Jeweils nur Auszüge.
Jeweils nur Rohfassungen.
Über die Handhabung der Sprache in der öffentlichen Diskussion; Versuch einer Annäherung zum Problem ehrlicher Auseinandersetzung über die Ereignisse um Friedman, Möllemann, Hohmann, Gabriele Pauli, Talkshowdarstellungen und ähnliche Fehlversuche, einander zu verstehen ...
... und natürlich ...
groddenohlms gastkolumne
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Gedanken
An dieser Stelle erscheinen Kommentierung zum Spannungsfeld von Verstehen, freier Meinungsäußerung und Interesse an kritischer Kommunikation. Als Folie dient hier der von vielen seinerzeit hochstilisierte "Fall Hohmann" und andere bekannte Fehlverstehensleistungen wie beispielsweise der Umgang mit politischen Gegnern ...
(Anmerkung: Dies wurde nun von mir mittlerweile an anderere Stelle thematisch eingebunden veröffentlicht.)
Auch der "Fall Gabriele Pauli" zeigt allzu deutlich, daß wir in der BRD immer noch nicht sehr viel weiter gekommen sind, was kritisch, diskursive Diskussionskultur angeht. Anstatt sich zu freuen, wenn kritische Stimmen laut werden, deren Tenor dann zum Gegenstand offener Diskussion zu machen, zieht man sich in seine Bedenkenträgerecken zurück.
In dem tollpatschigen Versuch, nur ja nichts falsch machen zu wollen, dies im Sinne des eigenen Fortkommens und der Sicherung eigener Lebensmodi, macht man letztlich dann alles falsch, was nur falsch zu machen ist. Frage: Kann Demokratie denn funktionieren, wenn man Diskussionen und Kritik versucht zu unterbinden, wenn man gleich tumber Fanzirkel Wasserträger spielt, egal was die Wirklichkeit einem eigentlich lehren könnte, wenn man, ja wenn man nur sich dessen bedienen würde respektive könnte, was Kant schon deutlich angemahnt hatte: Sich des
eigenen Verstandes zu bedienen, um so aus selbstverschuldeter Unmündigkeit zu entrinnen.
Ein Lob an Frau Pauli, der Landrätin aus dem bayerischen Fürth. Aber traurig ist es schon, daß diese sachliche, bestimmt auch nicht zu tief gehende Kritik, einen derartigen Aufruhr verursachen konnte. Wie schon gesagt: Es spricht nicht für die Qualität unserer politischen Kultur.
Fühlten sich die Männer beschämt, daß sich hier eine Frau zu sagen wagte, was sie selbst sich nie trauten? Es wird wohl tiefenpsychologisch so zu erklären sein. Daß diese Kritik bis in die höchsten Ebenen der CSU, hinter vorgehaltener Hand allerdings, betrieben wurde, zeigen die überaus schnellen Konsequenzen, die sich nach Frau Paulis Äußerungen ergeben haben. Achtung kann man jedenfalls vor jenen Leuten nicht haben.
Es wäre so einfach gewesen: Rechtzeitig sich mit Paulis Erörterungen auseinandersetzen, nachdenken, abwägen: Pluralität der Meinungen gelten lassen. Und weil das nicht geschehen ist - bzw. wohl wegen gekränkter Eitelkeit nicht geschehen konnte - hätte man zumindest - Motto: better late than never! - die gemachten Fehler einräumen müssen. Aber stattdessen wird der guten Frau parteischädigendes Verhalten vorgeworfen ... Schlechter geht's wohl nimmer ...
Erstaunlich, daß trotz aller Anfeindungen Frau Pauli noch so sachlich, so ruhig, so überlegt reagieren kann! Alle Achtung! Und daß sie sich immer noch der Sache verpflichtet weiß, für die sie angetreten ist: Das Wohl der Bürger zu mehren, die CSU zu einer Partei zu machen, in der offene und kritische Diskussion gewünscht und praktiziert wird und nicht gleich als eine Form moderner Majestätsbeleidigung angesehen wird. Wer an himmlische Mächte glaubt, der dürfte jetzt wohl wieder einmal klagen, daß die große Erleuchtung von oben wieder einmal ausgeblieben ist.
Und das sollen unsere (politischen) Vorbilder sein?! Auf deren "Stimmigkeit" können wir gut und gerne verzichten. Was wir brauchen: Mehr Menschen wie Frau Pauli. Weiter so, nicht klein kriegen lassen.
Und:
Neue Männer braucht das Land!!! Und viele, viele solcher Frauen!
Könnte einer jener "neuen Männer" Horst Seehofer sein? Die positiven Umfrageergebnisse, die er auf der Beliebtheitsskala deutscher Politiker erzielt, deuten mitnichten darauf hin: Sie zeigen eher, wie jemand, der sagt, was er gerne täte, bei den unkritischen Teilen der Wahlbevölkerung ankommt. Das, was getan werden müßte, verschweigt er stattdessen, weil es nicht sehr populär wäre. Eigentlich ist der Unsinn derartiger Umfragen unübersehbar; das kann man bereits durch die häufigen Verschiebungen, meist nur durch kurzfristig oberflächlich Sachverhalte induziert, innerhalb der Gesamtliste ablesen. Top-Positionen dort sagen eher etwas über die Fähigkeit, Aufmerksamkeit ohne anzuecken erregen zu können aus denn über wirkliche Kompetenz. Ein Phänomen reiner Waschmittelwerbungskultur! Wirkliche Könnerfallen in derartigen Rangordnungen - LEIDER! - nur selten positiv auf. Also ein klares "Nein!" zu ihm als guten Politiker. Ich mache diese Einschätzung Seehofers nicht von seinem gespaltenen Privatleben abhängig, obgleich er mehrfach sich als den guten Familienmenschen bürgerlicher Vorstellung dargestellt hat. Vor diesem Hintergrund ist seine Art von Beziehungsgestaltung sicherlich hinterfragwürdig. Aber letztlich sollte grundsätzlich eines gelten: Die Beurteilung des Privatlebens eines Politikers sollte wie bei anderen Personen erfolgen. Aber nochmals: Die Maßstäbe einer solchen Beurteilung setzen die betroffenen Personen jeweils durch eigene Definitionen und Selbstdarstellungen selbst.
Also gilt es in erster Linie zu werten, wie die fachliche Kompetenz ist; und da muß ich feststellen, daß er noch nie darin groß aufgefallen ist, zu sagen, was getan werden müßte wenn ein solches gefordertes Tun bei der Masse des Wahlvolkes als unpopulär empfunden werden könnte. Seine Popularität steht meines Erachtens sicherlich in einem diametralen Verhältnis zu seiner politischen Kompetenz. Diese Ansicht vertreten auch maßgebliche Personen wie z.B. Olaf Henkel recht deutlich.
Hier ein kleiner Exkurs, der mir wegen seines exemplarischen Gehalts vor allem auch aus psychologischer Sicht aufschlußreich erscheint: In Plasbergs Sendung "Hart aber fair!" (WDR) vom 24. Januar 2007ging es um 'Loslassen', um rechzeitigen Verzicht auf Macht und Einfluß, dies vor allem vor dem Hintergrund fortschreitenden Alterns. Kein Wunder, daß gerade hier Politiker angesprochen waren, denn im politischen Bereich findet man recht häufig jenen Typus, der einfach nicht in den Ruhestand gehen kann oder will, um sich andern Aufgaben oder gar dem Müßiggang hinzugeben.
Als positives Beispiel für dieses "Loslassen" wurde der ehemalige Bremer Bürgermeister Henning Scherf, der auch selbst in dieser Talkshow anwesend war, vom Moderator hingestellt. Auch wurde hervorgehoben, daß er während seiner politischen Tätigkeit stets sehr beliebt gewesen war. Herr Scherf genoß den ihm zugeschriebenen Status sichtlich (obgleich auch er erst im Alter von 67 Jahren vom Politischen 'loslassen' konnte, wahrlich nicht früh genug, um hier als Vorbild für ein Verzichtenkönnen auf Macht gelten zu können ...).
Als vor allem immer wieder seine Popularität als Bremer Bürgermeister angesprochen wurde, warf Olaf Henkel ein, daß diese Popularität vielleicht auch durch ein Unterlassen unpopulärer Maßnahmen 'erkauft' wurde und daß vielleicht deshalb die wirtschaftliche Situation des Stadtstaates so prekär wäre. Im Klartext: Der Preis für diese narzißtisch sichtlich genossene Beliebtheit war partielle politische Untätigkeit, wo unpopuläres Handeln im Interesse des Staatszieles notwendig gewesen wäre.
Zu diesem Zeitpunkt kontrollierte sich Herr Scherf vorbildlich; er schien die Kritik überhaupt nicht im Sinne von Getroffensein erlebt zu haben. Aber der Friede währte nicht lange. Gegen Ende der Sendung griff Herr Scherf dann plötzlich Herrn Henkel aus nichtigem Anlaß und nach bisherigem Gesprächsverlauf überaus heftig wegen seiner pollitisch orientierten Tätigkeiten und - wie er es nannte - Selbstinszenierungen an. Herr Scherf wurde sehr persönlich und seine bislang gezeigte Selbstsicherheit löste sich in ein Nichts auf ...
Mein Gedanke: Hier wurde eine zuvor narzißtisch erlebte Kränkung (wegen der sicherlich gerechtfertigten Gegenüberstellung von Beliebtheit und tatsächlichem politischem Erfolg, in Bremens Fall: zumindest partiellem Mißerfolg seitens Herrn Henke) nun letztlich durch persönlichen Gegenangriff kompensiert. Ich denke, daß Herr Scherfs untauglicher Versuch, hier der Sachdiskussion zu dienen, für viele Zuseher leicht durchschaubar war und den von ihm in der Sendung bis dato gezeigten doch recht guten Eindruck sehr relativiert hat.
Dem kritischen Beobachter derartiger Szenerien stört sicherlich nicht Kritik als solche. Aber die Unfähigkeit, sich mit erhobenen Vorwürfen - zumal sie in diesem Fall ja sicherlich von einigen Sachverhalten gedeckt sind und somit einer Untersuchung wert wären - sachlich auseinandersetzen zu wollen oder zu können, stimmt nachdenklich. Auch machen derartige Verhaltensweisen Politiker nicht gerade sympathischer. Vielleicht wäre es wirklich für die Geschicke Bremens besser gewesen, wenn Herr Scherf nicht so hochbeliebt gewesen wäre und dafür die wirtschaftliche und soziale Situation in jenem Stadtstaat heute besser wäre ...
