehrmals die Plattenfirma, was jedoch seinem Erfolg keinen Abbruch brachte. Besonders erfolgreich war und blieb er in Übersee.
Hier ein kleines Zwischenresümee einiger seiner erfolgreichsten Hits (Angabe mit der Jahreszahl des Erfolgs und den höchsten Hitparadenpositionen; GB = Großbritannien und USA):
Runaway (1961; USA #1, GB # 1); Hats Off To Larry (1961; USA # 5, GB # 6) -- in diesem Lied freut sich Del Shannon über Larry, der das Herz einer Frau nun so gebrochen hat wie sie zuvor es ihm angetan hat; So Long Baby (1961; GB # 10) -- hier wird der Abschied noch mit einem eigenen Eingeständnis "garniert": "I've got news for you, I was untrue, too."; Hey, Little Girl (1962; GB # 2) -- in diesem Lied wird einer von ihrem Freund verlassenen angeboten, nun für sie dazusein, ihr jene Liebe zu geben, die sie verdient; The Swiss Maid (1962; GB # 2) -- die Geschichte eines Mädchens, die in den Schweizer Alpen von ihrem Vater auf der Alm so stark behütet wird, daß sie keine Bekanntschaften schließen kann; ob es ihr dann irgendwann doch gelungen ist "down in the valley" zu gelangen, um dort ihre Liebe kennenzulernen, bleibt letztlich offen, wird von Del Shannon jedoch mit einem positiven Gedanken versehen: "I'd rather think she found her love, somewhere, someday ..." -- Little Town Flirt (1963; GB # 4) Es wird vor einem Mädchen gewarnt, die mit allen in der Stadt herumflirtet und: "She only lets you down." Two Kinds Of Teardrops (1963; GB # 5) -- Del Shannon setzt sich darin mit der Tatsache auseinander, daß es zweierlei Arten von Tränen gibt, die Tränen aus Freude und jene aus Kummer, Leid und Trauer. Keep Searchin' (We'll Follow The Sun) (1964; USA # 9, GB #3) -- nur nie aufgeben, immer dem sonnigen Strahl folgen ...
Bis 1966 war Del Shannon jedenfalls regelmäßig in den Hot Hundred vertreten! Mit einer von ihm 1963 selbst gegründeten Plattenfirma (Ber-Lee Records, nach seinen Eltern benannt) brachte er nur zwei Singles heraus, eine davon, "Sue's Gotta Be Mine" erreichte in den US-Charts Platz 71, in Groß-Britannien Platz 21 (auf dem London-Label). Seine allerletzte Listung in den Charts hatte er dann auf Liberty Records (Platz 33 in den Billboard Hot Hundred) mit "The Big Hurt". Del Shannon ließ sich auch nicht von der Beatlemania in den USA kleinkriegen; im Gegenteil: er "traute" sich, einige ihrer Riesenhits zu interpretieren, mit ihnen somit in "Konkurrenz" zu treten. Seine Cover-Version von "From Me To You" war in den USA sehr erfolgreich. Die Idee, dieses Lied aufzunehmen, kam Del Shannon bei einem Konzert in der Royal Albert Hall am 18. April 1963: er trat da zusammen mit The Beatles auf, war von deren Song "From Me To You" so begeistert, daß er John Lennon sagte, er werde diesen Song auch aufnehmen. Auch in England ist er mit den Beatles auf der Bühne gewesen. Wie überhaupt seine Popularität in Groß-Britannien immer wieder gesteigert wurde, so auch durch die Cover-Version seines "I Go To Pieces" durch das britische Pop-Duo Peter & Gordon.
Als Shannon jedoch mit Punk-Rock-Sound versuchte zu arbeiten, ging es mit seiner Karriere abwärts. Er war zwar als Produzent noch erfolgreich, produzierte Ende der 60er den Countrysänger Johnny Carver, arbeitete mit The Monkees (der eher mißlungene Versuch einer amerikanischen Antwort auf The Beatles!) zusammen, hatte vorher schon den dann recht erfolgreichen Brian Hyland ("Itsy Bitsy Teenie Weenie Yellow Polkadot Bikini", "Ginny Come Lately", "I Should Be Getting Better", "The Joker Went Wild" u.a.) entdeckt und produziert, ging in den 70er immer wieder auf Tour und arbeitete mit unterschiedlichen Musikern zusammen (so auch mit Tom Petty, der ihm in den 70er Jahren auch wieder etwas "auf die Beine" half), war dann wieder mehr "gefragt" und einigermaßen erfolgreich unterwegs auf diversen Bühnen (USA, GB, Australien, Deutschland) und er schrieb Filmmusik für Grease und Street Hero.
Sein Versuch ein Comeback als Countrysänger zu feiern, führte ihn 1984 nach Nashville, Tennessee, er bekam einen Vertrag von Warner Brothers Records und war mit einigen eigenen Kompositionen leidlich erfolgreich. Immerhin schaffte er es mit "In My Arms Again" in die US-Country-Charts, sein Lied "Cheap Love" erreichte von Juice Newton gesungen sogar Platz 10 im Jahr 1986. Es heißt, Del Shannon sollte nach dem Tod von Roy Orbison (1988) dessen Stelle bei den Traveling Wilburys (u.a. mit Bob Dylan und George Harrison) einnehmen. Ob das zu einem weiteren Erfolg geführt hätte, kann man nicht mehr wissen, denn Del Shannon setzte am 8. Februar 1990 seinem Leben selbst das Ende. 1998 wurde er in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen.
Mir persönlich hat übrigens auch die Rückseite von "Keep Searchin'", "Broken Promises" sehr gut gefallen. Aber wie schon gesagt, ich könnte da viele andere Titel noch nennen, wie z.B. "Kelly" ("Kelly and I meet secretly, we stay out of sight, when we're in each others arms we know it isn't right (...)"), "Early In The Morning" ("she'll be gone .../ I miss the warm kisses") [1968 / 1972 Capitol Records], er nahm den einst sehr großen Hit der Impalas "Sorry, I Ran All The Way Home" und Jimmy Jones' Welthit "Handy Man" (auch gecovered von James Taylor) auf, und, und, und ... wie Del Shannon es selbst wohl am besten ausgedrückt hat: "And the music plays on" (1974, Island Records). And it plays on, on, on ... And in a way Del Shannon is still present ...
He's given much influence to many singers and other folks, Huddie Ledbetter, better known as Leadbelly:
Huddie Ledbetter, weltweit bekannt geworden unter dem Namen Leadbelly, wurde am 21. Januar 1888 in Mooringsport, Louisiana geboren und wuchs auf der Farm seines Vaters in der Nähe von Mooringsport, La, auf. Mit 16 Jahren nahm er seine Gitarre, ging zunächst nach Shreveport, später dann nach Dallas. Im Sommer und Herbst arbeitete er auf Farmen, im Winter sang er und spielte Gitarre in Saloons und Tanzsälen.
Er spielte sogar verschiedene Instrumente, so natürlich Gitarre (am liebsten die zwölfsaitige), Klavier, Mundharmonika, und Akkordeon.
1935 kam er nach New York und konnte sich dort große Anerkennung auch innerhalb der "weißen" linksintellektuellen Musikszene verschaffen. Da kam er u.a. auch in engen Kontakt mit Woody Guthrie und Pete Seeger.
Trotz seines doch recht großen Einflusses auf die weiße Folkmusic der 40er und 50er Jahre hatte er keinen finanziellen Erfolg. In den 40er Jahren verbrachte er auch einige Jahre in Paris, auch dort blieben ihm größere Erfolge versagt. Im Jahr 1949 ging er auf seine erste Europatournee, erkrankte während der Tour an Lateralsklerose und starb wenige Monate später in New York.
Sein Leben war sehr bewegt, er bekam immer wieder viel Ärger mit einigen Mitmenschen, die mit seiner oft recht extrovertierten und bisweilen aggressiven Art nicht so ganz oder überhaupt nicht zurecht kamen. Es gab auch für ihn immer wieder zahlreiche größere Probleme wegen Frauenbekanntschaften.
Unbestritten waren jedoch seine musikalische Beliebtheit und sein großes Können, was auch in seinen vielen Auftritten in Camps immer wieder deutlich wurde. Letztlich war er sehr nahe an der Musik und am Publikum.
Leadbelly hat ca. 170 Songs aufgenommen, einige von seinen Liedern wurden später von namhaften Künstlern bzw. Bands gecovert. Bekannt dürften vielen u.a. "Cotton Fields", "Goodnight Irene", "Rock Island Line", "Black Betty" und "Where Did You Sleep Last Night" sein. Er hat auch viele Traditionals immer wieder auf seine Art interpretiert. Ob das von ihm übernommene "Midnight Special" aber tatsächlich, wie behauptet, von Lomax geschrieben wurde, ist umstritten; es existieren da nämlich schon Textaufzeichnungen aus dem Jahre 1905.
Zurück zu seinen "sozialen Schwierigkeiten": Wegen einer massiven Auseinandersetzung -- ein anderer zog seinen Revolver, Leadbelly war jedoch schneller und schoß seinen Gegner in den Kopf --, erhielt er als Folge 30 Jahre Zuchthaus aufgebrummt, von denen er jedoch nur 6,5 Jahre absitzen mußte. Später erhielt er erneut eine Gefängnisstrafe, er hatte sich wieder an einem Straßenkampf beteiligt. Aber auch diesmal gerieten ihm seine musikalischen Fähigkeiten zum Vorteil: Lousianas Gouverneur O.K. Allen gewährte ihm Pardon nach einer intensiven Vorsprache / Fürsprache des sehr bekannten John Lomax, Folklorist und Dozent in Harvard und anderen renommierten Lehrinstutionen. Leadbellys Gesang und seine Texte wurden danach Gegenstand in Lehr-/Lernveranstaltungen, er selbst trat dort auch auf. In der weiteren Folge nahm er auch in New York viele seiner Lieder auf, wurde immer bekannter und angesehener, er hinterließ ein reichhaltiges Erbe an Songs. Leadbelly starb am 6. Dezember 1949 im New Yorker Bellevue Hospital. Ein Mann mit einem sehr bewegten (und sicherlich in bestimmten Teilen nicht bewundernswerten) Leben. Musikalisch jedoch war er für viele gewiß eine Größe und Vorbild. Nicht zuletzt für viele Countrysänger und auch für Bob Dylan. Wie sagte Bob Dylan in seiner Nobelpreisrede hinsichtlich Leadbetter: "And somebody -- somebody I'd never seen before -- handed me a Leadbelly record with the song Cotton Fields on it. And that record changed my life right then and there. Transported me into a world I'd never known. It was like an explosion went off. Like I'd been walking in darkness and all of a sudden the darkness was illuminated. It was like somebody laid hands on me. I must have played that record a hundred times." (Bob Dylan, The Nobel Lecture, 2. Auflage 2018, Hoffmann und Campe Verlag Hamburg, S.10)
I remember Johnny Horton:
So ganz genau weiß ich es nicht mehr, mit welchem Song ich ihm zuerst begegnet bin. Bewußt ist mir diesbezüglich jedenfalls sein "The Battle of New Orleans", erschienen 1959, (eine alternative Version gab es etwas später aus britischer Sicht von Lonnie Donegan), ein Lied das wochenlang die Nummer 1 in verschiedenen Hitparaden war. Die Rückseite (flip side) war das Gegenteil von dem eher doch sehr militärisch orientierten Rhythmus der "Battle", nämlich ein sehr getragenes, größte Sehnsucht und tiefen Schmerz ausdrückendes Lied: "All For The Love Of A Girl". Was man beim Hören der beiden in jeglicher Hinsicht sehr unterschiedlichen Lieder sehr gut feststellen kann, ist die enorme Vielseitigkeit Johnny Hortons, sowohl in textbezogener, musikalischer und gesangsmäßiger Hinsicht als auch was seine auf die Gefühlswelten bezogene Haltung und Orientierung angeht.
Aber weil ich seinerzeit sehr viel AFN gehört habe, gehe ich davon aus, daß seine früheren Lieder auch schon immer wieder mich begleitet hatten. Er veröffentlichte bereits recht gute, gleichwohl nicht immer besonders erfolgreiche Country & Western Songs bereits seit dem Jahr1951, wie beispielsweise "SS Lure Line", "Honky Tonk Man", "I'm Ready If You're Willing", "I'm Coming Home", "Take Me Like I Am" (to name but a few ...) ... Wie gesagt, so richtig ge- und betroffen war ich von ihm erstmals seit seinen beiden Liedern "When It's Springtime In Alaska" und "Whispering Pines". Beide waren auf einer Single im Jahr 1958, kurz vor einem weiteren Erfolg, "All Grown Up", auf der Rückseite "Counterfeit Love", erschienen. Und dann eben wirkte auf mich in eindrucksvollster Weise seine "Battle" und sein "All For The Love".
Es folgte Erfolg um Erfolg. Übrigens hatte er sein "All For The Love Of A Girl" schon früher einmal präsentiert (1953), ebenso hat er sein Honky- Tonk Man aus dem Jahr 1956 im Jahre 1962 erneut erfolgreich aufgenommen (2 Wochen in den Hot Hundred und 12 Wochen in den US-Country Charts). Wie er überhaupt einige seiner früheren Lieder später zu einem größeren, wenn nicht gar großen Erfolg führte.
Gut gefallen hat mir zweifellos auch sein "I'm Ready If You're Willing", sicherlich auch deshalb, weil er in diesem Song damals ein auch für mich immer wieder aktuelles Thema angesprochen hatte ... Ich kann hier unmöglich alle Lieder von ihm aufzählen, die mir gefallen hatten, gefallen haben und auch -- zumindest einige von ihnen, dies je nach Stimmungslage -- heute immer noch gefallen. Es waren und sind einfach: viele. Völlig "weg" war ich auch damals, als ich sein "North To Alaska" (veröffentlicht 1960, Rückseite: "Mansion You Stole") hörte und etwas später einmal mehr durch sein "They'll Never Take Her Love From Me" (1961), das allerdings "nur" die B-Seite vom eigentlich als Hit vorgesehenen "Sleepy-Eyed John" gewesen war. Auch wenn er nach meinem Verständnis zwar ein großartiger Song war und auch sein allergrößter Erfolg (ich mochte das Lied wirklich sehr, sang es immer wieder vor mich hin -- bei allen passenden und unpassenden Gelegenheiten ...): einige Lieder von ihm fand ich noch viel, viel besser als sein "The Battle Of New Orleans".
Johnny Horten wurde am 30. April 1025 in Los Angeles, Kalifornien, geboren, Taufnahme: John LaGale (Weshalb er immer wieder behauptete, im östlichen Texas auf die Welt gekommen zu sein, bleibt ein Rätsel.) und verunglückte mit seinem Auto tödlich (Frontalzusammenstoß, unverschuldet) am 5. November in der Nähe von Milano, Texas. Er war bei jener Fahrt auf dem Weg von einem Konzert in Austin nach Shreveport.
Immer wieder unschwer beim Hören all seiner Lieder zu erkennen: er war eindeutig ein Country- und Rockabilly- Musiker. Gitarre zu spielen begann er im Alter von 11 Jahren. Seine Mutter unterstützte ihn dabei. Ursprünglich wollte Johnny Horton Pfarrer werden; er ging deshalb 1944 auf eine Methodistenschule. Diesen Plan gab er jedoch bald wieder auf, zog viel im Land herum und landete dann 1949 in Alaska; dort arbeitete er in der Ölindustrie, schrieb da auch seine ersten Lieder, testete für ein Unternehmen Angelzubehör (was ihm den Namen "The Singing Fisherman" einbrachte ...) und in den späten 50er Jahren gründete er sogar seine eigene Angelzubehör-Firma, allerdings in Natchitoches, Louisiana (Cane River Bait Company). Fischen war und blieb bis zu seinem Lebensende wohl seine allergrößte Leidenschaft, noch vor der Musik. Mit einigen seiner Country-Singer-Kollegen ging er immer wieder zum Fischen (so mit Johnny Cash, Grady Martin, vor allem mit Claude King *), der u.a.mit "Wolverton Mountain" eine Riesenhit hatte).
Johnny Horton vermied Alkohol (übrigens auch Tabletten etc.), angeblich (nur damals und nur bei denen ...?) bei Hillbilly-Sängern eine sehr beliebte und weitverbreitete Droge. Darüber berichtet der Biograph Colin Escott im Zusammenhang mit Hortons Kennenlernen von Donna Cook, die er später heiratete: "By 1947, he was working in the mail room at Selznick studios and living in an apartment with Frank on La Cienega Blvd. At Selznick he met Donna Cook, a secretary, who would later become his first wife. Her mother ran a liquor store in Culver City, which would be a dream come true for most hillbilly singers, but Horton still didn't drink (and never would), possibly from watching the effect that sustained alcohol abuse had wrought on his father." (Colin Escott, "Johnny Horton", Book, S.3, in: Bear Family Box Set "Johnny Horton 1956 - 1960", 4-CDs, BCD 15470). Donna hat auch berichtet, daß Johnny Horton mit dem Hintergedanken, dort Gold zu finden (vielleicht stammt daher auch seine Idee zu dem Song "North To Alaska), nach Alaska gegangen ist. "Johnny (...) decided that he would go to Alaska to work on constructions sites. In the back of his mind, he had the idea that he might find gold, according to Donna to whom he wrote regularly." (Colin Escott, ebd.) Wenn man sich Johnny Hortons Werdegang genau betrachtet, dann fällt auf, daß er zwar sehr großen Gefallen an Musik gefunden hat, gerne auch vor Publikum aufgetreten ist, daß er aber stetes bereit und interessiert war, andere Arbeiten und Wege zu verfolgen. Die im Musik-Business so oft festzustellende Verbissenheit, unbedingt groß herauskommen zu wollen, schien bei ihm nicht so ausgeprägt gewesen zu sein, wie Donna, die ihn ja sehr gut kannte, berichtete: "I was really amazed when he announced he was going to try for a career in entertainment. I'd never heard him sing, although he could pound out a little boogie-woogie on the piano." (Donna Cook, zit.n. Colin Escott, a.a.O., S.3) Laut Escott schien Johnny Horton diese Entscheidung nach einem gewonnenen Talentwettbewerb getroffen zu haben: "Insubstantial as it was, it probably gave Horton the impetus he needed to try for a career in music." Colin Escott verweist sowohl auf die Zufälligkeit dieser Wendung in Hortons beruflicher Orientierung als auch auf den Umstand, daß hier keine einschlägige Verbissenheit auf Johnny Hortons Seite vorherrschte: "And that was how Johnny Horton became a singer. It was probably just something else he was trying in an attempt to find a niche for himself. Unlike most other musicians, he had no deep-seated need to make music. If it hadn't panned out, he would have moved as happily onto something else." (ebd.) Horton hatte vielseitige Interessen, auch mehrere Begabungen, die man schwer qualitativ ordnen kann; auch war er nicht unbedingt auf den Beifall der Masse aus, sprich: er hatte diesbezüglich kaum narzißtische Charakterzüge. Dies alles zeigt Colin Escott in seiner umfangreichen und gründlichen Johnny Horton Biographie klar auf: "It's hard to rank Horton's passions. He certainly had more spokes to his wheel than music, and would probably only have stuck with music as long as it provided him with a better living than he could make as a professional sportsman. Most are agreed that Horton didn't have the deep psychological need for applause in the way that most performers do. Certainly, he preferred to stay in Shreveport and fish than move to Nashville and grapple with the internecine politicking." (Colin Escott, a.a.O., S.46)
Johnny Horton machte auf sich musikalisch besonders aufmerksam als er 1951 dann in Texas an einem Talentwettbewerb teilnahm, den der damals noch völlig unbekannte Jim Reeves (später ein Country-Superstar, der leider recht früh durch einen Flugzeugabsturz starb) veranstaltet hatte: Horton gewann, was ihn zu weiteren Auftritten veranlaßte, lernte dadurch einen Mitarbeiter des Radiosenders KWKH kennen, der ihn wiederum mit Horace Logan bekannt machte. Dieser war Moderator des Lousiana Hayride; er war von Hortons Talent begeistert, engagierte ihn für das Lousiana Hayride und verhalf ihm bei Abbott Records (1951 von Fabor Robison gegründet), spezialisiert auf Country-Musik, zu einem Plattenvertrag. In Pasadena bekam Johnny Horton dann auch eine eigene Radioshow. 1952 zog er nach Shreveport, Louisiana.
Bei seinen dortigen Auftritten beim Lousiana Hayride lernte er vor allem auch den berühmten Country-Sänger Hank Williams kennen. Jener war gerade von der Grand Ole Opry entlassen worden (die Gründe hierfür lagen offensichtlich in Williams unsteten Lebenswandel und einer daraus resultierenden Unzuverlässigkeit, gerade auch was Pünktlichkeit bei Auftritten anging). Dabei lernte er aber auch die Ehefrau von Hank Williams, Billie Jean Jones Eshlimar, kennen, die Johnny Horton im September 1953 (nach dem frühen Tod von Hank Williams) heiratete.
Hank Williams starb bereits recht früh, im Jahr 1953 (am 1. Januar, 29 Jahre alt); man fand ihn tot in seinem Auto, er wollte zu einem Auftritt in Canton, Ohio fahren; als Todesursache wurde von der Polizei ein Herzinfarkt, verursacht durch Medikamenteneinnahme und übermäßigen Alkoholgenuß angegeben. (Hank Williams war schwer alkoholsüchtig, hinzu kam in den letzten Jahren noch eine Morphiumabhängigkeit, zeitlebens hatte er immer wieder schwere psychische sowie andere gesundheitlichliche Probleme. Man kann diese Problemlagen auch aus vielen seiner Lieder heraushören, mit und in denen er seine Gefühle verarbeitete. Ob es Ahnung war, als er in seinem letzten zu Lebzeiten veröffentlichtem Lied sang "No matter how I struggle and strive, I'll never get out of this world alive."? Das Leben allgemein konnte er da ja wohl kaum gemeint haben, denn dann wäre die Aussage mehr als banal, da am "normalen" Lebensende ohnehin der Tod steht. Also dürfte er da nur das Leben gemeint haben, das er selbst führte, seine Art der Lebensgestaltung, aus der er keinen Ausweg fand ...)
Relativ auf seinen späteren Erfolg bezogen, waren Johnny Hortons Plattenverkäufe bei Abbott Records und dann bei Mercury Records jedoch nicht besonders erfolgreich. Als Tillman Franks im Jahr 1955 Johnny Hortons Manager wurde, erhielt er einen Plattenvertrag bei Columbia Records, mit dem ersten dort produzierten Lied "Honky Tonk Man" (ein Rockabilly-Song; vgl. oben mit Elvis & Co ...) stellte sich nun auch der größere Erfolg ein (1956 in den Top-Ten!). Es folgten weitere Rock-A-Billy Titel. Weil er nun so erfolgreich war, bot ihm die Grand Ole Opry an, dort ständiges Mitglied zu werden. Es wäre für Horton sicherlich eine weitere großartige Chance gewesen. Er lehnte jedoch das Angebot ab, weil der Ex-Ehemann seiner Frau Billy Jean, der verstorbene Hank Williams 1952 von der Grand Ole Opry hinausgeschmissen worden war. (Diese Konsequenz Johnny Hortons zeigt gewiß einen guten Charakterzug, leider nicht so üblich im "Big Business", denke ich!) Im Nachhinein läßt sich sicherlich feststellen: Auf die dadurch zumindest vorerst entstandenen finanziellen Einbußen resp. zusätzliche Einnahmequelle als auch Reputationsmöglichkeiten konnte Horton gut verzichten, sie sein weiterer erfolgreicher Weg auf und mit Columbia Records zeigt ... Einige der großen Erfolge seien nochmals hier genannt: "When It's Springtime in Alaska", "The Battle of New Orleans", "North To Alaska", um nur einige Titel zu nennen, zusammen mit all jenen Liedern, die sich inhaltlich an historische Begebenheiten (z.B. "Sink The Bismarck", "Johnny Reb") orientierten, hier vor allem die LP "Johnny Horton Makes History".
Vielleicht sollte ich noch erwähnen, daß Johnny Horton teilweise abergläubisch war und "Vorahnungen" hatte. So ahnte er auch seinen "untimely death" voraus. "Throughout Horton's last years his fascination with spiritualism grew. He became a devotee of spiritualist Edgar Cayce. (...) Horton's fascination divided those close to him; Billie Jean had little use for it, and the eminently practical Tillman Franks saw it as meddling in an area that was best left alone. However, Horton's obsession was matched by that of fellow performers Merle Kilgore and Johnny Cash. It was also matched by songwriter Marijohn Wilkin (Joe's Been A Gittin' There, Waterloo, Long Black Veil etc.) and by that of a local psychic J. Bernard Ricks who acted as a mental counsellor." (Colin Escott, a.a.O., S. 54) Frank Tillman berichtet, daß Horton u.a. erfolgreich Johnny Cash hypnotisiert habe und jener dann nachweisbare Tatsachen und Details aus der jeweiligen Phase erinnerte, dies bis hin zu einem Versuch Hortons, Cash in die Zukunft zu versetzen: "Cash was screamin' and hollerin' about how dark it was in that room. 'Don't make me go in that room!' he kept shouting." (Tilllman Frank, zit. n. Escott, ebd.) Nach einer Schilderung von Howard Hausey, ein absoluter "non-believer, war Johnny Horton der Meinung, er konnte den Geist von Hank Williams treffen und auch Hank würde immer wieder versuchen, mit ihm in Kontakt zu treten. Colin Escott: "His [Horton's, d.V.] ventures into spiritualism had a darker side, though. They gave Horton a conviction that he would die a violent, premature death. That premonition would grow stronger in the years to come." (ebd.) Es ist müßig, an dieser Stelle zu erörtern, inwieweit etwaige Ereignisse durch das Phänomen einer self-fulfilling prophecy bewirkt werden, denn was seinen Autounfall angeht, war er letztlich völlig schuldlos, nicht der geringste Fahrfehler war ihm anzulasten. Fakt ist jedoch: Johnny Horton beschäftigte sich zunehmend mit "Ahnungen". Angeblich am 19. Dezember 1959 hatte jedoch Bernard Ricks bereits Johnnys Autounfall vorhergesehen, ihm davon aber nichts erzählt: "I was sitting on a stool distributing general mail (...) and I turned around, looked into a dark room and I saw that terrible accident down near Austin, Texas. I didn't tell Johnny, although he had often spoken of passing over [dying] early in life." (Colin Escott, a.a.O., S.100)
Auch jene, die Johnny sehr nahe waren (und diese aus seiner "Spiritualität" resultierenden Gedanken nicht guthießen, waren nolens volens in Horton's einschlägige Gefühle und Ahnungen einbezogen. So berichtet seine Schwester Marie von einem Besuch Johnnys im Juli 1960: "'Sis, I gotta talk to you. I want you to pray for Billie and the girls.' He knew he was going to die a tragic death - plane, car or something like that. He said I was going to hold up the family. I didn't want to talk about it, but he insisted. He said he'd quit smoking, and was trying to get his life in order because he'd had these strong premonitions." (Colin Escott, ebd.) Derartiges Reden versetzte seine Ehefrau Billie Jean besonders in Rage, nicht zuletzt deshalb, weil sie mit ihrem früheren Ehemann Hank Williams ein nicht gerade einfaches Leben bis zu dessen Tod durchmachen mußte. Sie berichtet, daß Johnny häufig seine Augen schloß, dann sagte, er sehe Jesus, der komme, um ihn zu holen. Sie berichtet auch: "After 'North To Alaska' (...) we were lying in bed and he asked me what I'd do after he was gone. I said, I could hardly go on the road and sing 'North To Alaska'. He'd raise up in bed and say, 'Bill, I'm fixing tgo die. It's close. I've got to prepare and so have you." (Colin Escott, ebd.) Diese Gedanken hatte Johnny auch mit Merle Kilgore geteilt und jener schildert dieses Gespräch folgendermaßen: "Johnny (...) said the spirits had told him he was gonna die within a week, and they wanted him to see all of his old friends. (...) I told him he wasn't gonna die. He was adamant. He said a drunk man would kill him. He thought it would be a drunk in a bar at one of the places he was fixing to play in Texas. He accepted it. I asked if he'd heard a voice, and he said that it wasn't like a voice, but a brain message." (Colin Escott, ebd.)
Paradox mag scheinen, daß Horton sein (von ihm so gespürtes) Schicksal einerseits akzeptierte (so sei wiederholtes Reden zu Nahestehenden), andererseits jedoch auch versuchte, es zu vermeiden. So hat er z.B. die Premiere von "North To Alaka" gemieden, um Risiken zu minimieren. Weshalb er aber dann jenen "gig" in einer Bar, er, der Top-Star mit gutem Verdienst, (für $800) spielte, bleibt unklar. Daß er dann noch mit seinem Auto heimwärts raste, dürfte so manchen wieder auf den Gedanken einer selbsterfüllenden Prophezeihung bringen. Schauen wir uns an, wie Colin Escott über dese letzte Fahrt Johnny Hortons berichtet: "They passed through Milano, Texas around 2:00am. 'Johnny was driving too fast,' remembered Tomlinson [Gerald Tomlinson und Tillman Franks saßen mit Johnny Horton im Auto, d.V.] 'All he had on his mind was getting out to the lake. We were crossing a bridge, and the guy who hit us was drunk and was weaving all over the road. He hit the bridge once on each side before he hit us. That pick-up truck went down the side of our Cadillac like a canopener.'"(ebd.) Johnny Horten starb vielleicht erst auf dem Weg ins Krfankenhaus. Der Unfallverursacher, James E. Davis. kam mit einem Rippenbruch davon.
*) Claude King veröffentlichte nach dem Tod seines Freundes Johnny Horton eine LP mit einigen dessen größter Erfolge. Hervorragend gemachte Aufnahmen, die unverkennbar auch Johnny Hortons Gesangsstil aufweisen, gleichwohl Claude Kings persönliche Note des Vortrags zeigen, also keine 1:1 Imitationen sind. Claude hat dabei auch das Lied "I Remember Johnny" (erschienen am 1. Juni 1969) gesungen, in dem er einige von Johnnys Wesenszüge besonders hervorhebt: "I remember Johnny in so many ways / (...) through all the years I never knew him to lose his tremendous sense of human or his consideration for his fellow-men / I never knew him to lose his temper, not once / (...) he believed in nothing was impossible to accomplish if you could only maintain faith in yourself / (...) he only saw the good in everyone and everything / his trust in others was unbelievable / (...) I remember Johnny did not change with the success he achieved / (...) everyone should have one real true friend in life / I had such friend in Johnny / (...) on is final rest of place in Shreveport,Louisiane (...) inscription (..) here lies Johnny Horton, here lies my husband, here lies my husband, a perfect friend / (...) I remember Johnny and I always will." Im Lied wird auch betont, daß Johnny stets auf dem Boden der Wirklichkeit geblieben ist, daß er immer ein bescheidenes, einfaches Leben bevorzugt hat und daß er sich in seiner Lebensweise stets sehr eng an die 10 Gebote ("Ten Commandments") gehalten habe.
Die überwiegend positive Gestimmtheit und die Orientierung auf Mitmenschlichkeit Johnny Hortons, die in Claude Kings Song noch einmal betont wird, ist vielfach belegt. Vielleicht sind auch deshalb viele seiner Lieder so erfolgreich gewesen, weil in ihnen dieses "Sein" sich widerspiegelte. "The likeability that marked his records was a reflection of Horton's personality. 'I never remember seeing him down,' said Claude King. 'Even when things were going bad for him, he'd just laugh it off. That's one thing I've missed over the years, 'cause I tend to worry too much, and he'd say,'Don't ever worry, Ace, you'll get a wrinkle'. He used to say that nothing was worth worrying over.' It was that bouyant, sanguine quality that communicated itself so forcefully through Horton's music -- especially after he had arrived at Columbia." (Colin Escott, a.a.O., S. 103)
Und es stimmt schon: "Johnny Horton brought a unique stance to the cross-blend that became contemporary country music. He always sounds good-natured, but there is a compelling drive to the best of these recordings, a drive that comes from elements meshing in harmony: songs, instrumentation, performance and production values. There's also an innate musicality in his singing; so effortless -- yet exuding energy. At its best, Horton's music has a joyfulness, a pleasure in the making of music, that commands attention. (...) This music is something special." (Colin Escott, ebd.) Johnny Horton war / ist in jeglicher Hinsicht ein ganz besonderer Mensch, nicht abgehoben, eher einer "von nebenan". Richard Bennett hat in seiner kurzen Replik "Johnny Horton -- An Appreciation" geschrieben: "From 1956 to 1960 Johnny Horton made timeless music. With few exceptions, Horton's Columbia records stand up brilliantly with no need to make allowance for their age. As with truly great artists, Horton transcends time and place, and occasionally weak material. His voice was riveting, like magnet it drew you in and demanded attention. (...) His voice had personality. He sounded larger than life." (vgl. Book, S.105, in: Bear Family Box Set "Johnny Horton 1956 - 1960", 4-CDs, BCD 15470)
Bei aller Wertschätzung für viele andere große Musiker aus der Country- und Pop-Szene kann man schon sagen, daß Johnny Horton (mit einigen, eher wenigen anderen) aus der großen Schar weit herausragte, daß er sowohl als Musiker als auch als Mitmensch einzigartig war, daß er gezeigt hatte, daß Erfolg nicht zwangsläufig den Blick und das Gespür für Normalität und Natürlichkeit verwässern muß. Daß er mit seinen Songs eine große Menge an Freude vermitteln konnte, werden zumindest alle seine Fans (und jene die seiner Musik mit "Tiefgang lauschen") bestätigen können und wollen.
I remember Johnny Cash:
Auf dieser EP sing Johnny Cash die Titel "Honky-Tonk Girl", "Second Honeymoon", "Locomotive Man" und -- aus meiner sehr persönlichen Sicht -- vor allem: "Girl In Saskatoon", ein wunderschönes Lied über viel Sehnsucht. Doch darüber später etwas mehr.
Johnny Cash war ein begnadeter Country-Musik-Sänger. Jedoch konnte er das zumeist nicht immer leben, was er in seinem ersten Riesenhit "I Walk The Line" so schön besang: "I keep a close watch on this heart of mine. I keep my eyes wide open all the time. I keep the ends out for the ties that bind. Because you're mine, I walk the line." Eine Zeile trifft jedoch sicherlich für sein Leben zu, nämlich die, daß er seinen Blick stets offen für alles hält. Davon zeugen die Inhalte seiner unzähligen Songs. Er hat so ziemlich alles an- und ausgesprochen, was es zu erfassen gibt. Natürlich stand die Liebe, die er in ihren unterschiedlichsten Erscheinungsformen besang, immer wieder im Vordergrund. Aber er sang von Heimat, von den Wurzeln (so zum Beispiel seine LP "Songs Of Our Soil), von Familienbanden (mit seinem Vater hatte er jedoch alles andere als große Freude, um es gelinde auszudrücken, was ihn jedoch nicht blind machte, für bessere Möglichkeiten, für positivere Sichtweisen), natürlich spielten in seiner Musik auch religiöse Gedanken eine Rolle (einschlägige Gospel-Songs und auf Religion ausgerichtete Lieder aus eigener Feder zeugen davon) und einige seiner Songs waren sehr politisch, beschrieben (und kritisierten) soziale Gegebenheiten bis hin zu dem Schicksal von Kriminellen (hier wurden seine beiden Life-Konzerte in St. Quentin und Folsom Prison legendär). Weshalb konnte / wollte Johnny Cash über all die verschiedenen Aspekte des Dasein singen? Wahrscheinlich ist einer unter mehreren Gründen der, daß er das meiste, über das er berichtete, das er verarbeitete, das er überarbeitete, selbst aus eigener Anschauung und eigenem Erleben erfahren hat. Er kannte Liebe wie Untreue, er erlitt mehrfach den Absturz in Sucht, klammerte sich dann an die Vorstellung von "Gott", verstand jene, welche in Rebellion gegen die Gesellschaft ihr Daseinsziel sahen, ging so manche "abschüssige" Wege, aber auch solche, die ihn Wurzeln (zumindest immer wieder) schlagen ließen. Für mich war der Song "I Walk The Line" (1956 bei Sun Records erschienen) schon eine Art Sensation im musikalischen Schaffen der damaligen Zeit. Und ich denke, das Lied ist bis heute auch eine Art "Einmaligkeit" geblieben. Ein Text, der zumindest ein Ideal anweist, der fast schon eine im alltäglichen Leben nicht schaffbare, nicht machbare Utopie anspricht, der jedoch zumindest auf notwendige Anstrengungsbereitschaft deutet, will man im Leben nicht gänzlich scheitern. Auch mit dieser Rhythmik, mit diesen doch zumindest damals etwas ungewohnten Akkordfolgen und der Eindringlichkeit der drängenden Basstöne, dazu ein doch eher sonorer Gesang -- ich finde, das hat schon etwas Einzigartiges. Ein Beispiel dafür, wie Einfachheit enorme Wirksamkeit entfachen kann ... Aber das trifft unbestreitbar zu: Johnny Cash war in seinem Leben alles andere als geradlinig (so auch das Urteil seines Musikkollegen Merle Haggard, auf den allerdings, wie eben auf die allermeisten Menschen, dieses Urteil ebenfalls zutrifft.)
Johnny Cashs Karriere begann 1955 bei SUN RECORDS (dort fanden einige der späteren Weltstars zunächst ihre Produktionsheimat, Sam Philip, dem die Studios gehörten, war ein Meister im Erkennen von Talent und im Produzieren; daß all die Größen immer recht bald von ihm abgeworben wurden, lag an der Finanzkraft und Marktmacht der ganz großen Firmen wie COLUMBIA, RCA, CORAL, etc.). Am 12. September 2003 starb Johnny Cash. Geboren wurde Johnny Cash am 26. Februar 1932 in Kingsland, Arkansas, geboren.
Bis zuletzt war er musikalisch tätig, wenn er auch nicht mehr öffentlich auftreten konnte. Man kennt ja seine im fortgeschrittenen Alter erschienen "America Recordings" (produziert auf Initiative im Jahr 1994 von und Produktion durch Rick Rubin, der bis dato mit C&W Music kaum etwas im Sinne hatte, sondern vorwiegend in der Hip Hop Musik wirkte), in denen er eigenes und fremdes Material auf hervorragende Art und in eher minimalistischer Instrumentierung und einem eher fast schon bisweilen gebrochenen Gesang zu einem nahezu perfekten Gesamtwerk verdichtete.
Ich habe Johnny Cash mit seiner Band einmal live gesehen, in Augsburg in der Sporthalle. Für ein Konzert eher nicht gerade der ideale Ort. Johnny Cash kam auf die Bühne, er schwankte erheblich ... Als er wie üblich seine quer-längs über den Rücken mit dem Hals nach unten baumelnde Gitarre nach vorne vor die Brust zog, war das Schwanken jedoch vorbei. Dann sein typisches Begrüßungsritual: "Hello, I'm Johnny Cash." Auffallend, wie er das Publikum begrüßte! Er wandte sich zunächst jenen zu, die auf den schlechtesten Plätzen, also fast schon schräg hinter der Bühne saßen. Danach begrüßte er den Rest. Und legte los: mit seinem Riesenhit "Ring Of Fire". Das Konzert lief unter dem Motto jenes Hits, mit ihm beendete er seinen Auftritt dann auch, ohne jegliche Zugabe. In der Konzertpause verschwand er blitzschnell hinter der Bühne, die Mitglieder seiner Band blieben jedoch. Ich unterhielt mich mit seinem Sologitarristen, fragte ihn dann im Laufe des Gesprächs, ob sie nicht "Girl In Saskatoon" spielen könnten. (Das Lied hatte Johnny Cash übrigens zusammen mit Johnny Horton, s.o., geschrieben!). Er antwortete -- dies wirklich in einer ehrfurchtsvollen Betonung: " Well, I'm gonna ask HIM." Das Lied wurde dann nicht gespielt, es hat nicht in den von Johnny Cash geplanten Rahmen des "Ring Of Fire" gepaßt. Ein ganz tolles Konzert, Johnny Cash wirkte solange er spielte vollkommen nüchtern. Bei der Verabschiedung vom Publikum war sein Gang wieder leicht schwankend.
Im Lied "Girl in Saskatoon" erzählt Cash die Geschichte eines Mannes, der nur mehr einen wesentlichen Gedanken hatte: sich durch widrigste Wetterbedingungen nach Saskatoon durchzukämpfen, um dort sein leuchtendes Ziel zu sehen und zu heiraten, seine Liebe in Saskatoon. Er hatte sie sehr lange warten lassen, aber jetzt war die Zeit des Wartens für ihn endlich vorbei. Er wußte, was zu tun. (Ich denke, so mancher, so manche, kann es sich gut vorstellen, wie man einem fest ins Auge gefassten Ziel immer näher kommt, welches Glücksgefühl einen auf diesem Weg ergreift; es muß ja nicht gleich durch Schneesturm, Windböen, peitschenden Regen gehen, um das Ziel so besonders wertvoll erscheinen zu lassen. Bisweilen dürfte für viele bereits die Vorstellung der Zielerreichung mittels Auto, Bahn, Flugzeug oder, von mir aus auch, Fahrrad zu dieser Ausschüttung von Endorphinen genügen. Am Ende jenes Liedes heißt es dann "I found eternal spring with the girl in Saskatoon". Kitschig? Ja, man kann es auch so empfinden, aber die Frage bleibt dann, ob nicht das Allermeiste im Leben, wenn es seinen verbalen bzw. gesungenen Ausdruck nicht schnell die Gefahr läuft in Kitsch abzudriften. Vielleicht trifft es zu: das meiste vom gestaltetem Leben ist, nüchtern betrachtet und konsequent an einschlägigen Maßstäben gemessen irgendwie kitschig ... Vielleicht ist es bisweilen besser, sich einfach darüber zu freuen, daß einfache Gefühle die ihnen entsprechenden einfachen Ausdrucksformen erhalten. Und dazu ist einfache Musik allemal tauglich ...