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Es gibt im deutschen Bundestag sehr gute Politiker und Politikerinnen, die jedoch zur Zeit nicht "das große Sagen" haben, nicht durch Selbstdarstellung und Medienbesessenheit auffallen. Es bleibt zu hoffen, daß die Arbeit jener angemessene Fortsetzung und Würdigung erfahren wird, dies zum Wohle der Allgemeinheit. Leider weist jedoch der erstarrte Politikapparat mit seinen mehr oder weniger informellen Regelungen in eine andere Richtung: Es werden diejenigen "hochkommen", die sich anpassen, anbiedern, im Interesse eigenen Fortkommens entsprechend den Mund halten oder aufmachen. Man darf in diesem Zusammenhang die Abhängigkeit vieler gewählter Volksvertreter vom Berufspolitikertum nicht übersehen: Für so manchen wäre die Rückkehr in das "normale" bürgerliche Leben ein Abstieg, ein Verlust von Einkommen und subjektiven Befriedigungsmöglichkeiten. Die Ereignisse um Frau Gabriele Pauli und einigen anderen Einzelgängern (nicht, weil sie sich selbst so definiert hätten, sondern weil sie dazu in nicht gerade der Demokratie dienenden und untauglichen "Diskussionen" gemacht wurden ...) legen eindeutig Zeugnis ab. Leider.
"Es mag Zeiten geben, da wir gegen Ungerechtigkeiten machtlos sind,
aber wir dürfen nie versäumen, dagegen zu protestieren."
Elie Wiesel
Ein offener Brief
Diesen Brief habe ich anläßlich der Auseinandersetzungen zwischen Herrn Jürgen W. Möllemann
und Herrn Michel Friedmann an den Zentralrat der Juden in Deutschland, an einige Parteien im
deutschen Bundestag und auch noch an einige andere Stellen geschickt.
Da es sich nach meinem Dafürhalten um ein grundsätzliches Problem handelt, habe ich mir hier
eingige - wie ich meine notwendige - Gedanken gemacht. Es sind nur zu einem sehr geringen Teil
diese beiden Kontrahenten, denen ich meine wertvolle Zeit unter "normalen" Umständen geopfert
hätte; vielmehr geht es mir darum, zu zeigen, daß wir noch sehr weit von einer Normalität entfernt
sind, die jedoch notwendig wäre, um ehrlich und konstruktiv mit der Geschichte und vor allem auch
mit der Gegenwart umzugehen. In diesem Sinne wünsche ich viel Interesse beim Lesen und bei dem
Versuch, das herauslesen zu wollen, was ich tatsächlich geschrieben habe und nicht in Verblendung
dem produktiven Denkprozeß zum Feind zu werden.
Sehr geehrte Damen und Herren,
es ist mir ein Herzensanliegen, zu den unseligen Auseinandersetzungen (die ich eigentlich seit Adornos Zeiten als längst überwunden glaubte) ein paar Anmerkungen zu machen. Ausgangspunkt soll hier die Kontroverse zwischen Herrn Möllemann und Herrn Friedmann sein, jedoch darf ich kurz auch auf Martin Walser und seine “Moralkeule” als auch auf einen anderen Vorfall anläßlich einer Tagung in den 70er Jahren zurückkommen.
Ich möchte den Aspekt auf psychologische und kontextuelle Hintergründe legen, denn andere Perspektiven wurden in der breiten Öffentlichkeit hinlänglich - aber leider mit mehr oder weniger guter Qualität in der Auseinandersetzung - angesprochen.
Insbesondere möchte ich auch Herrn Spiegel als Vorsitzenden und Herrn Friedmann als einen seiner Stellvertreter ansprechen, dies in der Hoffnung, dass zumindest meine ehrliche Absicht in Richtung Verständnis und Versöhnung (die m.E. Verständnis voraussetzt) ersichtlich und anerkannt wird.
Ich darf dieses Schreiben auch an einige andere Stellen zur Kenntnis geben, bei denen ich davon ausgehe, dass sie willens und fähig sind, gewonnene Erkenntnisse zu überprüfen und zu erweitern, um so zu einer Besserung der Verhältnisse beizutragen.
Es scheint (fast) unmöglich, bei Diskussionen das als Ausgangspunkt zu bemühen, was der andere tatsächlich gesagt hat. Statt dessen wird allzu häufig ein Mechanismus in Gang gesetzt, den Karl Jaspers einmal recht zutreffend beschrieben hat:
“Das Bemühen um Verständnis und Interpretation von Texten kann in eine Bodenlosigkeit geraten, wenn es, statt klar auf die Meinung des Sprechenden oder Schreibenden zu gehen, sich vielmehr auf die Sprache, die Worte, die Möglichkeiten der Sache in den Worten wendet. Die Grenzenlosigkeit möglichen Bedeutens scheint der Auslegung beliebigen Raum zu geben. Es ist möglich, aus irgendwelchen Texten, welche als autoritativ anerkannt werden, fast jedes beliebige Problem herauszuholen. Das Philosophieren in Form von Kommentaren zu vorliegenden Texten hat immer wieder diese abstrusen Formen angenommen. Aus Anlaß gegebener Texte werden nicht diese verstanden, sondern in der Scheinform des Verstehens eigene Gedanken entwickelt.” (Karl Japers, Die Sprache, Piper (München) 1964, Seite 17)
Wenn nun Möllemann von einer “gehässigen” und “intoleranten” und “eingebildeten” Art (bezogen auf Herrn Michel Friedmann) spricht, die den “Antisemitismus in Deutschland” schüre, dann ist das sicherlich einerseits seine subjektive Einschätzung der Persönlichkeit des Adressaten und andererseits, davon zu trennen, wie seine ebensolche subjektive Schlußfolgerung hinsichtlich Auswirkungen des Herrn Friedmann bezogen auf Breitenwirkung, gemeinhin als Generalisierungseffekt bezeichnet, wahrgenommen wird.
Ich kann Herrn Friedmann schlecht beurteilen, weil ich ihn nur aus zahlreichen TV-Diskussionen kenne. Mir scheint er zwar eloquent, sicherlich in seiner Diskussionsart auch für viele sehr gewöhnungsbedürftig, jedoch auch sehr narzißtisch und partiell intolerant und ich glaube, er hält sich für wichtiger, schöner und männlicher als er es tatsächlich ist. Dies alles sollte - sofern es überhaupt tatsächlich zutrifft - jedoch keine Probleme, die über das Alltägliche im menschlichen Miteinander hinausgehen, aufwerfen!
Aber wie gesagt: ich würde aus dem Kontext dieser Fernsehdarbietungen eines Teils der Persönlichkeit niemals auf den tatsächlichen Menschen Friedmann schließen wollen; was ich vielleicht kennen mag, ist der “TV-Medien-Teil” des Menschen.
Gleichwohl - und damit komme ich zu einem m.E. in der öffentlichen Diskussion zumindest zu kurz gekommenen Aspekt - werden wohl sehr viele aus solchen Teilerfassungen einer Person Schlußfolgerungen ziehen und sie dann - leider - als tatsächliches und festes Ergebnis manifestieren. Nun das könnte einem gleichgültig sein, wenn nicht, ja wenn nicht damit häufig eine Generalisierung verbunden wäre.
Es ist gut und leicht vorstellbar (und Gespräche in meinem Bekannten- und Berufskreis weisen dies leider auch in nicht zu unterschätzender Zahl aus), dass Herr Friedmann auf viele Leute, die mit seiner Art der Selbstdarstellung oder mit seiner Umgangsweise mit anderen Diskussionsteilnehmern Schwierigkeiten haben, unsympathisch wirkt. Das wäre weiter nicht schlimm, aber - und da schlägt, wie ich meine, die Psychologie voll zu - als exponierter Repräsentant fällt über Generalisierung dann ein (falsches) Urteil (aus meiner Sicht sogar ein doppelt falsches, da die Beurteilung nach und aus Medienkontext sehr sorgsam vorgenommen werden sollte und einer primären Vorläufigkeit zuzuordnen ist) auf die von ihm mit vertretende Organisation. Dieser Sachverhalt trifft - leider - auf jeden Vertreter welcher Gruppierung auch immer zu. Wenn nun ein derart hochdifferenziert wahrnehmendes Gemüt resp. Lichtlein von einem vorgeblichen Bild eines Repräsentanten auf eine wie auch immer geartete Gesamtheit schließt, dann kommen wir - psychologisch gesehen - genau auf jenen Sachverhalt, den Herr Möllemann wohl angesprochen hat: Menschen übertragen ihre Urteile dann eben auf die Organisation und deren Mitglieder. Dies gilt selbstverständlich für Antipathien ebenso wie für Sympathien, letzteres sicherlich nur dann, wenn vom Urteilenden zuerst ein positives Bild bezüglich Repräsentant entwickelt wurde. Nimmt man diesen einfachen psychologischen und sozialpsychologischen Sachverhalt zur Kenntnis, dann muß jeder Repräsentant mit diesen Auswirkungen rechnen; entsprechend seiner eigenen Gewichtung dieser Faktizität wird er dann sein Verhalten entsprechend kontrollieren oder auch nicht. Tut er es nicht, sollte er sich aber über mögliche Auswirkungen nicht groß wundern. Sicherlich haben wir es hier dann auch mit Opportunitätserwägungen zu tun, die im radikalsten Falle bis hin zu einer Persönlichkeitsverstellung, vielleicht gar Persönlichkeitsspaltung führen. Das nur als grundsätzliche Feststellung. Ich persönlich lehne derartiges Anpassungsverhalten ab, vermeide es grundsätzlich (die paar wenigen Ausnahmen werden wohl eine Konzession an das Leben in einer hochgradig differenzierten Gesellschaft sein ...) und wäre deshalb wohl für die meisten Institutionen als Repräsentant “untragbar”. Auf das Dilemma, das sich hieraus für ein Demokratieverständnis und Toleranzgebaren ergibt, möchte ich nur verweisen. Jedenfalls greift in diesem Zusammenhang die normative Kraft des Faktischen mit ins Geschehen ein ...
Und so verstehe ich die vorgenannten Aussagen Möllemanns (Übrigens: mir persönlich ist Möllemann nach jahrelanger intensiver Beobachtung politischen Verhaltens im weiten Sinn alles andere als sympathisch - er erscheint mir hochgradig profilneurotisch, machtgierig und rechthaberisch und sicherlich, aber das hat er leider mit wohl den meisten Politikern gemein, opportunistisch) eher als Feststellung einer psychologischen Binsenweisheit als eine gar antisemitische Äußerung. Seine Prämisse, wenn man so will, ist eben seine getroffene Klassifizierung von Herrn Friedmann mit der sich dann logischerweise daraus ergebenden Schlußfolgerung bezüglich psychologisch erklärbarer Breitenwirkung. Daraus nun zu schließen, wie geschehen, dass Herr Friedmann so selbst den Boden möglichen Opferdaseins bereitet, halte ich schon für eine sehr gewagte Hypothese. Für eine solche Denk- und Verhaltensweise ist auch keine Entschuldigung notwendig, weil sie alles andere darstellen mag: nur keine Beleidigung. Es sei denn, man fühlte sich durch Herrn Möllemanns Sichtweise als konkret gegen sich gewerteten menschlichen Verhaltens beleidigt ...