Übrigens es gibt von Johnny Cash auch eine zweite, später erschienene Fassung dieses Liedes. Da hat der Protagonist jedoch das Mädchen zu lange warten lassen und als er dann in Saskatoon eintrifft, ist sie nicht mehr da. So kann es halt auch gehen, warum das nicht dann so in einem einfachen Lied ausdrücken.
Die Songs von Johnny Cash sind zuallermeist relativ einfach, leicht überschaubar, klar. Man muß ja nicht immer alles umständlich oder kryptisch erzählen, andeuten und dann auch noch in aufdringliche Musik zu kleiden. Diese Einfachheit hat ihm, vor allem wenn die Instrumentalisierung (und der Hintergrundgesang) dann schon eher ins Bombastischere ging, häufig auch viel Kritik eingebracht. So geschehen mit seinem Lied "Ballad Of A Teenage Queen", in dem ein Mädchen die Heimatstadt verläßt, damit auch ihren Freund, um eine Filmkarriere zu starten. Sie hat Erfolg damit, wird reich, gibt das alles aber dann auf als sie fühlt, was sie tatsächlich vermißt und für ihr Leben braucht: ihren früheren Freund und die Heimatstadt. Natürlich ein recht unwirklicher Plot, aber für viele dürfte dieses Lied eine "Unterstützung" in ihrem endlosen (auch: hoffnungslosen) Träumen gewesen sein. Trotz heftiger Kritiken, Johnny Cash hat mit und an diesem Lied recht gut verdient. Natürlich -- aber das ist Geschmacksache -- haben die American Recordings mehr Wirklichkeitsbezug, weniger Substanz für Träumereien, auch weniger musikalische Imposanz, was zum Beispiel die Vielzahl des Instrumenteneinsatzes und Chorgesänge etc. angeht. Aber wie man immer wieder sehen und feststellen kann: Es gibt eben diese Wechselwirkung von Musikproduktion und dem, was die große Masse einerseits oder sich davon eher und gerne abgrenzende Individuen andererseits erhoffen, wovon sie sich ansprechen lassen, womit sie ihre jeweiligen Befindlichkeiten erkannt und "verstanden" fühlen. Angebotsprinzipien mögen da zwar etwas die Oberhand haben, aber die Nachfragetendenzen üben gewiß auch eine enorme Wechselwirkung aus, schlagen auf Produktionsplanungen zurück. (Dies erkennt man beispielsweise auch daran, wie jeweils in Subkulturen nach Trends geforscht wird, um diese dann kommerziell umzusetzen ...) Aber wer sich intensiver mit Johnny Cash befaßt, der merkt sehr bald, daß ihm die ganze Bandbreite des musikalischen Schaffens (auf dem Gebiet von Pop und Country) geläufig und nahe war, daß er dabei jedoch stets seinen eigenen Stil bewahren konnte, angefangen von der plastischen (und so erlebten!) Schilderung einer Hochwasserbedrohung wie in "Five Feet High And Rising" über das "St. Quentin I hate every inch of you!" (so ein Satz im Live-Auftritt vor Gefangenen), über unzählige Liebes- und Entsagungsbekundigungen (unvergessen sein "Jackson" mit June Carter, seiner Ehefrau, im Duett) bis hin zum Verstehen und Überlisten von Versuchungen in seiner Version von "To Beat The Devil". Bewundernswert auch, daß Johnny Cash in dem doch harten und bisweilen brutalen Business der Pop- und Country-Industrie eine so lange Zeit sich letztlich immer wieder behaupten konnte. Er war irgendwie immer auch "The Man In Black", ist sich diesbezüglich treu geblieben und da die Dinge auf der Welt eben nicht "brighter" geworden sind, hat er getreu seinem im gleichnamigen Lied gesungenem Diktum dieses Schwarz auch nie so ganz abgelegt, wohl auch nicht ablegen können. Er kannte sich selbst sicherlich sehr gut, vermied Verdrängungen, Selbsttäuschungen und Ausreden zumindest einigermaßen erfolgreich, wie man vielleicht auch aus der Beschreibung seiner Ehefrau June Carter leicht herauslesen kann: "Sie ist für mich die unkomplizierteste Frau auf der Welt, weil ich sie so gut kenne und sie mich so gut kennt." (Cash, Autobiographie, 1997)
Übrigens: Wer sich einen schnellen Zugang zu Cashs sehr bewegtem, aber auch letztlich recht erfolgreichem Leben verschaffen mag, der sollte sich den Film "Walk The Line" mit Reese Witherspoon (als June Carter) und Joacquin Phoenix (als Johnny Cash), Regie: James Mangold, anschauen. Und ist das Interesse dadurch erst einmal geweckt, dürfte so mancher dann auch den Wunsch nach mehr in sich spüren ...
links: American Recordings I, rechts: American Recordings VI
I remember Harry Chapin:
Harry Forster Chapin dürfte in Deutschland den allermeisten nicht bekannt sein. Vielleicht allenfalls sein Welthit "Cat's In The Cradle", in dem er einen Vater-Sohn-Konflikt erzählt. Für seinen Sohn hatte der Vater nie so richtig Zeit, denn es gab Termine einzuhalten, die Arbeit zu machen, Bekanntschaften zu pflegen u.s.w. Als der Sohn nun erwachsen war und der Vater ihn gerne mehr um sich gehabt hätte, konnte der Sohn dem nicht entsprechen. Denn es gab: Termine einzuhalten, die Arbeit zu machen, Bekanntschaften zu pflegen ... Als der Vater zum Sohn meinte, er möchte sich gerne mit ihm treffen, hatte der Sohn -- wie vom Vater als Kind gelernt -- keine Zeit: "I'd love to, Dad, if I could find the time. You see, my new job's a hassle and the kid's with the flu, but it's sure nice talking to you, Dad, it's been sure nice talking to you."
Das Fazit des Vaters lautete dann nicht nur schlicht und einfach sondern auch zutreffend: "And as I hung up the phone, it occured to me, he'd grown up just like me, my boy was just like me."
Sicherlich ein in mehrfacher Hinsicht gelungenes Werk Chapins, aber wer nur dieses von ihm kennt, hat aus meiner Sicht viel versäumt. (Freilich gilt immer wieder -- also auch hier -- die bekannte Spruchweisheit: es gibt so viel Schönes, das ich nicht brauche. Man muß selbst eben immer wieder für sich die geeigneten Schwerpunkte setzen. Und von solchen "Schwerpunkten" erzählte Harry Chapin immer wieder ...) Einigen dürfte hierzulande vielleicht noch Chapins Singleerfolg W.O.L.D. in Erinnerung sein. [Die in meinen Augen beste seiner Singles "Taxi" dann (leider, denn da hat man etwas versäu9mt ...) schon weniger.]
Ich hatte Harry Chapin in seiner herausragenden Schaffensqualität jedoch durch einen anderen Song erkannt und das führte dazu, daß ich mich intensiv mit seiner Arbeit beschäftigte und ihn zunehmend immer mehr schätzte, ja für mein Musikinteresse als unverzichtbar empfand. Das Lied war eben: "Taxi". (Es erschien im Jahr 1972.) Ich hörte es auf der nächtlichen Rückfahrt von Sigmaringen kurz vor meiner Ankunft zuhause auf dem AFN. Es war kurz vor Mitternacht. Ich fuhr sofort an den Straßenrand, hielt das Auto an und lauschte, war einfach begeistert. (Meine damalige Freundin Christine und ich kamen von einer Schweizrundfahrt zurück, hatten eine Rückfahrt über den Schwarzwald gewählt, um uns auch jene Gegend, vor allem auch: Sigmaringen, uns etwas näher anzuschauen.) Es dauerte eine Zeit bis ich "Taxi" dann hier erwerben konnte. In "Taxi" erzählt Harry Chapin eine Geschichte, wie er überhaupt überwiegend mit all seinen Liedern ein "Storyteller" war. Jener Protagonist Harry, wollte einst hoch hinaus, endete aber in San Franzisko als Taxifahrer. Also fernab von den einstigen Träumen. Eines Abends (oder war es schon Nacht) hatte der Taxifahrer Harry noch eine Fahrt vor seinem Arbeitsende zu machen. Gemütlich war es nicht ("It was raining hard in 'Frisco") und bei diesem Sauwetter tauchte ein Frau auf, hielt ihn an ("A lady up ahead waved to flag me down."), um in die "Sixteen Parkside Lane" gefahren zu werden. Harry hatte offensichtlich etwa Mitleid mit der Frau, die ihre schönes Outfit so dem Regen ausgesetzt hatte. ("Oh where are going to, my lady blue, it's a shame you ruined your gown in the rain." Die Fahrt verlief überwiegend schweigend, aber Harry fühlte, irgendetwas an der Frau kam ihm bekannt vor, meinte auch, er hätte ihr Gesicht schon mal gesehn, woraufhin sie nur antwortete, da täusche er sich sicherlich. (But she said; "I'm sure you're mistaken.") Und dann entwickelt sich die Geschichte plötzlich weiter; als sie nach einer Weile in den Spiegel schaute, warf sie auch einen Blick auf seine Taxilizenz und als sie seinen Namen las, breitete sich ein Lächeln in ihrem Gesicht aus (allerdings offensichtlich nicht so ganz befreit: "It was a sad smile, just the same.") Und nun wird es schnell deutlich: Beide kennen sich, sogar recht gut ... "And she said, 'How are you Harry?' I said, 'How are you Sue? Through the too many miles and the too little smiles I still remember you.'" Er erinnert sich an damals. Fast wie in einem Märchen erschien es ihm, er hatte sie in seinem Auto nach Hause gebracht und auf dem Rücksitz seines Dodge machten sie Liebe, gingen jedoch offensichtlich nicht aufs Ganze ("The lesson hadn't gone too far.") Sie hatten beide ihre Pläne. Er wollte damals Pilot werden, sie Schauspielerin. ("You see she was gonna bei an actress, and I was gonna learn to fly. She took off to find the footlights, and I took off to find the sky.") Sue, seine Ex-Geliebte war tatsächlich "actress" geworden, auch recht erfolgreich, aber sie war nicht besonders glücklich dabei. Und dann geht Harry Chapin in "Taxi" auf die seelischen Verwirrungen, auf das Drängende, auf das Ziehende ein, dies in einer sehr eindrucksvollen Sprache. Man spürt förmlich den Zwiespalt von Wunsch und Wirklichkeit. Die Realität im Denken hat den Taxifahrer wieder fest im Griff: "There was not much more for us to talk about, whatever we had once was gone." Und er hält seinen Wagen am Fahrtziel in der Einfahrt an, "past the gate and the fine trimmed lawns". Na ja, sie zeigt dann nun doch noch etwas mehr Optimus als er, was eine mögliche Beziehung angehen könnte: "And she said we must get together, but I knew it'd never be arranged." Sue gab ihm für die Fahrt anschließend einen Zwanzig-Dollar-Schein und sagte, er solle das Wechselgeld behalten. Harry dazu: "Well another man might have been angry, and another man might have been hurt. But another man never would have let her go, I stashed the bill in my shirt." Sie ging schweigend weg. Und Harry denkt nun, beide hätten wohl das bekommen, wonach sie sich eine lange, lange Zeit zuvor gesehnt hatten. Zur Erinnerung: es ging ums Fliegen, es ging ums Schauspielern ... So endet "Taxi": "And here, she's acting happy inside her handsome home. And me, I'm flying in my taxi, taking tips and getting stoned." Und zu guter Letzt meint Harry: "I go flying so high, when I'm stoned." Klingt so, als hätten beide ihre Träume verkauft, aufgegeben, ihnen nicht zuarbeiten können.
Diese Geschichte ist sehr schön erzählt, musikalisch jeweils passend, extrem geschickt begleitet, der gesangliche Ausdruck dem jeweiligen Inhalt voll entsprechend. Damit könnte diese Geschichte jener (früheren) Beziehung eigentlich bereits zu Ende erzählt sein. Sie ist es aber nicht. Jahre später schrieb und sang Harry Chapin eine Fortsetzung dazu: "Sequel". Auf diese möche ich anschließend nun noch kurz eingehen. Aber zunächst nun endlich ein paar Fakten über Harry Chapins Leben, Karriere und allzu frühen Tod ...
Harry Chapin wurde am 7. Dezember 1942 in Greenwich Village geboren. Sein Vater Jim Chapin war Schlagzeuger und arbeitete u.a. mit Tommy Dorsey und Woody Herman zusammen. Die Mitglieder der Chapin-Familie waren eigentlich allesamt sehr musikalisch. Ehe Harry jedoch das Gitarrenspielen erlernte, hatte er als Kind schon Trompete gespielt. Chapin studierte an der Air Force Academy und in Cornell, später arbeitete er eine Zeitlang in der Filmindustrie. Im Sommer 1964 tat er sich mit seinen Brüdern Tom Chapin und Stephen Chapin sowie mit seinem Vater zusammen und diese "Familiengruppe" trat in der Gegend um Greenwich Village häufig auf. Damals war Greenwich Village das Zentrum der Folk-Music-Szene. Harry hatte in seiner Jugend bereits in verschiedenen Bands gespielt. In den frühen 1970er Jahren war dann nach einigen persönlichen Wechseln die Gruppe zur Begleitband von Harry Chapin geworden. 1972 erhielt Harry Chapin einen Vertrag von Elektra Records, es erschien seine erste LP "Heads And Tales", daraus ausgekoppelt wurde sein erster Single-Hit "Taxi". Chapin hatte auch mit dem Theater zu tun: 1975 hatte er die Idee zu einer Multimedia-Show, "The Night That Made America Famous" und 1977 kam dann die Musical Revue "Chapin", welche in mehreren Städten aufgeführt wurde. Bereits 1968 hatte Chapin einen Dokumentarfilm geschaffen: Legendary Champions, in dem über Schwergewichtsboxkämpfe zwischen 1889 und 1929 berichtet wurde. (1969 Nomination für den Oskar als bester Dokumentarfilm!)
Ein sehr erfolgreiches Jahr war für ihn 1974. Zunächst erreichte er mit seiner Single W.O.L.D. den Platz 8 der US-Singlecharts. In dem Lied erzählt Chapin die Geschichte eines DJ, der seit Jahren von seiner Frau getrennt lebt, sie wieder anruft, ihr dabei u.a. von seinem nicht ganz einfachen Dasein als Diskjockey erzählt und dabei feststellen muß, daß es kein Zurück mehr geben kann. In diesem Jahr erreichte sein Lied Cat's In The Cradle einen Millionenumsatz und Platz 1 der US-Hitparade im Dezember 1974.
Andere Singleauskoppelungen wie "I Wanna Learn A Lovesong" (1975 Platz 44 der Hitparade), "Better Place To Be" (1976 Platz 86 -- ein m.E. hervorragendes Lied, darüber weiter unten dann noch mehr ...) sowie "Sequel" (1980 Platz 23 -- darüber dann nachfolgend Details, es geht um die Fortsetzung von "Taxi" ...) erhielten zumindest nicht eine weltweite Aufmerksamkeit.
Harry Chapin war ein Geschichtenerzähler par excellence, meistens erzählte er über Verlierer, über Verlust, über Traurigkeit, aber auch über Hoffnungen oder schlicht über solche Ereignisse, die sich "halt so ergeben haben". Er selbst hatte einmal gesagt, seine Balladen seien "Geschichten über gewöhnliche Menschen und kosmische Momente in ihren nichtkosmischen Leben". John Rockwell hat Chapins musikalisches Schaffen einmal folgendermaßen beschrieben: " His principal contribution was his self-described 'story-song', a narrative form that owed much to older talking blues and similar structures. The subjects of these songs were often common people with poignant or even melodramic tales to tell -- tales of lost opportunities, cruel ironies and life's hypocrisies." (New York Times, 7. Juli 1981, Artikel über Chapins Unfall mit Todesfolge) Dem kann ich zustimmen, seine Lieder waren fast alle irgendwie "ergreifend", sicherlich oft auch melodramatisch, sie handelten von versäumten Gelegenheiten, bisweilen von grausamer Ironie und Heucheleien, wie sie eben im alltäglichen Leben immer wieder vorkommen.
Besonders bemerkenswert an Harry Chapin ist auch sein soziales und politisches Engagement. Jedes Jahr gab Harry Chapin zahlreiche stets sehr erfolgreiche Konzerte für die Welthungerhilfe, den überwiegende Teil der Einnahmen daraus gab er an die WHO weiter. Für seinen großen sozialen Einsatz bekam Harry Chapin posthum einen Orden der USA für sein großes Engagement zur Bekämpfung des Hungers. Das hierzu erforderliche Gesetz wurde am 1. Mai 1986 beschlossen, unterstützt wurde diese Ehrung damals durch Bill Ayres (Vorsitzende der Welthungerhilfe), von Marty Rogol (Organisation USA for Africa) und zahlreiche Abgeordnete. Harry Chapin hat über sein soziales und politisches Engagement einmal selbst gesagt: "I think I've had the most social and political involvement of any singer-song writer in America." (Quelle: The New York Times. "Harry Chapin, Singer, Killed In Crash", July 17, 1981)
Am 16. Juli 1981 fuhr Harry Chapin mit seinem 1975er Volkswagen auf der Long Island Expressway, er war unterwegs zu seinem Auftritt in einem Benefiz-Konzert im Eisenhower Park in East Meadow, New York; nahe der Ausfahrt 40 bei Jericho Turnpike wechselte er um 12:27 p.m. plötzlich mit eingeschalteten Warnleuchten die Spur und dabei krachte mit einer Geschwindigkeit von 55 Meilen pro Stunde ein Tieflader-Sattelschlepper in den Volkswagen-Rabbit, wobei dann dessen Heck auf den Bürgersteig krachte. Chapins Auto fing sofort Feuer. Ursache waren wohl durch den Aufprall entstandene Funken, welche den Benzintank in Brand setzten. Der Fahrer des Sattelschleppers sprang sofort aus seinem Fahrzeug, befreite Chapin von seinem angelegten Sicherheitsgurt und zog ihn fort von dem brennenden Wrack. Dabei erlitt der Lastwagenfahrer Verbrennungen in Gesicht und an den Armen. Harry Chapin wurde sofort mit einem Rettungshubschraber in das nahegelegene Nassau County Medical Center geflogen. Wie die Polizei mitteilte, waren bei Chapin selbst keine schweren Brandwunden zu sehen gewesen, er sei höchstwahrscheinlich, so die Polizei, durch die Wucht des Aufpralls getötet worden. Harry Chapin wurde nach vergeblichen Wiederbelebungsversuchen um 1:05 p.m. im Nassau County Medical Center für tot erklärt. Das Krankenhaus gab dann bekannt, Harry Chapin sei an einem Herzinfarkt gestorben, nicht zu klären war, ob sich der Herzinfarkt bereits vor oder erst bei oder nach dem Unfall ereignet hatte. Am 16. Juli 1981 fand auf diese tragische Art Harry Chapins Leben ein trauriges Ende. Er ist auf dem Huntington Rural Cemetery in Huntington beigesetzt. Die Grabinschrift seines Grabes ist seinem Song "I Wonder What Would Happen To This World" entnommen: "OH IF A MAN TRIED TO TAKE HIS TIME ON EARTH AND PROVE BEFORE HE DIED WHAT ONE MAN'S LIFE COULD BE WORTH I WONDER WHAT WOULD HAPPEN TO THIS WORLD". Harry Chapin hinterließ seine Ehefrau Sadra sowie fünf Kinder, Jaimie, Jono, Jason, Jenny und Josh.
Im Kongress der USA fand am 16. Juli 1991 (zehnjährige Todestag Harry Chapins) ein Gedenken statt. Es gab den Tagesordnungspunkt "Tribute to Harry Chapin", zu dem Tim Johnson, ein Abgeordneter aus South Dakota eine Rede zu Ehren des Verstorbenen hielt und dessen großes humanitäres Engagement würdigte. Bruce Springsteen erzählte sehr mitfühlend und bewundernd bei einem Live-Konzert, ehe er Harry mit seinem Lied "Remember When The Music" (es gibt davon mindestens zwei sehr unterschiedliche Fassungen von Harry Chapin selbst gesungen, beide hervorragend; aber auch Bruce Springsteens Version davon ist schon eine Klasse für sich!) ehrte, wie Harry Chapin immer wieder Leute und Freunde, vor allem auch Bruce selbst, aufforderte, sozial sich ebenfalls zu engagieren. Dieses Lied sang Springsteen dann auch für den 1990 bei Relativity Records erschienen Sampler "Harry Chapin Tribute".
(Auf "Harry Chapin Tribute" sind 12 Harry Chapin Lieder, von bekannten Künstlern gesungen, enthalten: 1 CIRCLE, gesungen von Tom Chapin, Stephen Chapin, Pete Seeger; 2 SANDY von Graham Nash gesungen; 3 CAT'S IN THE CRADLE, präsentiert von Judy Collins; 4 W.O.L.D. mit Ritchie Havens sowie Tom & Stephen Chapin; 5 SIX STRING ORCHESTRA mit den Smothers Brothers ; 6 WHEN I LOOK UP, gesungen von Delores Hall, backing vocals by Janice Pendarvis and Vivian Cherry; 7 REMEMBER WHEN THE MUSIC by Bruce Springsteen; 8 TANGLED UP PUPPET mit Terry Klausner; 9 ONE LIGHT IN A DARK VALLEY präsentiert von The Hooters; 10 SHOOTING STAR, gesungen von Pat Benatar; Acoustic Guitar by Neil Giraldo; 11 LAST STAND, gesungen von John Wallace und den Abschluß bildet als zwölftes Lied CIRCLE REPRISE, hier singen unter anderen auch Peter, Paul and Mary mit.)
Wie ging es also mit dem Taxifahrer Harry und der neben einer kleinen Schauspielertätigkeit im eigenen Haushalt gelandeten Sue weiter? Das erfahren wir in Harry Chapins gesungenen Erzählung in "Sequel" ...
Der Song "Sequel" beginnt, indem Chapin an "Taxi" anknüpft. Seine Taxifahrer-Zeiten sind längst vorbei. Er erinnert an sein "flyin' in my taxi, takin' tips and getting stoned", doch diesmal ist die Situation eine andere. Er war zu früh in jener Stadt angekommen, mußte noch acht Stunden Zeit bis zu seiner Show am Abend totschlagen. Zunächst dachte er, nördlich in der Bucht die Zeit zu verbringen, änderte dann jedoch seine Vorhaben und wußte nun, wohin es ihn wirklich zog ("First I thought about heading up north of the bay, then I knew where I had to go."). Eine Limousine nehmen oder ein schickes Auto? Nein! Sein Entschluß stand schließlich fest: ein Taxi mußte es sein, dies offensichtlich in Erinnerung an die damalige Begegnung mit Sue ("cause that's how I got this far"). Zehn Jahre war es her, er mußte auf dem Fahrersitz arbeiten ("drivin' stoned, feelin' no pain"), aber jetzt ist alles anders, er sitzt im Fond und will nur noch nach 16 Park Side Lane ("Now, here I am straight and sittin' back, hitting 16 Park Side Lane.") Alles kam ihm noch bekannt vor, so wie es damals bei jener Fahrt eben gewesen war, nur: Sue wohnte nicht mehr dort ... Der Diener, der ihm die Türe geöffnet hatte gab ihm jedoch ihre neue Adresse. Harry ging zum Taxi ("cabbie") zurück und sagte dem Fahrer, er habe für ihn nun noch eine weitere Fahrt ("I got one more fare for you.").
Es ging zurück in die Stadt, zu einem fünfstöckigen Sandsteinblock, sie war daheim, öffnete ihm die Tür. Er war -- so kann man aus dem musikalischen Vortrag durchaus vermuten und dem Text entnehmen -- einerseits sehr, sehr glücklich, sie zu sehen, aber so ganz einfach gestaltete sich seine Gefühlswelt auch wieder nicht. Ihren überraschten Blick verglich er mit einem eher seltsamen Bild, ihm erschien ihr Gesicht nämlich wie ein alter Witz, der von einem Freund erzählt wurde ("And the look on her face as she opened the door, was like an old joke told by a friend."), aber sie lächelte dann und ihm wurde wohl etwas schwummrig ("And I watched the corners bend.") Sue begrüßte ihn, fragte ihn, wie es ihm denn gehe und sagte, ob sie beide diese Szene nicht schon einmal gespielt hätten ("Haven*t wie played this scene before"). Harry antwortete, er mußte das noch einmal erleben ("had to play it out once more"), betonte noch, es sei so gut sie jetzt zu sehen.
Schön dann die Szene, wo sie sagt, sie hätte ihn in ihrem Radio gehört, er habe ja nun Erfolg. Dies in einer bildhaften Formulierung, die auf ihrer beider Träume aus "Taxi" anspielt ("I've heard you flying high on my radio"). Harry meint dazu, es sei alles nicht so wie es scheint. Sue lacht nun und antwortet, es sei wohl manchmal besser, wenn Träume nicht in Erfüllung gehen. ("It's better sometimes, when we don't get to touch our dreams.")
Als Harry daraufhin zurück fragt, wo jene Schauspielerin wäre ("I asked her, where was that actress"), da meinte Sue nur, das sei jemand anders gewesen ("That was somebody else.") Er fragte sie dann, weshalb sie nun so glücklich wirke, sie meinte dazu nur, weil sie endlich sich selbst möge, annehmen könne ("I finally like myself, at last I like myself"). Harry Chapin erzählt, wie sie beide den ganzen Nachmittag dann verbrachten, wie sie darüber sprachen, wie es ihnen im Leben so ergangen ist, vor allem auch über die geringe Spannweite zwischen Anfang und Ende, über den Sinn, die Möglichkeiten und Grenzen vom Reden: "We talked of the tiny difference between ending and starting to begin. We talked because, talking tells you things, like, what your really are thinking about. But sometimes, you can't find what your're feeling till all the words run out." Als er sie dann noch bittet, auf sein Konzert am Abend zu kommen, antwortet sie kurz und klar mit einem Nein, weil sie nachts arbeitet. ("No, I, I work at night.") Harry antwortet darauf eher mit einer Mischung aus Traurigkeit und Sarkasmus, daß sie beide verdammt gut im Auseinandergehen geworden wären ("We've gotten too damn good at leaving, Sue."), was Sue mit einem kurzen "Harry, you're right." erwiderte. Besonders schön geraten und auch etwas kryptisch dann die folgende Strophe: man solle ihn nicht fragen, ob er mit ihr geschlafen hatte oder wer zuerst zu weinen anfing, man solle ihn auch nicht fragen, weshalb sie das Geld, das er ihr geben wollte, nicht angenommen hat (Anmerkung: man erinnere sich an das Wechselgeld in "Taxi", als Harry es annahm ...) und meinte, wenn er all dies beantwortete, würde er lügen (müssen). Bei seinem Konzert dachte er an Sue, dachte daran wie der Kreislauf im Leben so spielt (hier bemerkenswert sein Song "Circle", besonders eindrucksvoll interpretiert auf seiner Live-LP "Harry Chapin Live"!); er tritt auf, starrt auf die Rampenlichter und dachte daran, daß Sue mit beiden Füßen auf dem Boden (der Realität?!) "fliegt". ("How she's flying with both feet on the ground.") Er schätzt, all das ist eine (also nicht: die!) Fortsetzung "unserer Geschichte" ("Yes, I guess it's a sequel to our story."), seine "Reise zwischen Himmel und Hölle" ("From my journey between heaven and hell."), eine "Reise" in der er die halbe Zeit daran denken muß, was hätte sein können, und die übrige Zeit, daß es eben so ist, daß es so "auch gut" sei ... Wie und ob es weitergeht? Darauf gibt er die Antwort, daß allein die Zeit es zeigen wird ("I guess only time will tell.")
Letztlich bleiben seine diesbezüglichen Gefühle im Lied nicht eindeutig geklärt, es wird eher die aus allem resultierende Zerrissenheit angedeutet. (In anderen Liedern, so zum Beispiel in "Mismatch", auf der Doppel-LP "Dance Band On The Titanic" wurde die Unmöglichkeit einer tieferen, gar dauerhaften Beziehung deutlicher, wenngleich auch hier letztlich die Traurigkeit und Hilflosigkeit unübersehbar bleiben.)
Eine wundervolle Erzählung finde ich, sicherlich genauso tragisch wie (häufig) der menschlichen Wirklichkeit entsprechend. Interessant auch, wie die Rollen und Zielsetzungen, wie das letztlich Erreichte der beiden Personen in "Sequel" und "Taxi" vertauscht werden. Jetzt berichtet Harry "How I act as I'm facing the footlights and how she's flying with both feet on the ground.", während es in "Taxi" genau umgekehrt war: "You see, she was gonna be an actress and I was gonna learn to fly. She took off to find the footlights and I took off for the sky." Letzteres dann allerdings nur in der Phantasie, als "stoned" (dies wohl um die für ihn so öde Wirklichkeit zu verdrängen) Taxifahrer.
HARRY CHAPIN war wirklich einer der ganz, ganz großen im Musikgeschäft. Man muß sich einmal sein Konzept-Doppelalbum "Dance Band On The Titanic" anhören, sich da vor allem auch mit den Texten auseinandersetzen. Wie er beispielsweise im Titelsong von der Verdrängungsfähigkeit der Menschen erzählt, davon, wie sie unfähig oder auch unwillig sind, die Wirklichkeit zur Kenntnis zu nehmen, den Tatsachen ins Auge zu schauen. (Wir kennen das heute ja u.a. beim Umgang mit der Corona-Pandemie zur Genüge ...) Auch wie er die Egozentrik und Niedertracht in knappen Worten verdeutlicht. Als das Schiff (die Titanic) untergeht, als diese Katastrophe unübersehbar ist, als der Kapitän den Befehl gab, die Rettungsboote einzusetzen ("The captain ordered life-boats away.") präsentiert Harry Chapin eine m.E. gewiß nicht untypische charakterisierende Verhaltensweise: "I heard the chaplain say, women, children and chaplains first!" Es ist ja nicht gerade selten, daß jener Typus, der Wasser predigt, nur allzu gerne selbst Wein trinkt ... Das (auch wieder sehr lange, umfangreiche) Lied erinnert auch an eine besondere philosphische Dimension, wenn es in völliger Verkennung von Möglichkeiten und zur Beruhigung ängstlicher Reisende heißt, das Schiff könne gar nicht untergehen, nicht einmal Gott könnte es versenken ("even God couldn't think this ship"). Da merke ich aus meiner Sicht- und Denkweise lapidar an: Nein, das könnte er tatsächlich nicht, wie denn auch ...
Hört man auf dieser Doppel-LP das letzte Lied sich einmal genauer an, nämlich: There Was Only One Choice, dann wird da ein möglicher Entwicklungsstrang im menschlichen Leben erzählt, dies nicht wie leider so häufig (von den angeblich so ganz besonders Gescheiten im medialen Umfeld und entsprechend diesen Sektor zu usurpieren versuchenden Kreisen) mit erhobenem Zeigefinger und belehrenden Duktus. Über die Wahrheit könne man sich letztlich nicht täuschen, kann man herauslesen. Dies bedeute freilich noch längst nicht, daß man sie sieht bzw. zur Kenntnis nimmt. Verdrängung! heißt eines der Stichwörter. Auch Übertragunsphänomene! Kurz auch: Gemeinheit und Hinterfotzigkeit prägen so manche Seinsweisen menschlicher Existenzen. Harry Chapin findet jedoch eine "friedlichere", vielleicht "sozialverträglichere" Sprache für all dies Übel, freilich keine, die über die Tatsache als solche hinwegtäuscht. Das Lied ist sehr, sehr lang, fast schon von epischem Ausmaß, erzählt letztlich vom Anfang bis zum Ende Entwicklungen im Lebensweg. Einen kleinen Teil davon möchte ich hier herausgreifen, beginnend an einer Stelle, wo es um Scheitern, Versagen, oder auch nur "Pech" geht: "Then you'll hear the jackals howl 'cause they love to watch the fall/ They're the lost ones out there feeding on the wounded and the bleeding/ They always are the first to see the cracks upon the walls/ When I started this song I was still thirty-three/ The age that Mozart died and sweet Jesus was set free/ Keats and Shelley too soon finished, Charley Parker would be/ And I fantasized some tragedy'd be soon curtailing me/ Well just today I had my birthday -- I made it thirty-four/ Mere mortal, not immortal, not star-crossed anymore/ I've got this problem with my aging I no longer can ignore/ A tame and toothless tabby can't produce a lion's roar/ And I can't help being frightened on these midnight afternoons/ When I ask the loaded questions -- Why does winter come so soon?"
Ein Satz daraus erinnerte mich sofort an Johnny Horton (s.o.), seinen Vorahnungen; vielleicht ist es auch nur der Gedanke an die Einbeziehung aller Möglichkeiten, ein Verweigern von Verdrängung, was die Grenzen menschlichen Lebens, menschlicher Gestaltung, menschenkonstruierter Sicherheiten angeht. Ich weiß es nicht, selbst glaube ich nicht an Dinge wie Vorhersehung, an steuernde Übersinnlichkeiten, nenne man sie wie immer man auch mag. Gleichwohl scheint mir Harry Chapins Satz aus diesem Song im Nachhinein doch sehr auffällig, zumal er im Zusammenhang mit Menschen, die viel zu früh gestorben sind, steht: "And I fantasized some tragedy'd be soon curtailing me." (curtail = abkürzen, beschneiden, kürzen). Harry Chapins Leben wurde letztlich auch viel zu früh beendet, durch diesen tragischen Unfall.
Kann es nicht doch sein, wenn man derartige Gedanken, zum Beispiel daß etwas schiefgehen kann / könnte (und wenn es "nur" der an das Ausrutschen auf einer Bananenschale sei) immer wieder hegt, sich das Ereignis als Folge dann von einschlägiger Unachtsamkeit, Furcht, Angst, Übervorsicht, etc. nicht im Sinne einer selffulfilling prophecy einstellt? Es erscheint mir etwas unangebracht, an dieser Stelle diese Überlegungen weiterzuverfolgen. Gleichwohl sollte man stets auch bedenken, was geschieht, was geschehen kann, wenn suggestive Wirkung durch entsprechende Vorbedingungen ermöglicht wird, im Guten wie im Schlechten. Vielleicht ist ja auch Pop-Musik, wie gut sie auch immer sein mag, nicht das geeignete Medium, um derart tiefgehende Gedanken hinreichen zu erörtern. Sie bleibt doch meistens -- bestenfalls -- beim ernsthaft Alltäglichen stehen, gleitet allerdings -- auch das ist leicht feststellbar und aufzeigbar -- in seichteste Niederungen und Banalitäten ab, sowohl textbezogen als auch musikalisch. Harry Chapin war davon auf jeden Fall eine große, wohltuende und bereichernde Ausnahme.
Abschließend möchte ich noch auf eine andere seiner vielen Erzählstories verweisen, eine, die sich (wieder einmal mehr) mit dem Spannungsfeld von Hoffnung, Liebe und Verzweiflung sowie dem Versuch, hier dann doch eine Lösung zu finden, auseinandersetzt. Der Song heißt "A Better Place To Be". Daß es im Laufe des Liedes, sozusagen dann als Fazit in ein "Anywhere (sic!) Is A Better Place To Be" abgleitet, zeigt deutlich das tragische Dilemma: sich angesichts von Verzweiflung o.ä. mit Alternativen zufrieden zu geben wollen, die einem unter "normalen" Umständen, im Zustand zumindest leidlicher Zufriedenheit, überhaupt nicht in den Sinn kämen ...
Der Mann in der Geschichte hat nicht gerade eine ihn zufriedenstellende Arbeitssituation. Harry Chapin erläutert dies in einer für ihn typischen Weise: "I am the midnight watchman down at Miller's Tool and Die. And I watch the metal rusting, and I watch the time go by." Eines Tages lernte er in einem Diner eine Frau kennen, er war von ihr begeistert, war völlig voller Gefühle für sie. ("And Lord, Lord, Lord, she was alright.") Er empfindet sie so "verdammt hübsch", daß sie "sogar den Winterfrost erwärmen könnte". Na ja, obwohl er nicht gerade ein Draufgänger war, versuchte er sie anzusprechen, er stammelte etwas vor Aufregung und Verlegenheit, sie kamen sich dennoch näher: "She just looked clear on through me to a space back in my head. And it shamed me into silence, as quietly she said, 'If you want me to come with you, then that's all right with me. Cause I know I'm going nowhere, and anywhere's a better place to be." Sie gingen dann in seine Wohnung. In seiner Wohnung wollte sie nicht, daß er das Licht anmacht. ("I don't mind the dark!") Sie zogen sich aus, das Mondlicht schien auf ihren Körper, für ihn war sie eine unbeschreibliche Schönheit, er konnte das alles gar nicht als "wirklich" empfinden. Als er ihr von seinem Glück erzählen wollte, sagte sie nur: "Shhh ... I know just how you feel." Und weiter sagte sie: "And if you want to come here with me, then that's all right with me. 'Cause I've been oh so lonely, lovin' someone is a better way to be. Anywhere's a better way to be." Die Nacht verging ihm viel zu schnell, beim Erwachen in seinen Armen sah er, wie sie zufrieden schlief, "snug and safe from harm". Er wollte diese Zufriedenheit nicht auch nur irgendwie stören, stand vorsichtig auf, um sie ja nicht zu wecken und ging, um etwas zum Frühstück für sie zu kaufen. Als er zurück kam, war sie jedoch verschwunden. Sie hatte ihm einen Brief mit sechs Wörtern geschrieben: Es ist Zeit, daß ich weiterziehe ("It's time that I moved on."). Der Mann war verweifelt, endlos traurig, hilflos. Zu groß offensichtlich die Kluft zwischen Wunsch und Hoffnung einerseits und Wirklichkeit und Enttäuschung andererseits.
In seiner Niedergeschlagenheit -- man mag es Frust nennen -- ging er in eine Bar, die schon am Morgen öffnete, fing an zu trinken. Die Kellnerin kannte ihn von früheren Besuchen, fragte, wo er denn die ganze Zeit gesteckt habe und warum er so fertig ausschaue. Aber der Mann saß einfach nur regungslos da, apathisch, antwortete nichts.
Die Kellnerin, offensichtlich eine mit der Fähigkeit zur Empathie und zum Perspektivenwechsel, meinte dann nur, sie möchte ihn nicht belästigen, was er bestimmt auch so sehe, sie wisse, daß sie keine Schönheitskönigin sei aber gewiß könne sie wenigstens gut zuhören. Der Mann nahm von seinem Drink in kurzen Abständen einen Schluck und erzählte dann der Kellnerin sein Erlebnis mit der fremden Frau, das kurze Glück mit ihr in seiner Wohnung und die anschließende Enttäuschung. Die Kellnerin war selbst dann von der Geschichte so sehr gerührt und wischte sich mit ihrer Barschürze ein paar Tränen aus den Augen, seufzte und sage dann zu ihm, sie wünschte sich, sie wäre hübsch oder er halbblind, sie wäre nicht so verdammt fett und er würde zu ihr gehören, sie wünschte sich, er würde mit zu ihr gehen, wenn sie mit der Arbeit fertig ist, denn sie beide wissen alles über Einsamkeit und über das Alleinleben. ("I wish that I was beautiful, or that you were halfway blind. And I wish I weren't so god-damned fat, I wish that you were mine. And I wish taht you'd come with me, when I leave for home. For we both know all about loneliness and livin' all alone." Und wie ging es dann weiter? Der Mann schaute auf das leere Glas in seiner Hand, zeigte ein schiefes Grinsen, meinte, er habe keinen Gin mehr, er wisse, sie beide seien so einsam gewesen und wenn sie möchte, daß er mit ihr käme, dann wäre er dabei, denn er wisse, er habe kein Ziel und überall sonst, irgendwo, sei für ihn ein Ort zu sein. ("I guess I'm out of gin. And know we both have been so lonely. And if you want me to come with you, then that's all right with me. 'Cause I know I'm going nowhere and anywhere's a better place to be."