Man kann sich darüber ärgern, dass Menschen generalisieren, aber es leider wohl nicht abschaffen. Insofern hat Möllemann nichts Sensationelles, aber auch nichts Beleidigendes gesagt. Stellt man jedoch diese konkrete Herrn Friedmann betreffende Aussage (das gilt übrigens auch hinsichtlich Herrn Scharons betreffende subjektive Feststellungen) in einen anderen Kontext (z.B. Möllemann Interviews über die Situation zwischen Palästinensern und Israelis) schafft man einen neuen Kontext, der vielleicht Herrn Möllemann in seinen Akzentuierungen politischer Betrachtungsweisen kennzeichnen mag, aber auch hier wohl keinen Hinweis auf Antisemitismus zuläßt.
Was hier phänomenologisch betrachtet geschieht resp. widerfahren kann, ist nichts anderes als das, was jedem Funktionsträger welcher Institution auch immer widerfährt: dass von ihm als Repräsentant, als konkretem Individuum, verallgemeinernd auf die von ihm vertretene Organisation resp. deren Mitglieder geschlossen wird. Natürlich ist dies falsch, aber wohl - man beachte den psychologischen Kontext - gerade bei hochgradig selektiver Wahrnehmung durchaus weit verbreitet. Nicht umsonst wird sogenannten Staatsdienern immer wieder abverlangt, dass sie ihr öffentliches Verhalten ihrer Stellung unterzuordnen haben, damit eben kein schlechtes Licht auf die jeweilige (staatliche) Institution fällt.
Nun, mir gefällt dieser psychologische Hintergrund auch nicht, aber er ist Fakt. Und mir ist es lieber, Herr Friedmann (und so glaube ich ihn schon einschätzen zu können - trotz der oben gemachten Einschränkungen) hebt sich ab vom Mainstream, ist kantig und individuell (und damit auch zugleich interessanter) und kämpft auch mit Engagement hörbar und sichtbar um seine Überzeugungen, als dass er zum blassen, faden, verhaltensneutralen Funktionsträger verkümmerte, nur wegen etwaiger Auswirkungen auf die Institution als solche ...
Aber dann muß er eben auch mit dem rechnen, was Herr Möllemann binsenweishaftig bezüglich Generalisierungsphänomen formuliert hat - und damit leben.
Grund zum Beleidigtsein könnte dann aber allenfalls der Umstand sein, dass Herr Möllemann Herrn Friedmann nicht zu mögen scheint, aber das dürfte in den gegebenen persönlichen Konstellationen wirklich kein großes Problem sein, schon gar nicht Grundlage irgendwelcher negativer Befindlichkeiten.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch: Etwas mehr Normalität, etwas mehr tatsächliche (und nicht gespielte) Souveränität würde allen helfen.
Aber vielleicht ist die Sprache deswegen ein zu unhandbares Instrumentarium, weil viele der Beteiligten stets auch sich im vordersten politischen Kontext bewegen und deshalb die funktionalisierende Funktion von Wörtern im Auge oder gar schon internalisiert haben. Diese Aussage treffe ich vor allem in Erinnerung an die traurigen Darstellungen bei Christiansen (mehrfach) und auch an andere TV Diskussionen (Maischberger einmal ausgenommen!); es ist gerade so, als wolle man den Zuschauer verprellen, von der Sachlichkeit entfremden, oder was weiß ich noch alles. Man muß kein Anhänger von Herrn Westerwelle sein, um ihm zumindest bei diesem Auftritt eine Souveränität zu bescheinigen, der allen anderen Teilnehmern völlig abging. Eine ausschließliche Instrumentalisierung (nur weil schon wieder Wahlen sind ?!?) dient nicht einer Verständigungsbereitschaft, ist der Versöhnung (wo es etwas zu versöhnen gibt) im Wege und wirkt abstoßend auf Zuhörer und Zuschauer. Man sollte Sprache auch in solchen Begegnungen im Jasperschen Sinne handhaben ...
Leider haben in diesem Zusammenhang namhafte Zeitungen wie Die Zeit (mit ihren redundanten, größtenteils nichts zur Erhellung beitragenden Artikeln -vgl. Nr. 24, S.38ff.), Die Welt und auch die SZ kaum einen Beitrag zur Besserung der Verhältnisse geleistet. Da stellt sich mir dann doch die Frage: Haben die irgendeine Furcht zu befriedigen, pflegen sie eine besondere Form der Selbstdarstellung oder können sie es nicht besser?
Ich darf eine Erlebnis aus meiner frühen Erwachsenenzeit (70er Jahre) an dieser Stelle anführen, bei dem dieses sprachliche Dilemma eigentlich hätte virulent werden müssen. Leider habe ich die Unterlagen nicht mehr präsent, aber die Erinnerung ist noch sehr gut, eben weil ich damals ein Stück Glauben an Vernunft im politischen und sozialen Umgang zwischen Menschen auf der Strecke habe bleiben sehen. Oder zumindest diese Empfindung erleben mußte.
In München wurde bei einem Diskussionsforum (es ging um Ökonomie, Effizienzkriterien, Gewinnorientierungen) von verschiedenen Seiten (vor allem von Vertretern der Wirtschaft, aber auch der Forschung) vertreten, dass Effizienz (vor allem auch die Input-Output Optimierung) wesentlich handlungsleitend sein sollte.
Da stand der damalige Leiter der Wehrbereichsverwaltung VI (seinen Namen weiß ich nicht mehr, diese Art von Institutionen hatten ohnehin - schon gar nicht zu damaliger Zeit - meine großen Sympathien) auf und ging ans Rednerpult. Er widersprach heftig all diesen Vorstellungen von Optimierungsdenken ohne vorherige Kontrolle durch moralische Instanzen, ja er plädierte (und damit fand er sicherlich meine vollste Zustimmung) für das Primat von Moral. Er wies darauf hin, wohin es führen könne, wenn moralische Kriterien nicht vorrangig handlungsleitend wirkten und sagte dann, wohl um die Gefahr des eindimensionalen Denkens eindringlich nochmals zu betonen - und bitte verstehen Sie jetzt meine Worte nur so wie im o.g. Jasperschen Sinn -, wenn man moralisches Handeln unterließe und alles nur den Effizienzkriterien unterwerfe, dann müßte man logischerweise Hitler und seine Schergen im Sinne deren Zielvorgaben als hochgradig erfolgreich bewerten. Und er endete nochmals wiederholend, dass dies nie und nimmer geschehen dürfe und dass jene schreckliche Zeit mit ihrer Unmenschlichkeit Mahnung für all jene sein sollte, die nach reinen Effizienzkriterien ohne Einbeziehung moralischer Kategorien verlangten.
Gut: Ich hätte mich damals sicherlich anders ausgedrückt und nach ideologiekritischer Hinterfragung der Ansätze jener Wirtschaftsapologeten gerufen. Das wäre mir dann zugleich die moralische Spiegelung jener Optimierungsstrategien gewesen.
Aber: Was jener Herr der Wehrbereichsverwaltung getan hat, war schlicht und einfach das, was Humanität abfordert. Und er hat eindringlich an jene Auswüchse unmoralischer Zeit erinnert.
Was ist danach aber geschehen? (Es fiel in die Zeit als Heinz Galinski Vorsitzender des Zentralrats war.)
Es gab in der deutschen Öffentlichkeit einen Aufschrei, ein Kesseltreiben gegen jenen Redner, an der sich selbst einigermaßen seriöse Medien beteiligten und seriöse zumindest seltsam abstinent und still blieben. Der Mann mußte gehen, weil er angeblich antisemitische Äußerungen getan hatte.
Es war so eindeutig, dass er eher das Gegenteil von dem, was ihm unterstellt wurde, gesagt hatte; er hatte die unsägliche deutsche Vergangenheit beim Namen genannt, an den Pranger gestellt (also genau nicht der Verdrängung oder gar der Auschwitzlüge zugearbeitet). Aber er verlor seinen Posten, wurde “strafversetzt” - und keine Hand rührte sich für ihn ...
Nehmen wir nun Martin Walser: Wenn er nur (wohl dem multum non multa gehorchend) sagt, “dass sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt” , wenn er den (zugegeben stark akzentuierenden, schriftstellerisch überhöhenden) Begriff der “Moralkeule” verwendet und abschließend vermutet, dass es auch “eine Banalität des Guten” gäbe, dann sollte man doch wirklich den Kontext zur Kenntnis nehmen und nicht das, was einfältige und oberflächliche Geister und Gemüter aus diesen herausgerissenen Aussagen machen (können). Wobei vorab die Frage steht: Wer hat eigentlich diese Begriffe so aus dem Kontext gerissen, dass sie kontraproduktiv wirken könnten, und sie dann sinnentzerrend der Öffentlichkeit präsentiert? Ich klammere bewusst seinen noch nicht veröffentlichten Roman (Tod eines Kritikers) logischerweise aus, weil ich ihn noch nicht gelesen haben kann und es mir ersparen möchte, auf dem Niveau der Unkenntnis (oder was oft schlimmer ist: auf dem Niveau mangelhafter Kenntnis und dennoch mit dem selbstgesetzten Anspruch auf fundierte Urteilsfähigkeit) zu werten.