Als ich dieses Lied vor langer Zeit einmal einem Bekannten vorgespielt habe, grinste der und sagte, ihn erinnere das mit den beiden Frauen irgendwie an das Lied "Minderheit" von Wolfgang Ambros. Darin heißt es "Da ane is häßlich, de aundere is sche, de ane kennt no dobleibn, de aundere muaß schon geh". Damit hatte jener allerdings aus meiner Sicht das Gesamt von "A Better Place To Be" zu sehr verkürzt, auch die tatsächlich vorhandenen Möglichkeiten nicht erfaßt. Richtig ist jedoch aus meiner Sicht folgende Überlegung: Was kann ein Mensch als Alternative immer noch ertragen und ab wann sollte er für sich die für ihn eigentlich genehmen und angemessenen Grenzen ziehen? Dies ist man eigentlich auch jeweils dem anderen Menschen gegenüber schuldig, denn nur um eine (momentane) Durststrecke zu überbrücken, sollte / darf man andere Personen nicht ausnützen. Dies gilt aus meiner Sicht natürlich für alle Bereiche, nicht nur in Beziehungs- und Liebesdingen.
I remember: Ch.N.
Wir fuhren mit dem Auto nach einem Zelt-Urlaub in der Schweiz wieder heim. Es ging schon auf Mitternacht zu. Im Radio lief -- wie meistens -- der AFN. Dann plötzlich eben dieses Lied. Ich hatte es vorher noch nie gehört. Ein phantastischer Song. Einer erzählte, untermalt von musikalischer Perfektion, jene Geschichte von einem Taxifahrer, dessen Leben gänzlich anders als einmal erhofft verlaufen ist, auch das seiner Ex-Freundin, deren Schicksal nicht viel anders sich entwickelt hatte. Das Lied: "Taxi". Der Sänger: Harry Chapin. Ich mußte das Auto am Straßenrand anhalten. Ich wollte mich nur noch auf diesen Eindruck konzentrieren. Ch. gefiel das Lied ebenso. Wir waren beide begeistert. Auch gebannt. Diese Geschichte als Sinnbildhaftigkeit. Es dauerte nach jener Nacht eine längere Zeit, ehe ich dann endlich dieses Lied in Deutschland bekommen konnte. Und dann noch eine Doppel-LP mit einem Live-Konzert von ihm. Spätestens von da an gehörte Harry Chapin für mich zu den wichtigsten, bedeutendsten Musikern. (Später brachte mir eine liebe Ex-Kollegin von ihren USA-Besuchen -- ihre Schwester lebte in Kalifornien -- immer wieder CDs von Harry Chapin mit, die damals hierzulande nicht zu bekommen waren. Kerstin ist leider in noch jungen Jahren bei einem ihrer Urlaub in Kanada mit dem Fahrrad tödlich verunglückt. Spätestens immer wenn ich "Harry Chapin" in der Hand halte, denke ich unwillkürlich auch an sie.)
Ch. hatte die sympathische Eigenschaft, stets aufmerksam wahrzunehmen, welches musikalische Faible ich gerade immer hatte (wobei ich in meiner musikalischen Orientierung überwiegend recht konstant war). Entsprechend wählte sie ihre Geschenke aus, beispielsweise zu Geburtstagen und an Weihnachten. Wenn sie mich in meinem Holzhaus besuchte -- wir haben nie zusammengewohnt -- versuchte sie die Stimmung immer als eine "ganz besondere" zu gestalten. Dazu gehörten für sie unter anderem Räucherstäbchen, die jeweils passende Musik aufzulegen, sie kiffte auch gerne schon mal ab und zu (ich hielt davon weniger), rauchte recht viel (zur weiteren Entspannung, wie sie stets anmerkte -- ich war eigentlich gegen das Rauchen eingestellt, konnte aber bei ihr eine Ausnahme machen ...), trank gerne billigen Rotwein, und ganz wichtig waren ihr dabei immer wieder Abende mit Spaghetti und Tomatensoße. Wenn sie sich von einem Volkshochschulkurs in der nahegelegenen Großstadt abholen ließ -- der war einmal wöchentlich, mittwochs --, dann mußte sie unbedingt zunächst Fahrübungen auf Feldwegen in den "westlichen Wäldern" machen und danach, im Häuschen endlich angekommen, machte sie liebendgerne Käßspatzen. Ihre Augen leuchteten dabei immer ganz besonders. Es gefiel ihr, den Mittwoch-Abend immer schön und lange zu gestalten, oft war da auch ihre "Freundin" C. dabei und am folgenden Tag ging es dann zusammen, nicht gerade ausgeschlafen, in die Vorlesungen.
Eigentlich war Ch. eher zurückhaltend und meistens friedlich gesonnen; zur Furie konnte sie allerdings dann werden, wenn sie meinte, ihrem kleinen Bruder sei ein Unrecht geschehen. Dann hatten die davon und damit Betroffenen (meistens die Lehrerin von ihm) nichts mehr zu lachen. Da war es dann auch vorbei mit ihrer ansonsten praktizierten Zurückhaltung. Für ihren kleinen Bruder wäre sie wahrscheinlich durchs Feuer gegangen. Mit ihrer Mutter verband sie große Gemeinsamkeiten, wie sie überhaupt über ihre Familie nichts kommen ließ. Das konnte jedoch andererseits nicht verhindern, daß sie häufig in heftige Wut, damit in Clinch mit der ihren Zorn verursachenden Seite, geriet, wenn ihr auch nur etwas gegen den Strich ging. Dies betraf dann Vater und Mutter gleichermaßen. Sie legte halt viel Wert auf unmittelbare Bedürfnisbefriedigung, Bedürfnisaufschub zu Gunsten anderer Ziele waren nicht immer ihre Sache.
Mit ihrer Mutter verband sie auch noch etwas anderes: eine gewisse Suchtorientierung, unspezifisches Empfinden von Unzufriedenheit mit der Welt an sich, dies meistens ohne Ideen darüber, was man eigentlich unter dem "Besseren im Leben" verstehen sollte und könnte. Und mit ihrer Mutter verband sie auch ein elementares Interesse an Kleidung. Sie mußte immer eher elegant gekleidet sein, Gammellook -- damals weitverbreitet und beliebt, auch bei mir -- war ihre Sache (meistens) nicht.
Ja, Ch. war sehr viel und sehr oft hin- und hergerissen zwischen dem, was sie gerne gehabt hätte (was das jedoch war, blieb ihr wohl selbst oft verborgen ...) und dem, was tatsächlich war, mit dem man sich wenn schon nicht arrangieren mochte, dann doch auseinanderzusetzen hatte.
Sie suchte immer wieder auch Distanz (angeblich aus Rücksichtsnahme anderen, faktisch: früheren Bekanntschaften, gegenüber); hielt zum Beispiel ich mich dann konsequent an die Erfüllung ihres Wunsches, dann tauchte sie plötzlich dort auf, wo sie eigentlich Distanz gelebt haben wollte. Etwas widersprüchlich war es schon. Natürlich ging ich meine Wege, wenn sie die ihren gehen wollte. Das funktionierte für mich damals recht gut. Wenn sie dann plötzlich doch auftauchte, hieß es seitens einiger meiner Bekannten häufig: "Du, da kommt deine Madam!" -- dies in Anspielung auf ihre Neigung zu eleganter Kleidung. Mich hat das nie gestört. Gestört hat mich jedoch ihre Sprunghaftigkeit, die besonders auch ihr Gefühlsleben betraf.
Wir waren mehrere Male auch auf längeren Urlaubsreisen: Italien, Ungarn, Österreich, Schweiz; natürlich auch in näherer Umgebung, so zum Beispiel in der Gegend um Hinterstein. Das klappte meistens so leidlich, Unterschiede in den Interessen und Vorstellungen von Urlaubsgestaltung waren freilich unübersehbar. Besonders schwierig wurde es bei zwei Urlauben in Ungarn, bei denen ihre Freundin mit ihrem Freund dabei war. Ich konnte die beiden nicht ertragen (sie waren extrem oberflächlich, achteten ausschließlich auf Äußerlichkeiten, stritten sehr oft miteinader), Ch. eigentlich auch nicht (für mich war das damals eines der vielen Beispiele dafür, wie man mit dem Begriff "Freund" / "Freundin" doch etwas zurückhaltender umgehen sollte ...), aber es war so eine Art Haßliebe, die Ch. und ihre Freundin K. verband. Beim zweiten "gemeinsamen" Urlaub -- das andere Pärchen stritt sich am Plattensee unaufhörlich -- sagte ich dann zu Ch., wir sollten uns von jenen doch trennen. Das ginge nicht, meinte sie. Da auf der großen Rundreise Italien-Jugoslawien-Ungarn-Österreich nun Budapest als weiteres Urlaubsziel vorgesehen war, sagte ich, daß ich dann eben alleine vorausfahren, in Budapest nach einer Unterkunft suchen und auf sie alle drei dann dort warten würde. So machte ich es dann auch, fuhr also zunächst alleine weiter. Ich brauchte einfach Distanz, frische Luft zum Atmen, auch Abstand von der Aggression, die zwischen K. und G. immer wieder herrschte, aber auch von Ch.s Unentschlossenheit (zumindest ihrem eigenen Gefühl gemäß) zu handeln. (Da es damals keine Handys etc. gab, hatte ich vereinbart, daß ich ab dem vierten Tag in Budapest jeweils zwischen 11 und 12 Uhr am Keleti-Bahnhof auf sie warten würde. Das hat dann auch gut funktioniert.) Aber auch in Budapest und später in Wien änderte sich das Beziehungsklima jenes Pärchens keineswegs. (Beide haben übrigens später geheiratet ... Die Ehe dauerte dann wenig mehr als ein Jahr.) Sowohl Ch. als auch mir mißfiel das Verhalten von K. und G. sehr. Der Unterschied: mir war klar, ich würde daraus für die Zunkunft entsprechende Konsequenzen ziehen, Ch. war dazu nicht fähig (vielleicht auch nicht willens).
Wir hatten uns in einem Schwimmbad kennengelernt (damals ging ich noch ab und zu in Schwimmbäder, später nie mehr). Sie lag in der Nähe zusammen mit einer Freundin (eine, die diesen Namen wirklich verdiente, wie ich später erkennen konnte). Abends fuhren wir alle drei dann in die Stadt. Die Freundin hatte dort eine Wohnung, genaugenommen nur ein Zimmer mit Schrank auf einem mit anderen genutzten Gang sowie ein ebenfalls außerhalb befindliches, sehr kleines Gemeinschaftsbad. Das Zimmer war spartanisch eingerichtet. Paar Bilder an der Wand, ein Bett, eine größere Matratze am Boden für Gäste zum Übernachten und als weitere Sitzgelegenheit neben einem einzigen Stuhl. Spartanisch, wie gesagt, aber irgendwie auch gemütlich. I., die Freundin, hatte es geschafft, auch aus diesem "Loch" noch etwas Angenehmes zu gestalten. Ich denke, beim Kennenlernen hatten wir alle drei zueinander großen Gefallen gefunden. Am Abend ergab es sich dann, daß Ch. und ich uns noch näher kamen. Mit Ch. wuchs dann eine enge Beziehung, I. und ich entwickelten eine tiefe, langanhaltende Freundschaft. (Sehr bald war mir allerdings klar, daß I. und ich besser zueinander gepaßt hätten, aber da war dann bereits zu viel an Freundschaft, an einer rein platonischen Beziehung, entstanden, als daß ich hier noch einen anderen Weg hätte gehen können.) Mit I. zog ich jedoch häufig durch die Kneipen, verbrache auch sonst viel Zeit mit und bei ihr, oft besuchte sie mich im Holzhaus und blieb mehrere Tage. I. hatte obendrein noch einen netten, interessanten, unterhaltsamen sowie recht offenen Bekanntenkreis, zwei Freundinnen von I. kamen ebenfalls des öfteren zu mir und wir hatten dann immer eine schöne Zeit, mit viel Musik, mit billigem Rotwein, mit viel Unterhaltung, mit vielen geteilten Träumen und (oft auch lustigen) Ideen. Ch. ging oft (auch) ihre eigenen Wege, und es kam irgendwann auch jene Zeit, in der die innere Distanz zwischen ihr und mir zunehmend größer wurde. Es wurde mir klar, daß es keine weitere Zukunft geben würde, daß Harry Chapins "And she said we must get together / But I knew it'd never be arranged" (from: "Taxi") sowie sein "There was not much more for us to talk about / Whatever we had once was gone" from: "Sequel") längst unsere gemeinsame Realität geworden war. Wir trafen uns immer seltener, jeder ging die ihm möglichen Wege, ich hatte bald eine andere gefunden, sie auch einen anderen. Ch. kam nach einer nicht allzu langen Pause danach immer wieder und zunehmend häufiger mich im Holzhaus besuchen. Aber ich wollte nicht mehr, konnte nicht mehr, sah keinen Sinn mehr in dieser Beziehung (von etwaigen sporadischen Besuchen einmal abgesehen), schon gar nicht darin, sie nochmals "aufzuwärmen" (etwa nach dem Motto 'For old times sake'). Zu I. hatte ich noch mehrere Jahre Kontakt, besuchte sie häufiger in München, wohin sie dann ihren Lebensmittelpunkt verlegt hatte, aber auch diese aus meiner Sicht so gewollte und lebbare rein platonische Beziehung wurde letztlich ihrerseits zu einem Problem, als ich in ihrer WG Ute (Biologiestudentin und in sog. linken Kreisen aktiv; durch sei erfuhr ich übrigens erstmals, wie es sich so als Arzneimittelversuchskaninchen so lebt ...) kennengelernt hatte. Ich fand das sehr schade, wirklich bedauerlich, aber was nicht geht, geht halt nicht.
Ich hörte im Laufe der folgenden Zeit ab und zu noch von Ch. Sie konnte einen ihrer größten Wünsche irgendwann dann sich doch erfüllen: einen BMW zu fahren. Sie war weiter berufstätig, weiter unstet, weiter häufig frustriert. Sie hatte auch eine Beziehung, zog mit ihm zusammen in eine große Wohnung in der Stadt, es wurden teuere Möbel gekauft, sie bürgte für die aufgenommenen Schulden, die Beziehung ging schnell zu Ende und Ch. saß auf einem hohen Schuldenberg. (Das hatte sie mir selbst dann bei einem Telefonanruf berichtet.) Sie hätte wirklich Besseres verdient gehabt. (Um kein Interpretationsmißverständnis aufkommen zu lassen: Ich wäre das für sie sicherlich nicht gewesen ...) Es kam dann die Zeit, ab der ich von ihr überhaupt nichts mehr hörte. Auf einem Lehrgang lernte ich eine Frau kennen, die sich als Kollegin von Ch. herausstellte. Eine sehr verbitterte und verhärmte Person, die an Ch. kein gutes Haar lassen konnte (oder wollte): sie sei nicht mehr hübsch -- ich denke, das geht wohl nicht so ohne weiteres verloren ... --, war bösartig -- ich kann mir nicht vorstellen, daß sie dazu auch nur die geringste Neigung hätte entwickeln können ..., sie sei oberflächlich -- ach, das sind doch so viele, jeder und jede auf die jeweils individuelle Weise (jene Kollegin von Ch. war ja geradezu ein Paradebeispiel hierfür) ... Weil jene Frau derart negativ auf Ch. zu sprechen kam, juckte es mich schon etwas, sie zu fragen ob Ch. ihr vielleicht irgendwann einen Mann oder Freund ausgespannt habe (wozu Ch. aus mehreren Gründen sicherlich in der Lage gewesen wäre ...), aber ich ließ es bleiben; was soll man sich denn mit dem Frust anderer, vor allem fremder Menschen belasten. Und man muß ja wirklich auch nicht alles wissen.
Wieder Jahre später -- ich fing an "auszumisten" -- kamen mir u.a. alte Photoalben in die Hand. Ich überlegte, was da noch aufbewahrenswert sei. Und: ob überhaupt. Nach kurzem Blättern und ebensolchem Überlegen entschied ich mich, alle Alben zu entsorgen. Die Erinnerungen hat man ohnehin im Kopf bzw. im Herzen, und wenn nicht, dann dürfte das Vergangene nicht von besonders großem Wert, zumindest nicht nachhaltig gewesen sein. Da ich viele Bilder von Ch. darunter fand, ich auch wußte, daß ihr zumindest früher Bilder sehr wichtig gewesen waren, dachte ich mir, ich versuche mit ihr Kontakt aufzunehmen und sie zu fragen, ob sie mit den Bildern etwas anfangen könne oder wolle. (Mehr wollte ich wirklich nicht! Bin vor allem kein Freund davon, die Vergangenheit wiederbeleben zu wollen! Was nicht gewachsen ist und nicht weiter wächst, dem sollte man weder Raum noch Zeit opfern.)
Da ich unter ihrer mir bekannen Telefonnummer keine Verbindung erhalten konnte, ging ich den Weg übers Internet. Und dort wurde ich auch relativ schnell fündig. Ch. war bereits verstorben. Die Nachricht verriet zudem nichts Gutes. Etwa, daß die Kraft zu Ende gegangen sei. (Dafür war sie eigentlich noch entschieden zu jung!) Ich fand dann auch noch zusätzlich, daß ihre Mutter sich längst von ihrem Ehemann getrennt hatte, in die Stadt gezogen war und dort dann recht kurz vor Ch. ebenfalls verstorben war. Da ich beide wirklich sehr gut kannte, beiden geraume Zeit sehr nahe war, beider Seelenleben sehr offen vor mir lag, vermute ich, daß letztlich beiden die Kraft des Aufbäumens abhanden gekommen war. Vielleicht auch eine Art von Sogwirkung. Wissen tue ich es nicht, aber die Wahrscheinlichkeit sowie das Zwischendenzeilenlesen der Nachrichten lassen diese Überlegungen als Möglichkeit wachsen. Bleibend sind jedenfalls schöne Erinnerungen, eine durchaus auch in großen Teilen "gemeinsame Zeit" und die Sicht auf Möglichkeiten und Grenzen im Dasein. Ch. und ihre Mutter hatten viele enge Gemeinsamkeiten, eine davon wohl: unerfüllbare, endlose Sehnsüchte ...
I remember: G.M.
Als Kind war ich häufiger dort gewesen. "Alpenzeiger" hieß der Ort, ein Rondell auf einem kleinen Hügel. Und tatsächlich konnte man zu früherer Zeit bei entsprechendem Wetter von dort Teile der Alpen sehen. Zur Grundschulzeit ging der Lehrer mit uns bei guter Schneelage (und die gab es damals jedenfalls häufig) dorthin auch zum Schlittenfahren. Heute ist der schöne Blick längst verbaut, der "Alpenzeiger" eingeengt von Wohn- und Industriebauten. Aber eine doch recht lange Zeit erlebte und ermögliche der "Alpenzeiger" Abstand, relative Verschwiegenheit und Idylle. Am Alpenzeiger traf ich mich häufiger mit G., ja, dort haben wir uns eigentlich erst "richtig" kennengelernt. Wir trafen uns dann sehr oft. Meistens in ihrem Dachgeschoßzimmer im Haus ihrer Eltern. Wir lernten uns immer besser kennen. Wir tauschten uns aus, immer wieder, auf alle mögliche Weise. Sie war intelligent, lustig, ernst, vor allem war sie auch: auf der Suche. Sie hatte den Hauptschulabschluß und Friseurin gelernt. Meine Haare ließ ich damals aber lieber einfach nur wachsen. Sie fand das in Ordnung, obwohl sie Ideen gehabt hätte ... Aber sie war tolerant, wollte vor allem niemanden etwas aufdrängen. Auch sich selbst nicht. Sie liebte Musik, meist die jeweils aktuellen Songs, wobei ihr die ruhigeren Töne besser gefielen als die lauten. Wenn sie bei mir war, was häufiger der Fall war, blieb sie nie mehr als zwei Tage; sie meinte stets beim Gehen, jeder Mensch brauche auch Zeit und Gelegenheit wieder einmal für sich sein zu können.
Beide wußten wir aber auch eines: wir werden uns nur eine gewisse Zeit so nahe sein. Auch wenn dies mehr oder weniger unausgesprochen blieb: dieser Gedanke an das Vorbeigehen war uns -- wie auch immer -- gegenwärtig. Eines Tages, wir waren mit dem Auto auf dem Weg in die nahegelegene Großstadt, sagte sie zu mir plötzlich, sie werde bald in den Schwarzwald gehen. Sie wolle dort arbeiten. In einem renommierten Urlaubsort. Diese Mitteilung hatte mich nicht besonders überrascht. Sie ging dann auch sehr bald dorthin. Wir schrieben uns noch ein paarmal, riefen uns hin und wieder gegenseitig an, irgendwann haben wir uns dann endgültig aus den Augen verloren. Einer meiner Bekannten und seine Frau besuchten sie im Schwarzwald ab und zu, er erzählte mir, wie es ihr so ginge, sagte irgendwann einmal, sie hätte nun geheiratet und hätte eine Tochter. Wie es eben bei so vielen ganz normal sich ergibt halt.
Jahre später traf ich sie wieder. Der vorgenannte Bekannte hatte zu seinem runden Geburtstag eingeladen. Eine aufwändige Gartenparty, im MIttelpunkt er selbst mit einem Dia-Vortrag über sein Leben, die Bilder von ihm erläutert in einer eher (gelinde gesagt) abgehackten Sprache. (Mir kam da einmal mehr der Gedanke, daß man, wenn man etwas nicht beherrscht, das besser doch bleiben lassen sollte beziehungsweise an sich zunächst entsprechend arbeiten müsse.) Mir gegenüber saß nun G., neben ihr der Ehemann. Sie grinste auch, wie ich, bei dem Vortrag des "Geburtstagskindes". Ich hatte sofort das Gefühl, wir verstehen diesbezüglich einander, was sich im späteren Gespräch dann auch bestätigte. Überhaupt hatte ich nicht das Gefühl, als hätten wir uns Jahre nicht mehr gesehen (was ja eigentlich Fakt war!). Wir konnten uns völlig unverklemmt unterhalten, keine Verlegenheit, keine falschen Reminiszenzen. Auch mit dem Ehemann, der allerdings eher wortkarg war, ging es unproblematisch. G. sagte zu mir dann einmal: "Ich habe die Tage ganz fest an dich gedacht! Hast Du das gespürt?" Ich mußte da ehrlich bleiben und das verneinen, meinte zu ihr auch, an so etwas glaube ich nicht, ich denke zwar auch immer wieder mal an sie, gehe aber dann wirklich nicht davon aus, daß sie das dann ebenfalls spüre. G. meinte daraufhin, das gäbe es sehr wohl, sie glaube schon an telepathische Fähigkeiten. Ich sicherlich nicht! Sobald es mir zu esoterisch wird, tue ich das auch wo auch immer kund, ohne irgenwelche Umschweife und Beschönigung. Aber dieses kurze Intermezzo störte unsere weitere Unterhaltung keineswegs, wir konnten, genauso gut wie früher auch schon, miteinander reden.
Zu etwas fortgeschrittener Stunde fand ich dann aber trotzdem doch, es wäre für mich nun Zeit zu gehen. (Trotz guter Unterhaltung sollten solche Megafeste -- auf denen ja einem meistens leider auch immer wieder unliebsamere Zweibeiner, fast unvermeidbar und so geschah es ja auch dort, begegnen und ein nicht gerade einen bereicherndes Déjà Vû bescheren, vor allem ihren Zustand eigenen Stehengebliebenseins hemmungslos dokumentieren -- einen doch zum rechtzeitigen und nicht zu späten Abschied veranlassen ...).
G. und ich verabschiedeten uns sehr herzlich, sie meinte, ich solle sie doch bald mal und unbedingt im Schwarzwald besuchen, wir derinnerten uns gegenseitig an die Telefonnummern und Mail-Adressen und das war es dann für diesen Abend zunächst. Einige Tage später rief sie mich an, wir telefonierten dann in der Folgezeit eher sporadisch weiter. G. erinnerte mich dabei immer wieder an den "versprochenen Besuch". Ich hatte diesen ja auch ernsthaft vor, aber aus dem "bald" wurde eben -- erst einmal nichts.
Der letzte (mögliche, was ich damals freilich nicht wissen, auch nicht ahnen konnte) Anruf bei ihr: sie war abwesend, es war ihre Tochter am Apparat, wir unterhielten uns über eine Stunde, eigentlich ein sehr schönes und interessantes Gespräch. G. war an jenem Abend "unterwegs". Ich sagte der Tochter, ich rufe "bald" wieder an.
Und "bald" kam dann zunächst einmal so: Als ich einmal so kurz vor einer Weihnachtszeit an meinem PC arbeitete, gab ich auch den vollen Namen von G. in eine Suchmaschine; ich wollte einfach sehen, ob sie nun eine Webpräsenz hatte. Hatte sie nicht. Aber ihr Name erschien: als Todesanzeige. Plötzlich verstorben, ein Hinweis auf eine Waldbestattung mit Datum und Ort. Der Tochter habe ich noch einen längeren Brief geschrieben, er blieb unbeantwortet, was hätte sie mir auch schon groß schreiben sollen. Jeder muß letztlich seinen Weg (alleine) gehen. Um ehrlich zu sein: ich bin mir überhaupt nicht sicher, ob ich überhaupt jemals diesen Besuch geschafft hätte; es mag gelten: der erklärte Wille war in den jeweiligen Augenblicken sicherlich da und auch ehrlich gewesen, aber die Wirklichkeit ist dann doch allzu häufig eine andere. Ich habe G. jedenfalls in Erinnerung, denke des öfteren an sie, auch daran, was für ein lieber und kluger Mensch sie war, vor allem auch ein Mensch von dem man viel lernen konnte. Und eines habe ich auch einmal mehr begreifen müssen: mit diesem "bald" sollte man sehr, sehr behutsam umgehen!
I remember: Leonard Cohen
Lange bevor Leonard Cohen als Liedermacher und Songschreiber bekannt wurde, trat er als Autor / Poet hervor und hatte dabei einen recht ansehnlichen Erfolg. Weniger bekannt: Cohen hat auch als Maler viel Kunst geschaffen: Zeichnungen, Gemälde, Selbstportraits, Portraits, Objekte wie z.B. Musikinstrumente, Stillleben und Frauenakte.
Musik war für ihn zunächst eher zweitrangig. Allerdings hat er bekundet, daß er mit 13 Jahren deshalb Gitarre lernte, um damit ein Mädchen zu beeindrucken – Grund genug, seine Zuwendung zur Musik nicht allzu gering anzusetzen ... Wie überhaupt später einige seiner zahlreichen Lebensgemeinschaften (er selbst lehnte das Wort »Beziehung« ab) immer wieder Impulse für seine Liedertexte setzten.
Zudem hatte er in früher Jugend schon kleinere Auftritte in Cafés, mit 15 Jahren spielte er in einer Country-Band namens »Buckskin Boys« (drei Musiker).
Bis 1955 studierte Leonard Cohen Englische Literatur an der McGill University in Montreal (Würdigung: »among McGill’s most notable alumni«) und veröffentlichte bereits sein erstes Buch »Let Us Compare Mythologies«. Seine ursprüngliche Absicht war zweifellos, Schriftsteller – nicht Musiker – zu werden; dies wurde auch dadurch befördert, daß er noch vor seinem Universitätsabschluß den "McNaughton"-Preis für kreatives Schreiben erhielt. An der Universität war Cohen auch in einem Debattierclub engagiert. (Nach seiner Zeit an der Universität arbeitete Cohen ebenfalls im Betrieb seines Vaters.)
Jedenfalls war sein Werdegang als Autor vorgezeichnet und auf ihn trifft das zu, was man von den meisten Sängern gerade nicht sagen kann: sein literarischer Erfolg ging seiner Zeit als musikalische Berühmtheit voraus; meistens ist es ja so, daß jemand zunächst andere große Erfolge (als Sänger bzw. in anderen Metiers) hat und dann, weil man als Verleger sich sicher sein kann, als (anerkannte) Erfolgsgröße läßt sich so jemand gut vermarkten, erst schriftstellerisch verwertet wird (der unzählige gedruckte häufig eher geistlose Ballast aus Prominenten der Musikszene, aus Sport und Politik u.a.m. bestätigt diese Vorgehensweise deutlich ...) Er war also bereits ein anerkannter Schriftsteller ehe er durch seine Musik berühmt wurde.
Die Tantiemen aus seinen Buchveröffentlichungen sowie Stipendien ermöglichten ihm längere Reisen durch Europa; zuletzt bezog er ein Haus auf der griechischen Insel Hydra (eine der Saronischen Inseln, etwa 65 km südwestlich von Athen), wo er dann von 1960 bis 1967 lebte. Sein Dasein dort wurde von vielen als ein Leben in Idylle gesehen; er selbst stellte das einmal in einer retrospektiven Betrachtung allerdings anders dar: er sprach, sein Leben dort doch sehr relativierend, von viel Schmerzen, viel Einsamkeit, viel Verzweiflung – neben all den sicherlich auch schönen Erfahrungen und Erlebnissen.
Tatsache ist aber auch, daß er auf Hydra sehr schöpferisch tätig war: er veröffentlichte die Novellen »The Favourite Game« (1963) [dieses Buch wurde von Toronto's Globe and Mail als »one of the best ten Canadian novels of the twentieth century« bewertet und mit J. D. Salingers »Catcher in the Rye« verglichen.], »Beautiful Losers« (1966), ein internationaler Bestseller, sowie den Gedichtband »Flowers for Hitler! (1964).
Angeblich hat Cohen in jener Zeit Bob Dylans »Desolation Row« gehört und dieses (phantastisch tolle) Lied habe ihn dazu bewogen, nun selbst erst so richtig intensiv sich dem Gitarrenspiel zu widmen, dies mit der Absicht, ebenfalls Musiker zu werden.
Auf Hydra lebte er einige Jahre mit der Norwegerin Marianne Ihlen zusammen. Ein für Cohen-Fans besonderes Ergebnis dieser Beziehung waren mindestens folgende zwei wunderschöne (und sehr erfolgreiche) Lieder: »So Long, Marianne« und »Hey, That's No Way To Say Goodbye«.
Für seine musikalische Karriere war dann das Jahr 1967 entscheidend: er veröffentlichte sein allererstes Album »Songs of Leonard Cohen«. Diese Platte machte ihn international bekannt, sie war sehr erfolgreich. Im Sommer trat er beim »Newport Folk Festival« auf, es folgten zahlreiche, stets ausverkaufte Konzerte. Dies führte in eine fast fünfzigjährige Musikkarriere, diese allerdings immer wieder durch Rückzüge (so z.B. in ein Kloster: Mount Baldy Zen Center in den San Gabriel Mountains nördlich von Los Angeles) unterbrochen. Er nahm sich also bisweilen das, was man gemeinhin als »Auszeiten« bezeichnet. [In seiner Phase der Zen-Meditation wurde er 1996 unter dem Namen Jikan (der Stille) zum Mönch ordiniert. Und irgendwie wirkte er auch sonst in seiner ganzen Erscheinung doch eher als »der Stille« als »der Laute«, nicht wahr?.]
Zusammengefaßt läßt sich feststellen: von 1956 bis 2016 schrieb er viele Gedichtsammlungen und Romane/Novellen, produzierte vierzehn Studienalben (LPs), einige Live-Alben sowie Kompilationen. Kurz vor seinem Tod erschien am 21. Oktober 2016 sein letztes Album »You Want It Darker«.
Cohens Texte / Lieder beschäftigen sich mit eher existenziellen Dingen: Liebe, Freundschaft, Sinn des Lebens, Spiritualität, Leid und Tod, aber bei aller oft vorherrschenden Schwermütigkeit auch mit Hoffnung, Zuversicht und gewiß, zwar etwas seltener, mit Schmetterlingen im Bauch, sie sind sicherlich zumeist melancholisch gefärbte, poetische Lieder. Aber seine allerletzte Platte deutet es allein schon im Titel an: Es geht um Schwere, um Endgültigkeit und um das Ende. Es sollte von ihm noch eine weitere Platte geben, das Material dafür war zum großen Teil bereits vorhanden. Diese einzuspielen war ihm aber nicht mehr vergönnt. Sein Sohn Adam Cohen griff dieses Erbe auf und gestaltete es im Sinne seines Vaters. Kommentar hierzu von Adam Cohen: «Er wusste schon bei der Aufnahme zu 'You Want It Darker', daß es ein weiteres Album geben würde. Sein Thema war zuletzt, dem Tod fest und würdig ins Auge zu blicken - Goodbye zu sagen. Romantisches hatte da keinen Platz. Aber jetzt gibt es Platz dafür. 'Thanks For The Dance' ist daher genau der richtige Titel für diese Platte.» Diese Platte ist 2019 erschienen; die neun Titel: Happens to the Heart; Moving On - Cohen, Leonard / Rizou, Mariza / Perez Cruz, Silvia; The Night of Santiago; Thanks for the Dance; It's Torn; The Goal; Puppets; The Hills; Listen to the Hummingbird.
Diese Songs sind laut Adam Cohens Aussage Originalmaterial seines Vaters, weiteres Material sei jedoch nicht mehr vorhanden. Also: That's it!
Leonard (Norman) Cohen wurde am 21. September 1934 in Westmount, einer noblen Gegend im englischsprachigen Teil Montreals, Kanada, geboren. Er verstarb am 7. November 2016 – zweiundachtzigjährig – in Los Angeles, Kalifornien, USA. Seine Todesursache war ein Sturz im eigenen Haus, wohl verursacht durch eine Blutgerinnungsstörung als Folge einer Leukämieerkrankung.
Und zwischen Geburt und Tod dann: jede Menge intensiven Lebens mit all seinen Licht- und Schattenseiten ...
Eine dieser Schattenseiten war sicherlich der Umstand, daß Leonard Cohen sein ganzes Leben mit Depressionen kämpfte. Er hat das einmal folgendermaßen beschrieben: »Wenn ich von Depressionen spreche, spreche ich von klinischen Depressionen, die der Hintergrund meines ganzen Lebens sind, ein Hintergrund voller Angst und Beklemmung, einem Gefühl, daß nichts richtig läuft, daß Zufriedenheit nicht möglich ist und alle Strategien in sich zusammenfallen.«
Leonard Cohen war Sohn einer einflußreichen jüdischen Familie und diese Religion hat Cohen zeitlebens stark beeinflußt. Einen sehr großen Einfluß auf Cohens Leben hatten seine zahlreichen Beziehungen zu Frauen, verheiratet war er jedoch nie. Aus seiner Verbindung mit Suzanne Elrod stammen ein Sohn und eine Tochter: Adam Cohen (1972 geboren, selbst Sänger) und Lorca Cohen (1974 geboren, Photographin und Videoproduzentin). Lorca begleitete ihren Vater übrigens von 2008 bis 2010 als Photographin und Filmerin auf seinen Tourneen. [Lorca entdeckte Ende 2004, daß Cohens Vertraute und Managerin Kelley Lynch Vermögen in Höhe von mehreren Millionen Dollar veruntreut hatte. Cohen verklagte Lynch deshalb, gewann den Prozeß, jedoch das Geld blieb verschwunden. Diese Geldnot ist sicherlich auch ein Grund, weshalb Leonard Cohen dann wieder Songs produzierte.]
Ich selbst begegnete Leonard Cohen erstmals durch sein wundervolles und sehr lyrisches Lied »Suzanne«. Vielleicht wirkte es damals ganz besonders auf mich, weil mich Stimme, Text, Melodie und Vortrag in unwirtlichster Umgebung ansprachen – bei einem Aufenthalt in einer Kaserne. Aber bis heute spüre ich immer wieder: dieses Lied wirkt auf mich ungeachtet von Raum, Zeit und Stimmung. Absolute Wirkung? Vielleicht. Jedenfalls: herausragende Poesie!
Wie dem auch entrinnen?!: »There are heroes in the seaweed / There are children in the morning / They are leaning out for love / And they will lean that way forever / While Suzanne holds the mirror // And you want to travel with her / And you want to travel blind /And you know that you can trust her / For she s touched your perfect body with her mind.«
Ja, damit hat es (auch für mich) angefangen und bis heute nie mehr aufgehört – Leonard Cohens Musik ist und bleibt einzigartig, sie ist fast immer auch poetisch und vor allem ein Ausflug in die Mannigfaltigkeit von Gefühlswelten. Er arbeitet(e) stets mit schönen und treffenden Bildern, stellte sich dem Schwierigen wie auch dem (scheinbar) Leichten, benannte Gewinn und Verlust, versteckte sich nicht vor Anfang und Ende, er hat alle Sphären des menschlichen Daseins und Erlebens wie auch des Nichterlebens angesprochen. Und wenn er hin und wieder kryptisch wurde, dann doch meist so, daß es verständlich, zumindest nachvollziehbar blieb. Bei seinen Liedern und Texten dürfte wohl der Hauch an Düsterheit überwiegen, wenngleich häufig etwas durch eine konzertante Darbietung überlagert. Das Träumerische, das Unwägbare, das eigentlich nicht oder kaum Greifbare, waren immer wieder sein Thema. Wie auch in seinem frühen Gedicht »There are some men«, in dem er schreibt »There are some men / who should (sic!) have mountains / to bear their names to time.«, um dann mit »I had a friend: / he lived and died in mighty silence / and with dignity, / left no book, son, or lover to mourn. // Nor is this a mourning song / but only a naming of this mountain / on which I walk, / fragrant, dark, and softly white / under pale mist. / I name this mountain after him.« seine Gedanken fortzusetzen. (aus: The Spice-Box of Earth; Selected Poems 1956 - 1968, Bantam edition 1972, S.40) Immer wieder begegnet man bei Leonard Cohen auch dem Zwiespältigen, vielleicht sogar auch: einer Gespaltenheit. So beispielsweise wenn er dichtet »I wrote all these songs for you / I burned red and black candles / shaped like a man and a woman / I married the smoke / of two pyramids of sandalwood / I prayed for you / I prayed that you would love me / and that you would not love me« (You do not have to love me; New Poems, Bantam ebd., S. 223)
Es hieße Eulen nach Athen tragen, wollte man Cohens Emotionalität in seinem Werk – sicherlich ein Ergebnis seiner Persönlichkeit – groß aufzeigen. Man muß sich nur einmal »Ballad of the Absent Mare« (Album: Recent Songs) genauer anhören, ein Lied voller spiritueller Aspekte, jedoch keine Aufzählung gar unzusammenhängender Mosaiksteine, sondern zunächst eher ein »Kompendium eines gesamten spirituellen Weges«: vom Sucher, vom Hoffenden, zu einem Sehenden und Begreifenden, zu einem Aufbrechenden, wenn es unter anderem lautet »Oh the world is sweet / The world is wide / And she's there where / The light and the darkness divide / And the steam's coming off her / She's huge and she's shy / And she steps on the moon
When she paws at the sky.« Und dieses Bild der Vereinigung von Reiter und Stute zieht sich durch das ganze Lied, immer wieder auch vom Spannungsverhältnis aus Traumbildern und (fiktiver?) Realität durchzogen. Diese enge Verzahnung von Wunsch und Wirklichkeit, von Schönheit, von Idylle, aber auch von Zerbrechlichkeit, von Hingabe und Zurückhaltung. Aber, typisch Cohen, folgt zum Schluß dieses Liedes nach erneuter Betonung des Traumhaften dann wieder der Ruf des realen Daseins, der Verweis auf Grenzen und Möglichkeiten der Entfaltung: »Now the clasp of this union / Who fastens it tight? / Who snaps it asunder / The very next night /Some say the rider / Some say the mare / Or that love's like the smoke / Beyond all repair // But my darling says / "Leonard, just let it go by / That old silhouette / On the great western sky" / So I pick out a tune / And they move right along
And they're gone like the smoke / And they're gone like this song.« Und damit endet das Lied mit einem gekonnten längeren instrumental-musikalischen Ausklingen. [Wie von vielen Cohen-Songs gibt es auch von dieser Ballade über eine wohl unerreichbare, dauerhafte Nähe einige sehr gute Cover-Versionen, z.B. von Emmylou Harris, Rob Wasserman with Jennifer Warnes, Jennifer Warnes, Teddy Thompson, Juni Fisher, Perla Batalla, Javier Colis & Perla Batalla, Lynn Craig und m.E. vor allem die exzellente von der Schweizerin Aurélie Kilchenmann. Auch Nana Mouskouri hat dieses Lied unter dem Titel La ballade de chien-loup gesungen.]
Leonard Cohen hat durchaus immer wieder auch die Verworfenheit des Menschen in seinem politischen Kontext angesprochen, ja mal mehr, mal weniger deutlich. Eindeutig sicherlich beispielsweise in seinem Song »First we take Manhattan« (Album: I'm Your Man) und vor allem in seinem Album »The Future«. Vielleicht leitete ihn da der altbekannte Spruch revoltierender Kreise, wonach alles Verhalten, alles Sein, eben irgendwie auch von politischer Natur sei, zumindest in der Auswirkung auf die eigene Lebenspraxis. Cohen war hinsichtlich Optimismus mit Blick auf die Zukunft stets eher skeptisch, für Euphorie sah er da wenig beziehungsweise keinen Spielraum.