Darf ich deshalb nochmals auf 1998 zurückkommen? Hier der Textausschnitt von Walsers Rede, in dem die o.g. Begrifflichkeiten, die ja damals Anstoß erweckt hatten (und es wohl vielerorts auch noch heute tun):
“Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen. Wenn ich merke, daß sich in mir etwas dagegen wehrt, versuche ich, die Vorhaltung unserer Schande auf Motive hin abzuhören und bin fast froh, wenn ich glaube, entdecken zu können, daß öfter nicht mehr das Gedenken, das Nichtvergessendürfen das Motiv ist, sondern die Instrumentalisierung unserer Schande zu gegenwärtigen Zwecken. Immer guten Zwecken, ehrenwerten. Aber doch Instrumentalisierung. Jemand findet die Art, wie wir die Folgen der deutschen Teilung überwinden wollen, nicht gut und sagt, so ermöglichten wir ein neues Auschwitz. Schon die Teilung selbst, solange sie dauerte, wurde von maßgeblichen Intellektuellen gerechtfertigt mit dem Hinweis auf Auschwitz. Oder: Ich stellte das Schicksal einer jüdischen Familie von Landsberg an der Warthe bis Berlin nach genauester Quellenkenntnis dar als einen fünfzig Jahre lang durchgehaltenen Versuch, durch Taufe, Heirat und Leistung dem ostjüdischen Schicksal zu entkommen und Deutsche zu werden, sich ganz und gar zu assimilieren. Ich habe gesagt, wer alles als einen Weg sieht, der nur in Auschwitz enden konnte, der macht aus dem deutsch-jüdischen Verhältnis eine Schicksalskatastrophe unter gar allen Umständen. Der Intellektuelle, der dafür zuständig war, nannte das eine Verharmlosung von Auschwitz. Ich nehme zu meinen Gunsten an, daß er nicht alle Entwicklungen dieser Familie so studiert haben kann wie ich. Auch haben heute lebende Familienmitglieder meine Darstellung bestätigt. Aber: Verharmlosung von Auschwitz. Da ist nur noch ein kleiner Schritt zur sogenannten Auschwitzlüge. Ein smarter Intellektueller hißt im Fernsehen in seinem Gesicht einen Ernst, der in diesem Gesicht wirkt wie eine Fremdsprache, wenn er der Welt als schweres Versagen des Autors mitteilt, daß in des Autors Buch Auschwitz nicht vorkomme. Nie etwas gehört vom Urgesetz des Erzählens: der Perspektivität. Aber selbst wenn, Zeitgeist geht vor Ästhetik.
Bevor man das alles als Rüge des eigenen Gewissensmangels einsteckt, möchte man zurückfragen, warum, zum Beispiel, in Goethes "Wilhelm Meister", der ja erst 1795 zu erscheinen beginnt, die Guillotine nicht vorkommt. Und mir drängt sich, wenn ich mich so moralisch-politisch gerügt sehe, eine Erinnerung auf. Im Jahr 1977 habe ich nicht weit von hier, in Bergen-Enkheim, eine Rede halten müssen und habe die Gelegenheit damals dazu benutzt, folgendes Geständnis zu machen: "Ich halte es für unerträglich, die deutsche Geschichte - so schlimm sie zuletzt verlief- in einem Katastrophenprodukt enden zu lassen." Und: "Wir dürfen, sage ich vor Kühnheit zitternd, die BRD so wenig anerkennen wie die DDR. Wir müssen die Wunde namens Deutschland offenhalten." Das fällt mir ein, weil ich jetzt wieder vor Kühnheit zittere, wenn ich sage: Auschwitz eignet sich nicht, dafür Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung. Was durch Ritualisierung zustande kommt, ist von der Qualität des Lippengebets. Aber in welchen Verdacht gerät man, wenn man sagt, die Deutschen seien jetzt ein ganz normales Volk, eine ganz gewöhnliche Gesellschaft?
In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande. Der Historiker Heinrich August Winkler nennt das "negativen Nationalismus". Daß der, auch wenn er sich tausendmal besser vorkommt, kein bißchen besser ist als sein Gegenteil, wage ich zu vermuten. Wahrscheinlich gibt es auch eine Banalität des Guten.”
Auch hier sehe und lese ich den warnenden Hinweis auf Abstumpfung, eine Abstumpfung, die vor dem Hintergrund des Greuels nie und nimmer Platz greifen darf. Da sind wir uns wohl (fast) alle einig. Kein Vergessen. Mahnung und Erinnerung. Aber dies wäre gefährdet, sollte die tiefe innere Auseinandersetzung einer Abstumpfung Platz machen. In jedem besseren Psychologiebuch lassen sich Voraussetzungen zu Abstumpfungsprozessen mit möglichen Verkehrungen ursprünglicher Intentionen in ihr Gegenteil gut nachlesen. Bezüglich Walser möchte ich ausrufen: Ich finde keine Schuld an ihm. Der Begriff “Moralkeule” als warnende Metapher gegen den Verlust einer Fähigkeit, einer Kraft zur Auseinandersetzung, nichts anderes. Und was die “Banalität des Guten” angeht: Es wäre einfach, zahlreiche Felder aufzuzeigen, auf denen eben wegen sogenannter “Gutmenschen” der ursprünglichen Sache nicht gedient worden ist, eben weil durch Ritualisierungen ausbreitende Oberflächlichkeit und intrasubjektive Übereinkünfte eine sachlich angemessene Auseinandersetzung ad absurdum geführt haben.
Es ist mir ein Herzensanliegen, dass die sich von meinen Ausführungen Angesprochenen ernsthaft mit meinen Gedanken auseinander setzen, gerade weil ich mich nicht um eine Auseinandersetzung mit dem was war herumdrücken möchte und werde. Es wird mir eine meiner Lebensaufgaben bleiben. Was Israel angeht, bin ich in einem Alter, das mich erinnern läßt an die Zeiten, wo arabische Aussagen, man gäbe nicht eher Ruhe, bis der letzte Israeli ins Meer getrieben wäre, ihren eigenen Beitrag zum Selbstbehauptungswillen und -recht geleistet haben. Und es ist unfaßbar, dass bis in die heutige Zeit noch keine menschliche Lösung gefunden wurde, die beiden Seiten auch hinsichtlich einer lebenswerten Daseinsgestaltung gerecht wird. Aber ich bin auch in dem Alter, von dem ich sagen kann, dass ich persönlich faktisch nichts, aber auch gar nichts mit dem sogenannten Dritten Reich und seinen Schergen als auch mit seinen Mitläufern zu tun habe (und zu tun haben will). Ich spreche aber bewusst nicht von der “Gnade der späten Geburt” (wenngleich ich Kohls damaligen Satz eher so gedeutet hatte, dass er damit ausdrücken wollte, er wisse nicht, wie er sich in einem totalitären System tatsächlich verhalten hätte - aber dieser Möglichkeit der Interpretation wurde seinerzeit bekanntlich auch keine große Chance in der breiten Öffentlichkeit gegeben; da fiel man lieber - wohl weil es auch intellektuell einfacher war - über den Mann her, um ihn zu “rupfen”...), weil gerade das Zufällige nicht Gegenstand tiefer und notwendiger Auseinandersetzung sein sollte. Auch nicht im Sinne des Ausweichen-dürfens.
Mein Schreiben ist stellenweise redundant gehalten. Ganz bewusst. Dies als mein Versuch, mögliche Fehlinterpretationen, wenn schon nicht zu verunmöglichen, so sie doch zu reduzieren.
In der Hoffnung, dass wir alle einem friedfertigen menschlichen Miteinander und einem gegenseitigen Verständnis und der dafür notwendigen und selbstverständlichen Achtung zuarbeiten können, verbleibe ich
mit herzlichen Grüßen
(Joachim Buchenau, M.A.)
"They can say what they want about me, but at least I know who I am and who my friends are."
George W. Bush
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groddenohlm meint ...
groddenohlms Gedanken über
bayerische Hauptschule in naher oder ferner Zukunft ...
Zunächst einmal: Es handelt sich hier um Überlegungen, wie es sein beziehungsweise wie es werden könnte. Dabei liegen lediglich aufmerksame Beobachtung als auch Interpretation aus Wahrnehmungen der Vergangenheit und Gegenwart groddenohlms Gedanken zugrunde. Der aufmerksame Zeitgenosse wird beizeiten dann beurteilen können, ob und wenn ja, inwieweit groddenohlm mit seinen Zukunftsphantasien recht behalten haben wird.
Damit keine Unklarheiten auftauchen: Der groddenohlm wünscht sich eine derartige Entwicklung natürlich nicht, weil er sie für absolut falsch hielte. Und bekanntlich lassen sich gemachte Fehler durch weitere Fehler nicht ausmerzen ...
Der Schülerberg wird sich verschieben und dann wohl irgendwann ganz verschwinden. Dabei bezieht sich die allgemein verwendete Bezeichnung “Berg” in diesem Zusammenhang sicherlich nur auf quantitative Aspekte und nie und nimmer auf qualitative. Auf der anderen Seite stellt man eine Überalterung des “Lehrkörpers” (ja dieser schöne Begriff hat sich bis in die heutige Zeit er- und gehalten ...) fest.
Jedenfalls wird es für einen Zeitraum zuviele Schüler für zuwenig Lehrer geben, was besonders in den Bereichen, die durch einen hohen Grad an sogenannten schwierigen Jugendlichen gekennzeichnet sind, noch problematischer werden wird als es heute ohnehin schon ist. Hierunter fällt gewiß die Hauptschule. Die Hauptschule muß alle Schüler aufnehmen, die an anderen Schulen versagt haben oder abgelehnt wurden; Hauptschüler finden in großer Zahl nach ihrer Regelentlaßzeit (sprich: neun Schulbesuchsjahren) häufig keinen Ausbildungsplatz, was viele dann dazu bringt, eine Schulzeitverlängerung zu beantragen, um wenigstens nicht “auf der Straße” zu stehen.
Die nicht selten übervollen Klassen werden somit noch mehr vollgepfropft von Leuten, die im Vorjahr zumeist sich durch Versagen oder/und Unwilligkeit hervorgetan haben, die den Unterricht stören, die Motivation auf breiter Ebene (sofern noch nennenswert vorhanden) unterminieren und letztlich alle Willigen und konkret an ihrer Zukunft Interessierten in ihrem Lernprozeß enorm behindern.
Nun gibt es recht klägliche Sanktionsmöglichkeiten, von denen wohl kaum eine in der Praxis besondere Wirksamkeit in Richtung Besserung zu aktiver Teilhabe am Lernprozeß entfaltet. Es sind einfach auf der einen Seite zu viel an Gleichgültigkeit, Resignation und Aggressivität in unterschiedlichster Ausprägung sowie auf der anderen Furcht vor dem immer wieder beschworenen “Elternwillen” in seiner konkreten Manifestation (meist Kritik auf der Basis einer nicht adäquaten Information und fehlender strukturierter Sachkompetenz), vor persönlichen oder gar verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzungen sowie vor dem Verzicht auf eigene Courage und Konsequenz.
So sieht die Alltagswirklichkeit das Lehrpersonal meist als Personen für Handling von Störfaktoren, als Kämpfer gegen die Unlust und Faulheit sowie leider nicht selten genug als Objekt von Frechheiten unterschiedlichster Art. Leute, die Schule nur als Platz zum Aufwärmen und Zeitabsitzen benützen, sollten dort keinen Platz haben. Für jene muß die Gesellschaft sinnvoller Wege zur Beseitigung ihrer Problemlage finden. Und vor allem auch: andere Institutionen als die Hauptschule!
In diesem Zusammenhang fällt mir ein passender Spruch ein:
“Man kann sein Geld nicht schlechter anlegen
als in ungezogenen Kindern.”
(Wilhelm Busch)
Es wäre also zunächst einmal dafür zu sorgen, daß all jene, die nicht eindeutig den notwendigen Lernwillen und die Bereitschaft, entsprechend alle ihre Kräfte im Sinne produktiver Schularbeit zu mobilisieren, von der Schule verwiesen werden, sobald die Schulpflichtzeit erfüllt ist. Des weiteren müßten wirklich greifende Sanktionsmöglichkeiten für Störer, die noch der Schulpflicht unterliegen, geschaffen werden. Warum diese beiden Forderungen? Damit alle anderen, und das dürfte immer noch die Mehrheit sein, in Ruhe und Eifer lernen können, um eine solide Basis für ihre eigene Zukunft schaffen zu können. Dann wäre auch sicherlich den derzeit berechtigten Klagen von Handwerk und Industrie über die gegenwärtig gegebene minderwärtige Kompetenz von Schulabgängern der Boden entzogen - zumindest was die Lernwilligen angeht ...
Nun begegnet man leider im Rahmen von Schuldiskussionen immer wieder Strategen, die schnell mit der Lösung zur Hand sind, Öffentlichkeitsberuhigungspillen verabreichen, vorgeben, alles im Griff zu haben und vor allem mit Euphemismen der oft seltsamsten Art über die tatsächliche Miseren hinwegtäuschen. Vielleicht sind sie auch nur einer Selbsttäuschung erlegen und wissen es einfach nicht besser, was freilich viele von dieser Spezies nicht daran hindert, so zu tun (und wohl auch: so zu glauben), der Stein der Weisen liege in ihrer Tasche. Sie seien gemahnt und daran erinnert:
“Ein Gramm Wissen ist einem Zentner Überzeugung
und einer Tonne Meinung bei weitem vorzuziehen.”
(Manès Sperber)
Wer die Schule gesundbetet, wer sich den mannigfaltigen Problemlagen nicht sachgemäß, und das heißt vor allem: kritisch, und zwar auch ideologiekritisch, stellt, der wird die Probleme nicht mindern sondern vergrößern. Vor allem von politischer Seite wird, nachdem man jahrelang Lehrpersonal doch mehr oder weniger verteufelt (des Exkanzlers Schröders Äußerung “faule Säcke” ist da leider nur ein pars pro toto ...), ihre berufliche Arbeit doch nicht allzu selten als Freizeitverwaltung mit etwas Schultätigkeit geringgeschätzt hat, darf man sich nicht wundern, wenn so viel nun aus dem Ruder gelaufen ist. Obgleich an allen Ecken und Enden die Problemlage mehr als deutlich wird, sie auch für alle Politiker offensichtlich sein sollte, findet man nicht selten immer noch den Typus des “Beschwichtigungsdeutschen” (Hochhuth), der sich inmitten schulischer Gesundheit wähnt.
“Gesundheit ist ein labiler Zustand,
der nichts Gutes erwarten läßt.”
(Markus Ronner)
Aber dieses Zitat wird wohl ohnehin nur von jenen vernommen, die es eigentlich gar nicht als Aufmunterung zum Tun bräuchten.
Ich habe da einen Verdacht. Eine Vermutung. Eine Prophezeihung. Der gegenwärtig noch vorhandene Schülerberg an Hauptschülern (immer relativ zu sehen zum eingestellten Lehrpersonal, denn entsprechend eingestellte viele Lehrer zu kräftiger Reduzierung von Klassenstärken, vor allem bei vielen sogenannten auffälligen oder von abweichendem Verhalten geprägten Schülern verkrafteten viele Schüler ...) wälzt sich auf die Berufsschulen zu. Aber auch dort fehlen Lehrer, Lehrer, die man in Hinblick auf die zukünftige Entwicklung der Schülerzahlen langfristig nicht unbedingt mehr einstellen möchte (sofern sie auf dem Arbeitsmarkt überhaupt noch mangels Studieninteresses an einem immer weniger attraktiv geratenen Beruf zu rekrutieren sind ...).
Warum dann nicht gleich das erste Berufsschuljahr an der Hauptschule belassen - dies sozusagen als Vollzeitschuljahr, vielleicht auch in Verbindung mit und/oder BGJ und BVJ (die ohnehin bereits Vollzeitschulmaßnahmen sind); die Berufsschulen könnten so entlastet und entzerrt werden, die Lehrer hätten kleinere Klassen (gleiche Lehrerzahl bei weniger Schülern ...) und die Wirtschaft könnte bei dann eventuell möglichem besseren Unterricht wieder zufriedenere Ergebnisse konstatieren. Berufsschullehrer sind teurer als Hauptschullehrer und von daher würde der Staat Kosten einsparen.
Was nun aber mit der Hauptschule? Man hätte ein 10. Schuljahr eingeführt, das für viele Schüler an diesem Schultyp ohnehin bereits faktisch existiert, könnte - ob zu Recht oder zu Unrecht, das sei hier einmal dahingestellt - auf gesteigerte berufliche Orientierung und Qualifizierung verweisen, damit das alte Lied der Profilbildung der Hauptschule im Soge von Arbeitslehre und Co in einer höheren Tonart singen, und bräuchte dann nur noch ein gehörig Maß an euphemistischem Einfallsreichtum, um die richtigen Worte (und wohl auch Erfolgsgesänge bereits im Vorfeld gleich einer - da wohl nur fiktiven - Henne, die bereits vor dem Legen ihr Ei begaggert singen ...) zu finden, damit wieder einmal die Zeitgemäßheit von Schulsystem bewundert werden kann.
Ungelöst in diesem Zukunftsszenario ist natürlich die Manpower-Frage. Weitere Klassen erforderten zusätzliche Lehrer. Allerdings auch Lehrer mit einer völlig erweiterten Qualifikation sofern man strenge Berufsbezogenheit tatsächlich will. Woher nehmen wenn nicht stehlen? Spaß beiseite: Stehlen ginge auch nicht. Also legen wir halt einfach zusammen, schaffen vorhandene kleinere Klassen wieder ab, setzen Differenzierungsmaßnahmen aus, sparen bei mobilen Reserven, sprechen notfalls von einer Notlage, die “vorübergehend revolutionäre Maßnahmen” (im bürgerlichen Kontext heißt das jedoch schlicht: Mehrarbeit, mehr Motivation, mehr Bereitschaft und mehr Aufopferungsbereitschaft) erfordert und entsprechend das politische Handeln dann legitimieren sollte.
groddenohlm klingt hier pessimistisch, ironisch und vielleicht auch vereinfachend. Denn das duale Ausbildungssystem hat durchaus gewisse immanente (Rechts-) Schranken, die es Münchhauseniaden nicht so ganz leicht machen dürften. Aber lassen wir dem groddenolm ganz einfach seine Spielereien mit bayerischer Hauptschulzukunft und sehen wir dann später - hoffentlich noch zur rechten Zeit - was herauskommt und vor allem auch: ob etwas herauskommen wird. Vielleicht hat der groddenohlm sich ja auch nur geirrt. Wir mahnen aber dennoch mit dem alten Spruch, wonach das Holzauge wachsam zu sein habe. In diesem Sinn späht der groddenohlm mit Gleichgesinnten in eine spannende Zukunft ...
“Ich glaube nicht, daß man durch beharrliches
Starren ins Chaos weiser und besser wird.”
(Jakob Burckhardt)
Und nun bei groddenohlm: Die Mär von der Stimmigkeit ...
Vorab zur Einstimmung eine Vorüberlegung, sozusagen ein Vor- Denken.
Völlig leistungsschwache Förderschüler werden nach ergebnislosem Schulbesuch finanziell ein Jahr gefördert; diese Bezuschussung leistet die Bundesagentur für Arbeit. Notwendig ist das Bestehen eines Tests, besser sollte man sagen: der Test ist dann “bestanden”, wenn man keine Fähigkeiten und Fertigkeiten aufweisen kann. Mit anderen Worten: Wer auch nur etwas Können und Entwicklungspotential verrät, der bekommt nichts. So wäre es interessant, zu erfahren, wie der Verlauf etwaiger Berufsbiographien derart geförderter Jugendlicher in Input - Output - Relationen zu sehen ist. Jedenfalls soll man etwas leistungsfähigeren Förderschülern schon ernsthaft geraten haben, sich bei diesem Test extrem dumm zu stellen, möglichst nichts zu zeigen, um so in den Genuß der einjährigen Förderung zu gelangen. Pädagogischer Hintergedanke ist leicht nachvollziehbar und auch durchaus plausibel: Bei den etwas Leistungsfähigen ist das Geld sinnvoller eingesetzt, da sie ja von der Förderung realiter profitieren können, bei den anderen, die durch ein extremes Maß an Lernunfähigkeit gekennzeichnet sind, bringt auch dieses eine Jahr Förderung nichts Erwähnenwertes.
Man zeitige den groddenohlm nicht der Herzlosigkeit, aber in allen Bereichen sollte Förderung schon sinnvoll und adäquat sein. Wie man allerdings geistig total Unbedarften helfen kann, da fehlen vor allem auch dem groddenohlm die Ideen. Wenn auch der groddenohlm die geistige Einfalt zeitlebens weitgehend in seinen freien Bereichen zu meiden verstand, so sieht er doch ein, daß eine Gesellschaft unverschuldeter Einfalt doch zu helfen habe. Darüber dann demnächst - nach entsprechenden Recherchen und ebensolchem Nachdenken - mehr bei “groddenohlm meint ...”
Es wird zunehmend beklagt, daß es an Wertvermittlung fehle, daß keine Tugenden mehr vermittelt würden, daß es an wirklicher Vorbildswirkung fehle und so weiter. Das ist sicherlich alles richtig, doch mit dieser Erkenntnis ist noch nicht einmal eine brauchbare Fragestellung erfolgt. Welche Werte? Welche Tugenden? Welche Vorbilder? Wir wären also inmitten einer notwendigen Wertediskussion. Aspirationsniveau wird sich eben nur auf einer sehr niedrigen Stelle einpendeln, wenn in einer Gesellschaft dämliche Sachverhalte derart hochgepuscht werden, eine Aufwertung erfahren und über eine intersubjektive Übereinkunft der an Zahl immer mehr zunehmenden Kleingeister einen faktisch verbindlichen gesellschaftlichen Normierungsgrad generieren. Die "Helden", also die Vorbilder sind für die wenigstens geistige Größen, Menschen von hoher karitativer Ausrichtung, Leute mit sozial engagierem Innovationspotenzial oder ähnliche, sondern vielmehr irgendwelche (oft sehr hohle) Schauspieler, sich mehr oder weniger exzentrisch aufführende Persönchen aus der Musikszene, gar "Helden" aus üblem Spieleangebot, echte Schaumschläger, vor allem auch "Unterhalter" aus dämlichster Comedy oder anderen TV-Veranstaltungen.