Für mich sind alle Alben Cohens von einer herausragenden Qualität, besonders hinsichtlich Aussagekraft. Er selbst hat das jedoch nicht immer so gesehen; so stand er beispielsweise seiner Veröffentlichung von »Death of a Ladie's Man« (sein fünftes Studioalbum) eher kritisch gegenüber, fand diese Zusammenarbeit mit Phil Spector (Erfinder des "Walls Of Sound") letztlich alles andere als erbaulich. Cohen über Spector: »Fremde Schatten in der eigenen Dunkelheit ertrugt er nie«. Die Sängerin Joni Mitchell – ihr großer Anteil an Cohens Karrierebeginn ist belegt – hatte Cohen sehr deutlich vor einer Zusammenarbeit mit Phil Spector (wegen seines unberechenbaren Verhaltens) gewarnt. In einem Interview 2001 sagt Cohen über jene Zusammenarbeit: »It was just one of those periods where my chops (= the ability, skill, or experience needed to do something well, d.V.) were impaired and I wasn’t in the right kind of condition to resist Phil’s very strong influence on the record and eventual takeover of the record.« Cohen spielte – bezeichnenderweise – die Lieder des Spector-Albums nie auf seinen Live-Konzerten ... Ich fand aber auch dieses Cohen-Album sehr gut, auch (oder gerade?) weil es eine etwas ungewohnte Produktion aufwies.
[Gegen Spectors »Walltechnique« hatte ich ohnehin nie etwas einzuwenden, denn seine Produktionen, angefangen von der Teddy Bears »To Know Him Is To Love Him«, gefielen mir gut – völlig anders dagegen sehe ich seine unerträgliche Entwicklung hin zu einem Menschen mit sehr schlechten Charaktereigenschaften und dem damit korrespondierenden Verhalten. Letztlich wurde er so leider dann auch zum Kriminellen.]
Cohens Musikschaffen war im Kern jedoch grundsätzlich fern von Freude an oberflächlichem Singsang und (politischer) Protesthaltung. Sein lyrisches Kerngebiet war ein anderes: ein in der Popmusik einzigartigen Verbindung von Liebe, Spiritualität, Sehnsüchten und (immer wieder zumindest angedeuteten) Sexualität. Er wurde zur Identifikationsfigur für jene, die in der Musik auf Suche nach Intimität, Spiritualität und anspruchsvolleren (lyrischen!) Texten waren. Die meisten seiner Songs sind stets vertonte Gedichte, an denen er oft jahrelang arbeitete. Herausragendes Beispiel dafür ist sein Lied »Hallelujah«, das letztlich irgendwann aus unzähligen Strophen bestand, von denen Cohen jedoch stets nur wenige ausgewählte sang. Auch wenn der Titel es suggerieren könnte, handelt es sich in erster Linie um kein religiöses Lied, sondern um ein Gedicht, in dem man allen Facetten des Lebens begegnen kann, das in vielerlei Hinsicht nachdenklich stimmt und vor allem: zum Innehalten anregt. Wer Cohen nahekommen möchte, der kann das sicherlich über sein lebenslanges Schaffen, über die große Anzahl seiner Lieder und schriftstellerischen Veröffentlichungen. Ich denke aber, man sollte durchaus auch einen aufmerksamen Blick in sein »The Book of Longing« (Ecco 2006) werfen, in dem auch Gedichte aus seinem Klosteraufenthalt zu lesen sind.
Seine persönliche Entwicklung auf der Grundlage ihrer Ausgangslage kann man bereits sicherlich mittels seinem frühen Roman »The Favourite Game« zumindest in etwa erkennen. Der Protagonist im Roman, Lawrence Breavman, einziger Sohn einer gutsituierten Familie in Montreal, dürfte für Cohens jugendliches Alter Ego stehen. Sein Leben wird in den Phasen ausgehend von früher Adoleszenz bis in die frühen zwanziger Jahre geschildert, eine Zeit aus Verwirrungen und Durcheinander sowie Enthüllungen, Entdeckungen und Ausprobieren. Ein kleines Gedicht leitet die Erzählung ein: »As the mist leaves no scar / On the dark green hill, / So my body leaves no scar / On you, nor ever will«. Schon sind mir da mitten im Geschehen, wie Breavman sich durch sein Leben bewegt, von ihm einerseits isoliert, andererseits als sein eigener Beobachter, so als betreffe es ihn eher nicht. Wie in seinen (späteren) Liedern geht es um Frauen, die den Weg kreuzen. Da ist zunächst Shell »whose ears were pierced so she could wear filigree earrings« und ihr folgt eine lange Liste weiterer Frauen (bisweilen unerfreuliche Beziehungserlebnisse und von Wiederholungsgefühlen durchlebt): Heather, Bertha, Lisa, Tamara, Norma, Patricia – Frauen, welche wohl dem vorausgehen, was Cohens spätere uns wohlbekannte (und miterlebte?) »Suzannes« und »Mariannes« der Lieder ausdrücken, uns nahebringen. Wie Cohen es dann aber erläuternd einmal feststellte: »They were the only beauty, the last magic, ... everything else was fiction«. In einem Interview hat Cohen über seine zwei frühen Romane auch gesagt, sie erscheinen ihm nun fern, die Arbeit eines jüngeren Menschen. Gleichwohl werfen sie doch (immer noch) ein Licht auf die Entwicklung Cohens als Dichter, Lyriker, Denker und Philosophen.
Jene seinerzeit versuchten, unternommenen (und offensichtlich auch zumeist gelungenen) Experimente des jungen Leonard Cohen weisen sehr deutlich auch in mannigfaltiger Hinsicht auf seine weitere Entwicklung und Lebensgestaltung.
Letzlich wird jeder / jede für sich selbst entscheiden müssen, ob und was man Cohens Beispiel und Gedanken abgewinnen kann. Aber diese Aufgabe stellt sich einem bekanntlich immer wieder – in allen denkbaren (und undenkbaren ...) Bereichen.
Ich möchte, all diese Gedanken abschließend, deshalb Leonard Cohen selbst noch einmal mit einigen (für ihn sicherlich typischen) Worten aus seinem allerletzten Album zu Wort kommen lassen:
»I can't leave my house / Or answer the phone / I'm going down again / But I'm not alone // No one to follow / And nothing to teach / Except that the goal / Falls short of the reach« (song: The goal)
und
»Listen to the hummingbird / Whose wings you cannot see / Listen to the hummingbird / Don't listen to me // Listen to the butterfly / Whose days but number three / Listen to the butterfly /Don't listen to me« (song: Listen to the Hummingbird)
I remember: Chuck Berry
Zweifelsohne war / ist Chuck Berry einer der einflußreichsten Rock-Stars. Bekannt wurde er mir durch seine Single »Sweet Little Sixteen / Reelin' And Rockin'« (Chess Records, Januar 1958). Seine allererste Veröffentlichung: »Maybelline / Wee Wee Hours« (Chess, Juli 1955).
Er hat letztlich wirklich Rock-Musik-Geschichte geschrieben ...
Alle seine Songs hier zu nennen, sprengt den von mir vorgesehenen Platz; legendär jedoch seine Songs »Johnny B. Good«, »Thirty Days«, »Roll Over Beethoven«, »Too Much Monkey Business«, »Brown Eyed Handsome Man«, »Rock And Roll Music«, »Back In The USA«, »Memphis, Tennessee«, »Bye, Bye Johnny«, »You Never Can Tell«, »My Ding-A-Ling« (man mag es kaum glauben, es war sein einziger Nummer 1 Single-Hit in der Billboard Hot 100, dies erst im Jahr 1972); sein Lied »It Take But A Few Minutes« hatte nicht den großen Erfolg, gehört jedoch zu meinen Lieblingssongs. Wer die Vielseitigkeit Chuck Berrys, vor allem auch seine enorme Virtuosität auf der Gitarre, näher kennenlernen möchte, der sollte sich einmal die hervorragende Box von Bear Family Records »Chuck Berry« näher ansehen: dort findet man neben seinen bekannten Veröffentlichungen wirkliche Kleinode, darunter auch eine interessante Version von »Jamaica Farewell« (bekannt durch Harry Belafonte).
Chuck Berry, eigentlich Charles Edward Anderson Berry, wurde am 18. Oktober 1926 in St. Louis geboren. Er hatte fünf Geschwister - drei ältere und zwei jüngere. Seine Eltern Martha und Henry Berry waren Enkelkinder von versklavten Menschen; sie gehörten zu den ersten Afro-Amerikanern, die vom ländlichen Süden nach St. Louis zogen, um dort während des Ersten Weltkrieges Arbeit zu finden. Martha war eine der wenigen ihrer Generation, die einen College-Abschluß schafften, Henry war ein sehr fleißiger Tischler und zugleich Diakon in der Antioch Baptist Kirche. Man muß wissen, daß zur Zeit von Berrys Geburt in St. Louis eine sehr strenge Rassentrennung herrschte, denn vor diesem Hintergrund dürften sich auch einige von Chuck Berrys kriminelle Verirrungen erklären lassen ... (Vielleicht gilt hier der bekannte Satz von Leonard Cohen »Should rumour of a shabby ending reach you, it was half my fault and half the atmosphere.«) Den ersten Kontakt mit weißen Menschen erfuhr Chuck übrigens erst im Alter von drei Jahren als er einige weiße Feuerwehrleute einen Brand bekämpfen sah. Er wohnte im Norden von St. Louis, in Ville, einer »middle-class Black community that was a haven for Black-owned business and institutions. Chuck Berry besuchte die Summer High School.
Zusammen mit einem Schulfreund fuhr er im Mai 1955 nach Chicago; dort wollte er Howlin' Wolf, Elmore James und Muddy Waters live auftreten sehen. Er holte sich dann von Muddy Waters ein Autogramm und erkundigte sich, wo er selbst denn Aufnahmen machen lassen könnte. Waters verwies ihn an Chess Records. Mit einem Demoband (ein Song darauf: »Ida Red«) sprach Chuck Berry dann bei Leonard Chess vor, woraufhin er einen Termin für eine Aufnahme-Sitzung am 21. Mai 1955 erhielt; das Ergebnis: Chucks erste Single, »Ida Red« allerdings in »Maybellene« umbenannt. (siehe auch weiter oben) Die Platte wurde über eine Million Mal verkauft, erreichte den ersten Platz in den Billboard Rhythm and Blues-Charts und blieb 11 Wochen lang in den Pop-Charts.
Er verstarb am 18. März 2017 in St. Charles County, Missouri, im Alter von neunzig Jahren
Chuck Berry heiratete seine Frau Themetta1948, ein Jahr nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis. Er war also bereits vor seinem Erfolg in der Musikindustrie verheiratet. Ihre Ehe brachte vier Kinder hervor – Carlin Ingrid, Aloha Isa Lei, Charles Ji und Melody. Im Gegensatz zu einigen anderen Prominenten, deren Ehen wegen ihres Ruhms bzw. des damit verbundenen Lebenswandels, immer wieder scheiterten, blieben Berry und seine Frau bis zu seinem Tod zusammen. Sie waren mehr als 68 Jahre verheiratet.
Ich hatte weiter oben Berrys Konfrontation mit dem Gesetz angedeutet. Schon als Teenager wurde er wegen eines bewaffneten Raubüberfalls und Autodiebstahls verhaftet und eingesperrt. (Damals besuchte er noch die Highschool.) Wegen dieser Straftaten war er bis zu seinem 21. Geburtstag im Jahre 1947 drei Jahre lang im Jugendgefängnis Algoa bei Jefferson City. Er wurde vorzeitig entlassen, arbeitete dann zunächst als Friseur.
Eine weiterer Konflikt mit der Justiz dann im Dezember 1959, weil er ein minderjähriges, aus Mexiko stammendes Mädchen in einen Nachtclub vermittelt hatte (Vorwurf: Förderung der Prostitution von Minderjährigen): fünf Jahre Gefängnis und 5.000 US-Dollar Strafe. In zweiter Instanz (Die Anklage mußte nach einem unverhohlen rassistischen Richterspruch neu aufgerollt werden!) wurde die Strafe auf drei Jahre Gefängnis reduziert. Entlassung dann im Oktober 1963.
Wegen Einkommensteuerbetrug erhielt er später drei Monate Gefängnis (1979). Hier wurde ihm zum Verhängnis, daß er bei Auftritts-Gagen auf Bargeld bestand und ihm unterstellt wurde, diese Einkünfte nicht ordnungsgemäß angegeben zu haben.
Sein Gitarrenspiel und sein besonderer Gesangsstil waren neben seinem watschelnden Duck-Walk (Entengang) Berrys Markenzeichen. Er spielte in den 1950er Jahren bis Anfang der 1960er eine Gibson ES-350T, später vor allem eine Gibson ES-335 (in Rot oder Braun). In einem Interview erklärte Chuck Berry einmal, sein Erfolgsgeheimnis sei, möglichst einfache Musik zu schreiben, sodaß sie viele Leute nachspielen können. Außerdem sei wichtig, über Dinge zu singen, bei denen jeder mitreden kann: Jobs, Autos und die Liebe.
Typisch für Chuck Berry dürften folgende seiner Aussagen sein: »I made records for people who would buy them. No color, no ethnic, no political—I don't want that, never did.« sowie »All in all, it was my intention to hold both the Black and the white clientele by voicing the different kinds of songs in their customary tongues.« Und was seinen alltäglichen Blick angeht, dürfte auch das auf ihn wirklich zutreffen: »It's amazing how much you can learn if your intentions are truly earnest.« Übrigens auf Fragen nach seiner Mabelline sagte er einmal schelmisch: »The only Maybelline I knew was the name of a cow.«
Alles in allem war Chuck Berry über 60 Jahre im Musikgeschäft gewesen. Es ermöglichte ihm neben Selbstverwirklichung und einem Leben in einem dann doch weitgehenden legalen Rahmen auch eine ansehnliche materielle Absicherung; sein Vermögen zu seinem Todeszeitpunkt belief sich auf ca. 10 Millionen US-Dollar.
Chuck Berry darf sicherlich ohne Übertreibung als Pionier des Rock 'n' Roll bezeichnet werden. Mich hat seine Musik jedenfalls durch all die bisherigen Jahre begleitet und ich erfreue mich an ihm nach wie vor wie beim ersten »Kennenlernen«. Für mich steht er im Vergleich zu vielen anderen, die mir auch sehr gut gefallen und guttun (bzw. gutgetan haben) sicherlich ganz weit vorne ...
Oder um es mit Bruce Pegg abzuschließen: »In fact, like all creative innovators, it was his ability to tie all of these disparate influences – jazz, guitar styles, country and pop songwriting, and a knowledge of popular culture and teenage sensibilities – into one package that would guarantee his position in the pantheon of popular musicians, songwriters and entertainers of the twentieth century.« (Bruce Pegg, Rock And Roll Music, S. 9; Bear Family Records 2014) Dennoch sollte bei dieser gewiß zutreffenden Einschätzung Chuck Berry selbst das allerletzte Wort haben: Sometimes I will, then again I think I won't / Sometimes I will, then again I think I won't / Sometimes I do, then again I think I don't / Well, I looked at my watch, it was 9:21 / Without a rock 'n' roll dance, havin' nothin' but fun / And we rolled, reelin' and rockin' / We was reelin' and rockin', and rollin' 'til the break of dawn (...) Well, I looked at my watch, and it was time to go / The band leader said, "We ain't playin' no mo'" / We were reelin', reelin' and rockin' / We was reelin' and rockin' way 'til the break of dawn. (from song: Reelin' And Rockin', totally 10 verses + refrain)
Thank you so much for your great music, man!
I remember: H.F. (A.)
Es dürften nicht ihre Lieblingsbilder sein, zu dieser Entspannung blieb ihr zu wenig an Zeit. Aber sie war oft dort, suchte Gesundung, nahm mich mit auf lange Spaziergänge in der nahen Umgebung. Wenn sie Gespräche suchte und anbot -- und das geschah sehr oft -- dann war es meistens auch sehr anstrengend, eine Herausforderung an den Geist, eine, wie man sie leider nicht allzu oft erlebt. Allerdings konnte man mit ihr auch viel lachen, viel Blödsinn machen, einfach auch mal die tristeren Aspekte von Wirklichkeit ausblenden. Einmal -- sie war wieder einmal in diesem Kurort -- rief sie mich an, fragte ob ich am nächsten Tag Zeit und Lust auf einen Spaziergang hätte, lachte dann und meinte, sie müsse mir unbedingt etwas zeigen. Ich war neugierig und wollte wissen, was das denn sei. "Morgen!" war ihre Antwort. "Sie müsse die Unmittelbarkeit zu ihren Worten herstellen." Wir trafen uns am folgenden Tag, schönster Sonnenschein, wie ich erinnere, das Glücksgefühl der Begegnung sprach auch aus ihren Augen. Also gingen wir nach einer Tasse Kaffee nahe dem Kurpark dann los ... Es ging die Wiesen entlang, Richtung zum nahegelegenen Waldsee. An einer Abzweigung waren Kühe auf der Weide und sie meinte: "Gleich kommt es!", lachte dabei so, als wäre sie aller Sorgen befreit (und sie hatte einige wegen ihres einfach nicht besser werdenden Gesundheitszustands!).
Ein größerer, alter Schuppen war dort, vom Weg durch einen hohen Weidezaun getrennt. Der Schuppen war nach Osten offen. Im Schuppen sah man Schafe, die bei der Hitze wohl etwas Schatten gesucht hatten. So um die zehn weiße Schafe und inmitten ein einziges schwarzes. Sie zeigte auf das schwarze Schäfchen und sagte: "Das bist du!" Ihre Augen blitzten, sie lachte völlig befreit auf, wiederholte ihr "Das bist du!". Sie meinte, als ihr das beim gestrigen Abendspaziergang aufgefallen war, hatte sie sofort beschlossen, sie müsse mir das zeigen. Das alles hat natürlich auch eine Vorgeschichte, die sich Uneingeweihten kaum sofort erschließen könnte. Als ich H. kennengelernt hatte, begann gerade nach erfolgreichem Abitur ihre Studienzeit. Ihr damaliger Freund (sie hatten sich durch den Tanzkurs am Gymnasium kennengelernt) hatte sie mit mir bekannt gemacht. Später hat sie mir dann einmal gesagt, daß ihr an mir so gut gefallen habe, daß ich nicht in den Rahmen ihres Freundes und dessen Familie paßte, daß ich so gänzlich anders war, sie benutzte die Begriffe "rebellisch" und "nicht subaltern", meinte zudem, daß es sie freue, daß ich der Mutter ihres Freundes (die sich überhaupt nicht mochte, weil sie -- so ihre Worte -- "so unnatürlich, rechthaberisch und oberflächlich" wäre, immer "glaube, eine Rolle spielen zu müssen, die zudem gar nicht ihrem tatsächlichen Wesen entspräche". "kontra gebe und meinen eigenen, unabhängigen Weg" gehe. (Mich verband mit all jenen ein enger Verwandtschaftsgrad, deshalb wohl auch H.F.s Freude über meine tatsächliche oder angebliche "Aufsässigkeit" -- auch einer ihrer einschlägigen Begriffe, den sie allerdings als großes Lob verstand.)
Jedenfalls verstanden wir uns von Anfang an recht gut, hatten innige Möglichkeiten des Austausches, ich besuchte sie auch während ihrer Studienzeit in Mainz, wir schrieben uns und telefonierten häufiger. So schön ihre später häufigen Aufenthalte mit unseren Treffen im Kurort waren, die Anlässe dazu waren es nicht ... Lange hatte man nicht herausgefunden, was ihre Krankheit war, sie hat zahlreiche Ärzte konsultiert, im Kurort sehr viele Kurheime "durchgemacht" (kritisch wie sie war, konnte sie bereits nach dem ersten Aufenthalt in einem Kurheim dorthin sich kein zweites Mal ohne Vorbehalte einquartieren) und irgendwann kam dann leider (das Wort ist eigentlich viel zu schwach, um das alles auch nur annähernd richtig auszudrücken) der Augenblick des endgültigen Abschieds von jener Kurstadt. Einige Monate dann auch der von mir. Sie hat mir noch einen Brief geschrieben, einen sehr langen, sehr gefühlvollen und unendlich traurigen. Im Brief lagen einige getrocknete Vergißmeinnicht-Blumen. Die letzten Monate wurde sie von ihrem Ehemann (ihn hatte sie erst einige Jahre später kennengelernt, mit ihrem "Tanzkursfreund" hatte sie wegen all der bestehenden Unterschiedlichkeiten schon lange zuvor Schluß gemacht, war dann längere Zeit mit einem Franzosen befreundet, wie überhaupt alles Frankophile für sie eine Art Leidenschaft war) aufopferungsvoll gepflegt. Sie hatten alle nur erdenklich möglichen Chancen ergriffen, um das Schreckliche abzuwenden. An fast jedem Strohhalm hatten sie sich geklammert. Alles ohne Erfolg.