Die Kritik mag vernichtend sein, sie soll auch so verstanden werden, allerdings mit der Einschränkung, daß eine überwiegende oder gar völlige Unterwerfung unter diesen Unterhaltungsapparat gefährlich ist, weil sie eben jene Dummheit stützt, fördert und animiert, die einer positiven geistigen Entwicklung dann mit Sicherheit im Wege steht. Was soll zum Beispiel die Identifikation mit irgendeinem "Fußballhelden" oder sonstiger Person hochgespielten öffentlichen Interesses für die Bereicherung des eigenen Lebens, des eigenen Reifens, der Ausformung von Selbstverantwortung bewirken können. Nichts! Absolut nichts; reine tumbe Ablenkung von der eigenen Wirklichkeit, die es zu gestalten, zu meistern, zu überwinden (im Sinne von: transzendentieren) gilt.
Wie hat schon Bertold Brecht so sinnvoll sich über "Helden" geäußert:
Unglücklich das Land,
das Helden nötig hat.
(Bertolt Brecht)
Recht hat er. Auch wenn Brecht hier in erster Linie an die ekelhafte Kriegseuphorie und das Heldengeküre in ihrem Gefolge gedacht haben mag. Aber heute sind andere Helden an deren Stelle getreten. Zwar nicht so tödlich für den Körper, aber gewiß für den Geist, für Motivation, für Tiefgang. In welchem unglücklichen geistigen Zustand sich Deutschland mittlerweile befindet, kann man, sofern man will und dazu auch bereit ist, an allen Ecken und Enden erkennen, vor allem auch an vielen Ereignissen im Schulwesen und am öffentlichen Umgang mit Schule.
Es fehlt eine Distanzierung zu jenen Seichtheiten. Nicht daß ich sie den anderen (und auch mir nicht so ab und zu) gönne, nein, ich bin nur gegen dieses Hofieren, gegen diese unangemessene Aufwerterei von Dingen, die man einfach auf der Ebene belassen sollte, wo sie beheimatet sind und letztlich auch nur hingehören. There is a time and a place for everything! Genau diese sinnhafte angelsächsische Spruchweisheit gilt es zu beherzigen. Es geht um Stellenwerte. Aber leider wird im Kontext von Machterhaltung und Vermehren rein ökonomischer Besitzstände vor allem auch von den Herrschenden ein Populismus betrieben, der die Bürger versucht, ruhig zu stellen und mich an die römische panem-et-circenses Strategie erinnert. Dagegen gilt es geistig und tatsächlich sich zu wehren. Mit aller Kraft. Man sollte sich Strukturen, wie die oben geschilderte, nicht gefallen lassen. Man sollte auf die freche Widersprüchlichkeit hinweisen. Der Kreis schließt sich in etwa, wenn an Schulen deswegen nicht mehr "ruhig" gewirkt werden kann, weil bereits zu Schuljahresbeginn Statistiken um die Ohren gehauen werden, die aussagen, daß man die Schüler einer Schulart bestmöglich fördern muß, daß die (Noten-) Ergebnisse entscheidendes Bewertungskriterium sind (Pisa und Timms lassen grüßen ...), daß man jedoch gleichzeitig vor möglichen vielen Übertritten an andere Schulen auf Grund guten Notenschnitts warnt, weil ansonsten Klassen wegfallen, Lehrer gehen müßten, und so weiter. Wo liegt hier denn die pädagogische und ethische Stimmigkeit? Wie soll man unter solchen Umständen aus innerer Ruhe engagiert arbeiten können? Wann endlich sehen die hierfür Verantwortlichen ein, daß ein Schulsystem in erster Linie Nachhaltigkeit benötigt; dann hat man eben kleinere Klassen (und die so notwendigen Lehrkräfte zu bezahlen), dann muß man eben eine andere Form von Durchlässigkeit als diese scharfe Trennlinien schaffen, dann bedarf es eben endlich einer ganzheitlichen strukturellen Gestaltung, die obendrein die notwendige Zeit für jenes Arbeiten, für jenes Miteinander von Schülern und Lehrkräften ermöglicht, daß psychische und soziale Auffälligkeiten, daß starkes abweichendes Verhalten, daß Nöte und Bedürfnisse aufgearbeitet werden können. Vielleicht müßte man dann auch nicht immer wieder einmal die Soziallamentierfanfaren in Hilflos-Moll blasen, wie es z.B. nach Vorfällen in Columbine, in Erfurt und jetzt im Münsterland (Emsdetten) dann immer wieder geschieht ...
Trotz aller Bedenken, die hinsichtlich Medieneinfluß auf menschliche Fehlentwicklungen geäußert werden, sicherlich partiell auch nicht ganz zu Unrecht (Zumindest sind der zeitliche Aspekt und die Absorption von fehlgelenkter Kraft unkreativer Zeitgestaltung und Zeitverwaltung zu beachten!), so weisen fast alle Forschungsergebnisse bislang darauf hin, daß z.B. Computerspiele nicht die Ursache dafür sind, daß Menschen auf die "falsche Bahn" geraten. Sie sind im Gefolge zuvor erfolgter falscher Erziehung oder überhaupt nicht gepflegter Erziehung allenfalls ein weiteres Mosaiksteinchen im Gefüge abweichenden Verhaltens oder gar in der Manifestation krimineller Energien. Ist ja auch einsichtlich, denn wäre es anders, dann würden wir vor dem quantitativen Hintergrund der Spielenutzung viel mehr solcher schrecklicher Taten erleben. Dem ist aber Gott sei Dank nicht so. Wer gefestigt ist, wer eine gesunde Entwicklung im Rahmen von Zuwendung, von guter Erziehung (die auch Tugendvermittlung, Disziplin, Wertediskussion, Frustrationstoleranz und Bedürfnisaufschub zugunsten langfristiger Zielsetzungen als Aufgabe hat), von Empathie und von Rat und Tat durchlaufen konnte, wird wohl kaum Inhalte derartiger primitiver und im Ansatz gewiß menschenverachtender Spiele über sich Oberhand gewinnen lassen. Gäbe es diese Spiele überhaupt nicht, würde der Menschheit sicherlich nichts abgehen; aber die nun wieder aufgetauchte Forderung nach Verboten dieser Einflußsphären auf die menschliche Psyche geht an der Realität weit vorbei. Zum einen dürfte dieses Verbot nicht durchsetzbar sein - dies vor allem vor der Möglichkeit die das weltweite Netz mittlerweile bietet - und zum anderen käme eine zusätzliche Welle der Kriminalisierung auf uns zu, die wiederum andere schwierige Probleme bezüglich weiterer Sozialsisation von Individuen mit sich brächte. Von der praktischen Umsetzung derartiger Verbotsahndung einmal ganz zu schweigen. Aber: Man könnte diese Spiele über Herstellung eines weitestgehenden gesellschaftlichen Konsenses wenigstens ächten! Dies bedeutete aber, daß grundsätzlich einmal die Pharisäerhaftigkeit in der Diskussion, die im Grunde den Antagonismus von kapitalistischer Warenproduktion und der damit verbundenen Manipulationsstrategien einerseits und den zwar richtigen Forderungen nach Zurückbesinnung auf "wirkliche" Werte andererseits aufzudecken wäre. Solange junge Menschen als Markt- und Konsumfaktor gesehen und entsprechend "behandelt" werden wird es wohl keine Besserung geben: Oberflächlichkeit, Hohlheit, fehlende Frustrationstoleranz, Sucht nach Sofortbefriedigung gefühlter Bedürfnisse, fehlende Anstrengungsbereitschaft, Suche nach falschen oder zumindest qualitativ fragwürdigen Identifikationsobjekten und eine mehr oder weniger für die eigene Entwicklung schädliche Hilflosigkeit in der Auseinandersetzung eigener sozialer Umfelde werden handlungsleitend sein und bleiben.
Kurz: Wer Jugendliche als leicht führbare Objekte für einen gnadenlos auf materiellen Mehrwertzuwachs orientierten Konsum ausbildet, der sollte sich eigentlich über Exzesse dann nicht wundern. Werte fallen nicht so einfach vom Himmel ...
Leider nehmen die Diskussionen nach derartigen Vorfällen schon recht groteske Züge an. Seit Jahren ist bekannt, daß dem Medieneinfluß etwas entgegengesetzt werden muß. Neill Postman läßt grüßen! Wer in der stets sehr guten Sendung "Hart aber fair" vom WDR am 22.November 2006 die Kultusministerin (Frau Sommer) von Nordrhein-Westfalen erlebt hat, der konnte nur mehr den Kopf schütteln. Sie habe - laut ihrem eigenen Bekunden - bis kurz vor der Sendung nichts über die Inhalte von Spielen wie Counter Strike gewußt, sie habe sich erst für diese Sendung kundig gemacht. Das darf doch nicht wahr sein: Eine für die Erziehung und Bildung der Jugendlichen in Spitzenposition der Gestaltungshierarchie tätige (und verpflichtete) Person kennt das nicht, was jahrelang im Brennpunkt erziehungswissenschaftlicher und sozialpolitischer Auseinandersetzung steht. Wäre das nicht so traurig (wohl leider auch zu einem gewissen Grad auch repräsentativ), könnte man diese ganze Selbstdarstellung als eine recht gut gelungene kabarettistische Veranstaltung sehen und sich köstlich amüsieren. Aber als Politikerin dieses eigene Unvermögen auch noch kokettierend zum Besten zu geben ... Das darf doch nicht wahr sein! Auch die anderen ihrer in der Sendung zu der Problemlage präsentierten Äußerungen gingen über das Niveau von Allgemeinplätzen, wie man sie wohl auch an Stammtischen hören kann, nicht hinaus. Wohl auch ein Grund, warum sich so wenig bislang geändert hat...