Irgendwann kam dann der Brief mit dem schwarzen Rand. Sie war nach schwerem und tapferem Todeskampf gestorben. Viel zu früh. Sie war noch so jung. Sie hatte noch so viel leben wollen. Das Schicksal war dagegen. Es ist mir sehr schwer gefallen, zu ihrer Beerdigung zu fahren, irgendwie war es meiner Seele zu trübe und unerträglich geworden. Ich konnte und wollte es nicht verstehen, warum gerade ihr dieses frühe Schicksal zuteil werden mußte. Auf dem Friedhof begleiteten unzählige Menschen ihren letzten Weg. Ich hielt mich eher im Hintergrund, zu mehr war ich nicht in der Lage. Erst als alle gegangen waren, konnte ich unmittelbar an ihr Grab treten, stellte mich schweigend neben ihren Ehemann, der noch dageblieben waren. So standen wir dann lange, lange Zeit, einfach schweigend, bis wir irgendwann dann doch Worte fanden.
Ich denke oft an sie, sehr oft. Sie war -- trotz einiger Dinge die uns stärker trennten -- ein Lichtblick im Leben; manchmal, wenn ich etwas tue, denke oder sage, begleitet mich die Frage, was wohl H. dazu sagen würde, wie wohl H. entscheiden würde, wann H. wohl jeweils mehr Ernst oder mehr Gelassenheit in dieser oder jener Situation pflegen würde. Eines habe ich nicht mehr erfahren können: Sie war ja eine engagierte Gymnasialslehrerin, sehr kritisch, sehr gescheit, sehr gebildet. Nie haben wir groß über Religion gesprochen. Ich dachte immer, sie habe damit, so wie ich ja auch, nicht viel zu tun. Aber in ihren letzten Jahren hat sie dann plötzlich noch Religion studiert und einen Abschluß gemacht. Das hat mich verwundert, ich habe das dann auch als einen "Strohhalm" gesehen, an den sie sich in ihren letzten Hoffnungen geklammert hat. Was ihre wirklichen Gründe waren, weiß ich nicht (wir hatten zwar darüber, als es noch möglich war, schon ein wenig diskutiert, aber ihre Antworten blieben da eher etwas vage). Auch ihr Mann, den ich lange Zeit nach H.s Tod immer wieder getroffen habe, konnte darauf keine Antwort geben.
Verstanden, auch wenn es weh getan hat, habe ich allerdings das, was sie in ihrem letzten Brief an mich geschrieben hat: sie möchte, daß ich sie so in Erinnerung behalte, als sie noch bei Kräften und voller Zuversicht sowie mit Lust am Leben war, sie möchte nicht, daß ich sie in ihrem Niedergang erlebe und daß sie deshalb sich nicht mehr melden könne und werde. In dem Brief lagen auch ein paar getrocknete Vergißmeinnicht-Blümchen. Wie auch hätte ich da vergessen können, sollen, wollen! Es gibt immer wieder Spuren, die bleiben einfach.
I remember: "Playground Society"
Die Oma väterlicherseits wohnte in einem Genossenschaftshaus in einer Siedlung etwas außerhalb des (damaligen) Marktfleckens. Sie war kurz nach dem Krieg aus dem Osten gekommen. Der Großvater mütterlicherseits hatte ihr den Umzug ermöglicht. Der Mutter war das nicht so recht gewesen (so ihre eigene Erklärung). Sie hatte sich obendrein geschämt als diese Oma, im Westen angekommen, am örtlichen Bahnhof aus dem Zug gestiegen ist (erneut: so ihre Erklärung). Weder die einfache Kleidung noch der "altmodische" Rucksack sowie die "schäbigen Koffer" fanden Mutters Gefallen. Vieles andere an der "Schwiegermutter" offenbar auch nicht. Jedenfalls war die "Thüringer Oma" (so ihr Name für uns) nun da. Das heißt: zunächst fand sie Unterkunft in einem ganz kleinen Haus direkt an der Hauptstraße in einem kleinen Dorf etwa 6 Kilometer westlich gelegen. Auch dieses neue Zuhause hatte ihr der Großvater als Übergangslösung besorgt. Dies sollte nur eine Übergangslösung sein, bis die bereits in Bau befindlichen Genossenschaftshäuser fertiggestellt waren. Es waren derer zwei, nebeneinander gelegen, nahe einem langgezogenen in der Ausdehnung sehr schmalen Wäldchen, durch das sich ein kleiner Bach schlängelte, der ab und zu auch kleinere Seen mit noch kleineren Inseln darin bildete. Gespeist wurde das alles von einer Quelle, aus der man damals jedenfalls noch bedenkenlos Wasser trinken konnte. Ich besuchte die Oma immer sehr gerne. Auch war ich froh, als sie endlich in ihre Wohnung im Genossenschaftshaus ziehen konnte, also näher an meiner Wohnung lebte.
An den Genossenschaftshäusern führte eine unbefestigte kleine Straße vorbei, spärlich mit Kies bedeckt, sodaß bei Regenwetter sich da viele Pfützen und auch Matsch bildeten. Gleich gegenüber dem Haus war eine kleinere von Büschen und allerlei Gestrüpp gebildete Grünoase, diese durchzogen von wenigen mit Gras bewachsenen sehr schmalen Spazierwegen. Dort spielten wir Kinder gerne und oft: waren die Mädchen dabei, meistens Verstecken, waren es nur wir Jungs, dann eher Cowboys und Indianer, bisweilen auch Ritterspiele mit aus Holz selbstgefertigten Schwertern. Manchmal taten es aber auch bereits abgeschnittene Weidenstecken mit denen wir dann kämpften. Auch Pfeile und Bogen bastelten wir dort immer wieder. Schilf, Holunderstöcke, Weidensträucher und Bäume gab es dort genug. Neben dem Nachbarhaus der Thüringer-Oma war eine größere Grünfläche, auf der wir Kinder häufig "Zelte" bauten. Die waren meistens aus abgeschnitten Stecken und einfachen, meist leicht zerschlissenen Decken von uns erstellt worden. In unserem "Zelt" spielten wir dann, alles mögliche, Schule, Kochen, Familie, und so weiter. Wir unterhielten uns vor allem auch viel. Streit gab es eher selten. Wir waren eine richtige Gemeinschaft. Wir verstanden uns. Zumindest meistens. Meine Eltern sahen meinen Umgang mit jenen Kindern eher ungern, mit einigen war er mir sogar verboten -- woran ich mich aber nie hielt und mich eher für den Fall etwaigen Entdecktwerdens durch die Eltern deren Sanktionen aussetzte --; dieses Verbot elterlicherseits lag aber eher an der Definitionsperspektive der Eltern, mit der sie soziale Zuordnung in erwünscht und unerwünscht festzulegen pflegten. Natürlich wurde das dann von ihnen nicht so begründet, sondern eher mit der besonderen und vor allem aus ihrer Sicht notwendigen Fürsorgepflicht erläutert. Mir jedoch gefiel dieser Umgang mit jenen Kindern, ich fühlte mich bei ihnen wohl, jedenfalls auch viel wohler als beim Umgang mit jenen, welche die Eltern für mich als angemessen erachteten und "aussuchten" (Stichwörter: "die passen besser zu dir", was eigentlich: zu uns bedeutete ...). Erst sehr viel später fand ich im Lied "Spiel nicht mit den Schmuddelkindern" von Franz-Josef Degenhardt das, was der wohl wahre Beweggrund für diese elterliche Fürsorge gewesen sein mochte ...
Immer wenn ich mit diesen Kindern zusammen war, hatte ich das Gefühl, es geht mir sehr, sehr gut. Die Oma gab uns für unsere "Wiesenwohnung" (so nannte sie unser "Bauwerk" bisweilen) häufig Mohnkuchen, den wir alle sehr gerne aßen. (Die Oma hatte hinter ihrem Haus eine riesigen Garten mit Gemüse und Obst, vor allem zwei größere längliche Beete, eines für weißen und das andere für schwarzen Mohn. Ich fand die Mohnbeete besonders faszinierend, habe auch oft dort Mohn direkt aus den Kapseln gegessen.) Bei dieser Oma (ich hatte ja noch eine andere, jene mütterlicherseits -- beide waren ziemlich verschieden, ich mochte beide sehr gerne und von beiden habe ich für das Leben sehr viel lernen können, vor allem auch immer jeweils eine schöne Gegenwart und Nähe wie auch Unterstützung erfahren) gab es häufig Mohnkuchen. Eine weitere ihrer Spezialitäten war Kalter Hund, dieser wohlschmeckend Keks-Schokolade-Kuchen. Auch davon brachte sie uns in unsere Behausung immer wieder ein wenig, was für uns dann ein ganz besonderes Fest war.
In unserer Gruppe war ein Mädchen, zu dem ich mich in sicherlich sehr kindlicher Art besonders hingezogen fühlte. Da waren Gefühle, die wir uns damals sicherlich nicht erklären konnten, wohl auch nicht nach Erklärungen zu suchen gedrängt fühlten. Eine ganz, ganz schöne Zeit. Irgendwann kam sie immer seltener, blieb auch immer nur für kürzere Zeit. Dann kam sie ziemlich bald gar nicht mehr. Uns wurde gesagt, sie sei etwas krank. Dann hieß es nicht viel später, sie sei sehr krank. Und eines Tages wurde uns gesagt, sie sei tot, gestorben an Leukämie.
Von da an gab es für mich keine Zeltbauten dort mehr, kein Spielen in dem Gebüschareal, bald zog dann auch noch die Oma weg zu ihrer Tochter ins Rheinland (die Tochter hatte wenige Jahre mit ihr zusammen auch im dortigen Genossenschaftshaus gelebt, dann aber einen Mann kennengelernt und zog zu ihm), ich kam ins Internat, damit aus mir "etwas besseres werden kann" (natürlich war und bin ich auch dankbar dafür, diesen Weg damals gehen zu dürfen, gleichwohl hätte es für meine Eltern dazu ohnehin keine Alternative gegeben ...; damals kamen von den fast vierzig Schüler meiner Grundschulklasse nur drei auf die sogenannte Höhere Schule, zum Übertritt waren entsprechende Noten und zusätzlich das Bestehen einer dreitägigen Aufnahmeprüfung erforderlich). Kurz: Irgendwie war in wesentlichen Teilen alles anders geworden. Sehr plötzlich. Allzu plötzlich. Als ich in der ersten Klasse Grundschule war, hatte ich das endgültige Gehen von einem jungen Menschen schon einmal erlebt: ein Mitschüler (Ludwig, er kam aus einem Bauernhof mitten im Ort) war ebenfalls an Leukämie gestorben. Da hat mir die Oma mütterlicherseits viel geholfen und versucht, all das zu erklären, verstanden habe ich davon jedoch eher nichts, außer eben die Tatsache, daß der so nette Junge nun nicht mehr "ist". Bei und mit dem Mädchen war es jedoch noch viel, viel schwerer. Richtig vergessen habe ich das nie, es nicht können, es wohl auch nicht wollen. Das waren nicht die einzigen tragischen Erlebnisse, die mir recht früh schon eines lehrten: die Tatsache der Vergänglichkeit.
«Klug ist nicht, wer keine Fehler macht. Klug ist der, der es versteht, sie zu korrigieren.»
Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin)
«Sehnsucht und Ahnung liegen ineinander, eins treibt das andre hervor.»
Bettina von Arnim
«Sehnsucht ist ein Beweis, daß der Geist eine höhere Seligkeit sucht.»
Bettina von Arnim
"Vergänglichkeit ist das Merkmal eines jeden Umstandes, einer jeden Situation, auf die du treffen wirst. Alles wird sich verändern, es wird verschwinden oder es wird dich nicht länger befriedigen."
Buddha
"Der Mensch leidet, weil er Dinge zu besitzen und zu behalten begehrt,
die ihrer Natur nach vergänglich sind."
Buddha
"Die Zeit entdecken, heißt die Vergänglichkeit empfinden."
Eugene Ionesco
Ted Herold (†79) ist tot. Er starb am 20.11.2021 bei einem Wohnungsbrand in seinem Haus in Dortmund-Berghofen. Mit ihm verstarb seine zweite Ehefrau Manuela (48 Jahre alt). Aus meiner Sicht war Ted Herold der einzige echte deutsche Rock 'n' Roll Sänger mit zahlreichen wirklichen Rock-Songs in Deutschland. Er konnte wenigstens etwas annähernd an die großen amerikanischen und britischen Vorbilder (vor allem an Elvis Presley, den er ziemlich erfolgreich zu imitieren verstand) heranreichen. Neben ihm war es in Deutschland vor allem Peter Kraus, der bei der Jugend sehr erfolgreich war; ich konnte seinen Rock 'n' Roll Versionen jedoch nur wenig abgewinnen, sie klangen allesamt mir etwas zu "schaumbegrenzt", allzu soft, "harter Rock" war das sicher nicht. Anders jedoch bei Ted Herold, der konnte es nach meinem Empfinden wirklich gut. Ted Herold eroberte sich mit seiner Art zu singen sehr schnell eine große Fangemeinde.
Sein erster Hit war Elvis Presleys "Wear my ring around your neck" im Jahre 1957 und hieß in der deutschen Version "Ich brauch' keinen Ring (um treu zu sein)". Er hatte viele weitere Erfolge, darunter die deutschen Version von Fabians "I'm A Man". Manche Radiosender weigerten sich dieses Lied zu spielen, weil es ihnen zu anstößig war (heute kann man darüber nur den Kopf schütteln, aber so war es eben damals mit der Prüderie ...) und weil er als "rebellischer Rock 'n' Roller galt, bekam er bis Mitte der 1960er Jahre von den öffentlich-rechtlichen Sendern (andere gab es seinerzeit noch nicht) keine Engagements, war jedoch mit seiner Musik in zahlreichen Musikfilmen zu sehen. Weitere Rock-Titeln von ihm: "Wunderbar wie du heut' wieder küßt" (Original: I Got Stung, Elvis Presley), "Dixieland Rock" (Dixieland Rock, Elvis Presley), "Dein kleiner Bruder" (Little Brother, The Lane Brothers), "Hula Rock" (Rock 'n' Roll That Hula Hoop, The LeGarde Twins), "Hey Baby" (A Big Hunk Of Love, Elvis Presely) , "1:0" (Wild One, Bobby Rydell), u.a. Seinen allergrößten Hit hatte Ted Herold jedoch mit einer wunderschönen Ballade: Moonlight. Er hat übrigens zahlreiche andere langsame, gefühlvolle Lieder gesungen, darunter Adam Faiths "Someone Else's Baby" (deutsch: Sunshine Baby).
Geboren wurde Harald Walter Bernhard Schubring (so Ted Herolds bürgerlicher Name) am 9. September 1942 in Berlin-Schöneberg. Die Familie zog 1951 nach Bad Homburg vor der Höhe. Bereits in sehr jungen Jahren hatte er sich für die Musik amerikanischer Stars wie Bill Haley, Buddy Holly und besonders Elvis Presley begeistert. Vor Mitschülern spielte er die jeweiligen Rock-Hits nach, 1958 bekam er über eine Klassenkameradin Kontakt zur Plattenfirma Polydor (bei der auch Peter Kraus unter Vertrag war, der in dieser Firma als die Nummer 1 behandelt wurde). Bei Polydor wurde Ted Herold (dort hatte er das Pseudonym bekommen). Ted Herold war bis Anfang der 1960er Jahre recht erfolgreich, mußte dann jedoch den neu aufkommenden Musikbewegungen (Twist, The Beatles, The Rolling Stones, u.a.m.) Tribut zollen. Zusätzlich wurde seine Musikkarriere 1963 durch die Einberufung zur Bundeswehr (nach Wetzlar) unterbrochen. Die drei während der Bundeswehrzeit eingespielten Singles waren nicht sehr erfolgreich, auch die nach seiner Entlassung als Unteroffizier 1964 aufgenommenen Titel waren eher erfolglos. Im Jahr 1966 heiratete er die Gastwirtstochter Karin Höhler und zog nach Wetzlar-Nauborn um. In diesem Jahr nahm er auch seine letzte Schallplatte für Polydor auf. Ted Herold hatte inzwischen auch eine Ausbildung zum Radio- und Fernsehtechniker begonnen, ab 1970 arbeitete er als Werkstattleiter im erlernten Beruf, im März 1977 legte er auch noch die Meisterprüfung ab. 1977 sorgte Udo Lindenberg dafür, daß Ted Herold wieder ins Geschäft kam: er holte ihn für seine Platte "Panische Nächte" (Stichwort: Panikorchester) und Herold ging mit Udo Lindenberg auf Deutschlandtour. Es gab neue Songs und neue Verträge, er gab Konzerte, war Gast bei zahlreichen Galaveranstaltungen, trat in TV-Sendungen auf, ehe er 2016 endgültig Abschied vom Bühnenleben nahm.
2002 schloß er eine zweite Ehe, mit seiner Lebensgefährtin Manuela, die nun mit ihm verstorben ist. Als Brandursache (im Wohnzimmer in der ersten Etage) wird ein fahrlässiger Umgang von Ted Herold oder seiner Frau mit offener Flamme (also kein Kurzschluß o.ä.) als Grund für das Feuer genannt. (Es könne sich um eine brennende Zigarette gehandelt haben. Laut BILD-Zeitung sei das Paar offenbar auf der Couch eingeschlafen. Sie bemerkten die giftigen Gase nicht oder zu spät. Ted Herold soll sich noch in die Küche geschleppt haben und dort dann zusammengebrochen sein. Beide Opfer starben an einer Rauchvergiftung. Ted Herolds Schwiegereltern (sie wohnen im Erdgeschoß des Hauses) wurden mit Verdacht auf Rauchvergiftung ins Krankenhaus gebracht.
Über Ted Herold gäbe es noch viel zu sagen, vor allem was die Anzahl und Bezüge seiner vielen Titel angeht. Er nahm neben Polydor für Metronome, Teldec und AZ Records auf. Hervorheben möchte davon aber nur noch einen: "Tribute To Buddy Holly" (AZ Records HM 5064), der 1988 erschien und eine gut gemache Cover-Version des Mike Berry Hit ist. Und Buddy Holly, der bekanntlich zusammen mit J.P. Richardson und Ritchie Valens am 3. Februar 1959 in einem Flugzeugabsturz ums Leben kam, war einer der ganz großen Vorbilder von Ted Herold; für mich ist die Musik von Buddy Holly nach wie vor sehr bedeutsam. Und eine kleine (für mich sicherlich keine unwichtige) Begebenheit aus früheren Schulzeiten in Donauwörth möchte ich hier noch beifügen: In meiner Klasse war einer, der in jeder freien Minute auch viele von Herolds Songs sang. Er sang diese sogar recht gut. Die Nachmittage verbrachte ich so oft es nur ging in einem Elektrogeschäft in der Bahnhofstraße; dort war eine Verkäuferin, die mir immer die neuesten Singles vorspielte (ihr Chef war da außerordentlich großzügig, so heute kaum mehr vorstellbar ...), bei ihr hielt ich mich nicht nur wegen der Musik sehr gerne und stundenlang auf. Sie war Ted Herold Fan. Sie wollte mich dazu überreden, einen Ted-Herold-Fan-Club mit ihr zusammen zu gründen, die erforderlichen Unterlagen hatte sie bereits besorgt, jede Menge Ideen hatte sie auch. Ich konnte mich damals (leider?) nicht zu diesem Engagement durchringen (mag auch daran gelegen haben, daß ich einmal mehr "Vereinsmeierei" und mir nicht genehmen Aufwand gewittert hatte ...), vielleicht wollte ich auch nicht mit ihr in diese Art von Öffentlichkeit geraten. Müßig nach all den Jahren darüber noch groß nachzudenken. Aber die Nachricht vom Tode Ted Herolds hat mir all diese Zeit wieder etwas intensiver näher gebracht. Sie war schön, vor allem hat sie das Schülerdasein schon extrem erträglicher gemacht. Und noch etwas war da mit Ted Herold: er ist in Donauwörth aufgetreten, mußte mit dem Bummelzug von dort nach Treuchtlingen, um den Schnellzug zu erreichen (Schnellzüge hielten damals in Donauwörth in aller Regel nicht oft); wir haben ihn begleitet, er hat mit seiner Gitarre im Zug ein Lied gesungen. Wir erlebten ihn als einen durch und durch bodenständigen Menschen, ohne jegliche Starallüren, fern jeglicher Arroganz. Ein wirklich lebensnaher Mensch wie m.E. auch seine Biographie erweist. Ein sehr guter deutscher Rock 'n' Roller, der neben knallhartem Rock aber auch schöne Lieder fürs sanfte Gemüt sehr gefühlvoll singen konnte. Ein der Realität zugewandter und bescheidener Mensch. Er hat sicherlich vielen so viel gegeben ... Wie hat er einmal gesungen: "Auch du wirst geh'n."; er ist nun selbst gegangen.
I remember: ...
... probably to be continued in due time ...
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