Immer wieder wird der fehlende Einfluß der Elternschaft im schulischen Geschehen beklagt. So auch wieder einmal in einer Mittagssendung des bayerischen Rundfunks am 20.11.2006. Generell können in den Sendungen zu den jeweils brennenden Themen Zuhörer anrufen. Neben dem Moderator oder einer Moderatorin ist stets irgendeine "Fachkraft" zur Thematik anwesend, wobei die Fachkompetenz naturgegebenermaßen doch auch recht häufig zu wünschen übrig läßt (dies vor allem im Lichte von Interessengebundenheit). Die letztlich auf Schule, Erziehung und Bildung ausgerichtete Sendung an diesem Dienstag, deren Anlaß der Vorfall in Emsdetten war, begann schon einmal mit einer Schuldzuweisung: Die Lehrer (wohlgemerkt: in dieser sehr generalisierenden Form) wären schuld, daß Schüler fehlgeleitet werden, vor allem würden sie sich an den Schülern abreagieren, sie als Untertanen behandeln, ihre Emotionalität mißachten, ihre Werte faktisch leugnen, etc. Die Anruferin war sehr eloquent, forderte mehr Einfluß auf Gestaltung des Schulablaufs und eine Stärkung der Elternvertretung. Sicherlich gab es auch andere Meinungen, aber die Tendenz der Lehrerschelte war doch sehr typisch; man kennt das seit Jahren.
Nun einmal langsam, ihr Besserwisser. Ich frage mich schon, wie denn dieser verstärkte Einfluß der Elternschaft in der Praxis aussehen sollte. Grundsätzlich kann man sagen, daß es gerade die Eltern von lernschwachen oder aus anderen Gründen den Leistungsanforderungen nicht entsprechen könnenden Schüler sind, die ihr sich lautstark in den Vordergrund drängen. Es sind also Kinder mit fehlender Motivation, mit schwach ausgeprägtem Lernhintergrund und fehlender Kompetenz hinsichtlich persönlicher Lernstrategien. Da hat schon einmal die häusliche Erziehung versagt! Kinder aus Elternhäusern, in denen es gelungen ist, Motivation und sinnvolle Freizeit- und Lebensgestaltung den Heranwachsenden zu vermitteln, die Zuwendung und Emotionalität als Selbstverständlichkeit pflegen, denen sinnstiftende, gemeinsame Aktivitäten nicht fremd sind, dürften auch schulisch gesehen mit ihren Kindern keine oder nur geringe, dann jedoch leicht lösbare Probleme haben.
Es sind also die Erziehungsunfähigeren, die im schulischen Kontext Probleme bereiten. Nur können diese Probleme nicht den Lehrkräften angelastet werden. Jedenfalls dürften solche von Wunschdenken und Frustration geplagte Elternteile die denkbar unfähigsten Personen für qualitative Mitwirkung von Elternschaft an Schulen sein. Mit Projektionsverhalten und kompensatorischen Verhaltensweisen wird wohl kaum ein Beitrag zur - gewiß notwendigen - Verbesserung von Schulleben und Schularbeit geleistet werden können.
Es macht wenig Sinn, die Lautesten, wie geschickt sie auch immer zu formulieren wissen (aber leider hapert es selbst bei der sprachlichen Artikulation dort nicht selten ...), als Elternvertreter zu wählen. Nein, eine effektive Mitwirkung der Elternschaft setzt enorme, wenn nicht vorhanden dann in Anstrengungen zu erwerbende, Kompetenzen voraus! Fehlen diese, dann endet diese ganze "Tätigkeit" in - bayerisch gesprochen - Gschaftlhuberei oder schlimmer noch, in Intrigantentum und Diffamierungen.
So kann es wohl kaum Aufgabe von Lehrern sein, neben ihren anstrengenden Aufgaben auch noch Teilen der Eltern Nachhilfe in fachdidaktischen Fragen zu geben, damit jene dann mitreden können. Sollen diese Eltern, die aus welchen Gründen auch immer nicht eine entsprechend qualitative Bildung genossen haben, doch Volkshochschulkurse besuchen oder sich in Nachhilfegruppen gegen Entgelt sachkundig machen. Erfunden? Nein! Erlebt und gesehen. Zwar nicht in Form meiner eigenen Person als Opfer (ich hätte diese Frau hochkantig hinauskomplementiert ...), aber bei anderen, die sich diesen "Zwängen" leidend, still dann jammernd, aussetzten. Kurz: Zur Mitwirkung am Schul- und Unterrrichtsgeschehen gehören methodisch-didaktische Kenntnisse; ohne jene kann keine konstruktive Kritik virulent werden. Aber auch anderes elterliches Engagement an Schulen bedarf selbstredend jeweils einschlägiger Kompetenzen.
Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich gehe davon aus, daß (fast) jeder Mensch sich jene Kompetenzen aneignen kann. Das bedarf jedoch gewaltiger Anstrengung, eines nicht unerheblichen zeitlichen Aufwands und jene Ausdauer fürs (Dazu-) Lernen, Dinge, die sie oft ihren eigenen Kindern nicht beizubringen in der Lage waren. Und letzterer Punkt läßt leider berechtigten Raum für Skepsis hinsichtlich Realisationsvermögen ... Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt.
Auch kann es Lehrern nicht angelastet werden, daß Elternteile keine gehobenere Bildung erfahren konnten und demzufolge in irgendwelchen einfachen Tätigkeiten ihr gesellschaftliches (Arbeits-) Dasein fristen müssen. Wenn jene nun ihre eigenen Kinder ebenso sozialisiert haben (vielleicht unter einem Nolens-volens- Aspekt oder vor dem sicherlich für sie traurigen der Normativität des Faktischen), wenn also jene Kinder keinen Fleiß entwickeln, kein Durchhaltevermögen haben, viel schlechter begreifen als der Durchschnitt (oder partiell gar nicht), dann kann man das nicht den Lehrkräften ankreiden.
Nun darf man jene Kinder freilich nicht pädagogisch abhängen. Aber um jenen zu helfen, bedarf es ganz anderer Maßnahmen als sie das derzeitige Schulsystem im Regelfall ermöglicht. Hier sind nicht "die Lehrer" verantwortlich zu machen, sondern diejenigen, die für administrative, sachliche, strukturelle und finanzielle Ausgestaltung von Schulsystemen verantwortlich sind: Wir landen in unserer Betrachtung also wieder bei der Politik und in derem Gefolge ihrer (oft viel zu schwerfälligen) Administration.
Jedenfalls kann eine Lehrkraft in einer großen Klasse nicht die Langsamsten, Faulsten und Begriffstutzigsten ständig versorgen, denn das ginge nur auf Kosten der anderen Lernfähigen, Lernwilligen und häuslich entsprechend Unterstützten. Und das kann ja nicht Sinn der Sache sein. Wenn also Eltern unfähig sind (sei es aus selbstorganisatorischen oder auch nur aus zeitlichen oder aber auch aus geistigen Gründen), ihre Kinder im Lernprozeß angemessen zu unterstützen, ihnen also auch einschlägig etwas abzuverlangen, dann müssen deren Aufgaben von "Ersatzpersonen" übernommen werden, sollen die Kinder lernmäßig und auch entwicklungsmäßig nicht auf der Strecke bleiben. Und diese "Ersatzpersonen" müssen für die jeweiligen Schulen zusätzlich und für viel Geld eingestellt werden. Geschieht dies nicht, dann muß sich diese Gesellschaft eben mit einem gehörigen Maß an faktisch zunehmender (weil eben Erziehungskompetenz und Erziehungsperformanz leider mit zunehmendem Grad abnehmen) Dummheit, oder wie man auch immer dieses Defizit dann nennen mag, abfinden.
Daß viele Eltern ihre Kinder intelligenter und leistungsfähiger sehen als sie tatsächlich sind, ist aus mehreren Gründen verständlich. Da gibt es einmal jene Jugendlichen (und das sind sehr, sehr viele), deren Potential erst noch geweckt und abgerufen werden muß. Nicht jedes Kind mit "schlechten Noten" hat auch tatsächlich entsprechende Inkompetenz im jeweiligen Fach. Hier ist die Schule gefordert, aber auch das Elternhaus, sollen jene Kinder ihre Fähigkeiten angemessen entfalten können. Dann gibt es jene, die überfordert sind, die einseitiger oder einschlägiger begabt sind (Ein Beispiel für den Erfindungsreichtum bezüglich Finden von Begriffen und Euphemismen sei hier genannt: "Inselhafte Begabung", aus der Literatur der Sonderpädagogik), die einfach gewisse Leistungen nicht oder nur extrem schwer bei enormen Zeitaufwand erbringen können und schließlich der Kreis, der sehr stark behindert im Lernvermögen ist. Die beiden letztgenannten Personenkreise sind unter gegenwärtigen Bedingungen nicht angemessen schulbar. In diesem Zusammenhang sollte man sich einmal die neueste Max-Planck-Gesellschaft Studie über das Lernvermögen und die Beschulbarkeit von Schülern zu Gemüte ziehen. Da wird so manche Illusion geraubt ...
Nicht vergessen sollte man zwei mögliche Elternpespektiven: Da ist einmal die berechtigte Sorge um einen zukünftigen Arbeitsplatz, dessen Erreichbarkeit nachweislich von vorangegangenem Bildungsverhalten und den in diesem Rahmen dokumentierten Ergebnissen, also Zeugnisnoten und Bemerkungen, abhängig ist und das aus dieser Sorge dann resultierende kaum mehr objektive Verhalten gegenüber allokativen Instanzen. Insofern darf man negative Elternurteile häufig als weniger sachlich denn als Ausdruck subjektiver Hilflosigkeit und Verzweiflung werten; dies bedeutet für Lehrkräfte einen, sofern das gezeigte Kritikverhalten der Eltern dies noch rechtfertigt und möglich macht, psychologisch einfühlsamen Umgang damit, was auch eine im Rahmen verträgliche Zurücknahme persönlicher narzißtischer Betroffenheit seitens Lehrkräften abfordert.
Dann sind da jene Eltern, die selbst keine besonders herzeigbare Lern- und Berufsbiographie vorzuweisen haben und nun im Rahmen eines projektiven Verhaltens von ihren Kindern genau jene Leistungen und Ergebnisse erhoffen und erwarten, die sie selbst nie zu erbringen in der Lage waren. Da wirken dann psychische Kräfte, die von Lehrkräften nicht selten das Setzen von engen Grenzen verlangt, wollen sie sich nicht zum Objekt frustrierter Zeitgenossen degradieren lassen. Besonders problematisch wird das bei Jugendlichen, die geistig diesen elterlichen Projektionen nicht gewachsen sind. Aber gleichwohl sollten sich auch hier Lehrkräfte bemühen, jenen Eltern, wenn es irgendwie geht, mit psychologischem Einfühlungsvermögen zu helfen, denn der psychische Hintergrund dürfte einigermaßen klar sein: Wer sagt schon gerne von sich selbst, daß er ein "dummes" Kind, ein "leistungsschwaches" Kind, ein "unfähiges" Kind hat oder gar, daß in der Erziehung versagt worden ist ...
Fakt ist jedenfalls: Weitergehende und mehr Elternmitwirkung machen nur dann Sinn, wenn sie auch qualitativ abgesichert ist. Dann ist sie jedoch wünschenswert und unverzichtbar vor dem Hintergrund des Ziels schulischer Verbesserungen. Ich selbst jedenfalls habe während meiner ganzen langjährigen Tätigkeit an Schulen diese geforderte qualitative Kompetenz seitens Elternvertretung niemals erlebt, allerdings vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis eines - gegenwärtigen - defizienten Modus auch nicht vermißt ...
Solange einschlägige Fortschritte nicht zu verzeichnen sind, sollten Lehrkräfte schon sich die Kraft abringen und aufbringen, den vielen unangebrachten Impertinenzen entsprechend zu begegnen. Zimperlichkeit und falsche Zurückhaltung sind da sehr wenig angebracht! Denn noch herrscht auf dem weiten Gebiet gesamtgesellschaftlich verantworteter Gestaltung von Schule wenig oder gar keine Stimmigkeit.
Wären die Menschen psychologisch geschulter,
würden sie nicht immer von sich, sondern mehr
von den anderen ausgehen.
(Karl Peltzer)
Wie hoch sollte man seine Hoffnung auf Besserung der Verhältnisse hängen? Wieviel Kraft sollte man auf diesem Felde opfern? Welche Zeit von seinem Eigenleben darf man hier für fremdbestimmte Aufgabenstellungen abzweigen. Nun, das muß ein jeder (und natürlich auch: eine jede) für sich selbst beantworten. Sicherlich ist Skepsis angebracht. Wer die politische Szene verfolgt, wer die Armseligkeit geistiger Auseinandersetzung im gegenwärtigen gesellschftlichen Kontext erfährt, der wird wohl klugerweise seinen Optimusmus zu zügeln wissen. Der Grat zwischen ehrlichem, engagiertem, von berechtigter Hoffnung getragenem tiefem Engagement und sinnloser Sisyphusarbeit (moderner und treffend: blindem Aktionismus) ist recht schmal. Das hat wohl auch schon Wilhelm Busch erkannt:
Sehr tadelnswert ist unser Tun,
Wir sind nicht brav und bieder. -
Gesetzt den Fall es käme nun
Die Sündflut noch mal wieder:
Das wär ein Zappeln und Geschreck!
Wir tauchten alle unter;
Dann kröchen wir wieder aus dem Dreck
Und wären, wie sonst, recht munter.
(Wilhelm Busch)
Unterricht am Strand von Ouranoupoli im November 2006
Erneute Pisa Hysterie: "In Mathe nichts dazugelernt."
Dem groddenohlm wurde es fast schlecht, als er auf Seite 1 in der von ihm ansonsten weitgehend gemiedenen Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 18./19. September 2006 diese Hiobsbotschaft vernehmen mußte, die dann im selben Blatt auf Seite 10 unter dem Titel "Mathe-Unterricht schuld an Pisa-Ergebnis" noch weiter ausgeführt wurde. Wer nun, wie groddenohlm, die Studie kennt, der kann sich über die Einseitigkeit der Darstellung und daraus resultierenden Kommentierung nur noch wundern. Was unter anderem nicht in der Zeitung zu lesen war: Vergleicht man das Bild auf Klassenebene, dann zeigt sich "bei 89 Prozent der Klassen eine deutliche Verbesserung" (zitiert nach Manfred Prenzel et. al., Pisa Konsortium Deutschland, Pisa 2003: Untersuchungen zur Kompetenzentwicklung im Verlauf eines Schuljahres; Pisa I Plus ist hierzu die Meßwiederholung als Längsschnittstudie, die diese Ergebnisse von Veränderungen gegenüber dem vorigen Stand ausweist); die Population erfaßte keine 10. Hauptschulklassen, weil diese nicht in allen Bundesländern institutionalisiert sind und somit keine sachgemäße Vergleichbarkeit gegeben wäre, ebenso wurden Wiederholer ausgeklammert.
Was ist nun den beiden Zeitungsberichten nach tatsächlich alles Schlimme geschehen? Hierzu zunächst ein paar Auszüge aus Seite 1:
"Pisa-Studie: Schüler in Mittelschule haben Probleme. (...) Demnach verbesserte etwa nur die Hälfte der Schüler in 10. Klassen innerhalb eines Jahres ihre Leistungen. Das Wissensniveau der anderen Schüler stagnierte oder fiel gar zurück. Ein Sprecher des Bildungsministeriums nannte die Ergebnisse 'Besorgnis erregend'. (...) Bei der Ergänzungsstudie Pisa-I-Plus wurden 2004 insgesamt 6000 Schüler aus zehnten Klassen getestet, die bereits ein Jahr zuvor an der Pisa-Hauptstudie teilgenommen hatten. Nur 60 Prozent von ihnen verbesserte sich in Mathe innerhalb eines Jahres."
Schauen wir noch auf den ergänzenden Artikel auf Seite 10, so finden wir unter anderem folgende Aussagen:
"Erschreckend viele Schüler lernen in der 10. Klasse in Mathematik und Naturwissenschaft nichts hinzu - verantwortlich sind schlechter Unterricht und die Fachlehrer. Als Konsequenz müsse die Lehrerbildung sowie die Unterrichtsqualität dringend verbessert werden, sagten Vertreter der Kultusministerkonferenz (...). Danach lernen etwa 40 Prozent der Schüler in der 10. Klasse im Mathe-Unterricht nichts hinzu, in den Naturkundefächern machen mehr als die Hälfte der Jugendlichen keine Fortschritte. (...) Die beiden Amtschefs aus den Kultusministerien von Schleswig-Holstein und Bayern äußerten sich enttäuscht und ratlos darüber, dass trotz jahrelanger Reformbemühungen in Mathematik nach der Timss-Studie 1997 rund 80 Prozent der Lehrer die Debatten unbekannt seien. 'Das ist nicht sehr schmeichelhaft für den Berufsstand', sagte Meyer-Hesemann. (...) Der Studie zufolge konnten zwar rund 60 Prozent der Schüler in Mathematik ihre Leistungen deutlich verbessern. Dies betrifft sowohl die vom Lehrplan geforderten Kompetenzen als auch die mathematische Grundbildung. Zugleich brachte der Mathe-Unterricht 11 Prozent der getesteten gazen Klassen aber praktisch nichts. In Biologie, Chemie und Physik konnten nur 44 Prozent der Schüler ihre Kompetenzen steigern. Bei fast einem Fünftel (19 Prozent) fallen die Ergebnisse sogar deutlich schlechter aus als ein Jahr zuvor. Insgesamt haben sowohl gute als auch schlechtere Schüler ihre Leistungen verbessern können; in beiden Gruppen gab es aber auch Absacker. Hauptschüler sowie Sitzenbleiber und damit leistungsschwächere Schüler wurden nicht in die Studie einbezogen."
Ich habe an die Zeitung einen Leserbrief geschrieben, zwar nicht in der Hoffnung, daß er veröffentlicht werde (und sie werden ohnehin stets gravierend gekürzt, auch schaue ich nicht einmal nach, ob dies geschieht, denn dann müßte ich die Zeitung ja kaufen oder Personen aufsuchen, die sie besitzen), jedoch um die redaktionelle Sichtweise etwas ergänzen zu helfen, damit die Berichterstattung etwas fairer auch die Lehrer, die immer noch sehr gerne angegriffen und für Fehler sowie Fehlentwicklungen in der Bildungspolitik verantwortlich gemacht werden, behandelt. Damit spreche ich nicht die Lehrer frei von Verantwortung aber eine sachliche Zuordnung von Ursachen sollte schon noch stattfinden. Auch läßt die Qualität der Studie im Kontext mit ihrer erbärmlichen Interpretation schon mehr als zu wünschen übrig ...
Ehe ich meinen Leserbrief hier in vollem Umfang zur Kenntnis bringe, eine kleine Anmerkung zum Schlußsatz der Berichterstattung: Was sind denn "leistungsschwächere Schüler"? "Sitzenbleiber und damit leistungsschwächere Schüler wurden nicht in die Studie einbezogen." Zur Erinnerung: Wenn eine Leistung gefordert ist, und in einer Leistungsgesellschaft sollte diese Leistung einen gewissen Qualitätsstandard nie unterschreiten, dann dürften all diejenigen zu den "leistungsschwächeren Schüler" zählen, die diese geforderte Leistung nicht erbringen oder erbringen können oder sie auch nicht erbringen wollen. Man muß nicht erst "Sitzenbleiber" sein, um nach den jeweils gültigen Maßstäben als leistungsschwach eingestuft werden zu können.
Hier der nur um persönliche Ansprechdaten gekürzte Leserbrief:
AZ Nr.266 vom 18./19. November 2006
Pisa Studie Mathematik
“In Mathe nichts dazugelernt” (S.1) und
“Mathe-Unterricht schuld an Pisa-Ergebnis” (S.10)
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu o.g. Inhalten nehme ich wie folgt Stellung:
Die Bundesregierung spricht von “Besorgnis erregend”, die Studie von einem “dramatischen Ergebnis” mit Handlungsbedarf und 80% der Lehrer wird unterstellt, daß ihnen “trotz jahrelanger Erfolgsbemühungen in Mathematik nach der Timss-Studie 1997 die Debatten unbekannt seien”. Diese Feststellungen scheinen mir in ihrem jammerhaften Tenor schon mehr als pharisäerhaft.
Besorgniserregende Zustände an den Schulen verantworten in erster Linie diejenigen, die Mittel kürzen und zeitgemäße Strukturen für effektives pädagogisches und methodisch-didaktisches Arbeiten verhindern, also in erster Linie die Politik und die ihr nachgeordneten Verwaltungsebenen. Wer diese Studie erst braucht, um die Misere im Schulwesen zu erkennen, der hat sich hautnah mit “Schule” sicherlich nicht richtig auseinandergesetzt. Überrascht sollte nach all den Jahren möglicher Erkenntnisgewinnung (zumindest für um Erkenntnis Bemühte) niemand sein! Daß Lehrer sich von den Debatten abwenden, ist gut verständlich, da jene bislang ihnen nur Zeit gestohlen haben und kaum für die schulische Alltagspraxis hilfreich waren. Aber man kann getrost davon ausgehen, daß den an den Schulen tätigen Lehrkräften die Debatten sehr wohl bekannt sind.
Die Erklärung für die angeblich so mangelhaften Ergebnisse wurde auch gleich wieder einmal wie üblich mitgeliefert: “Erschreckend viele Schüler lernen in der 10. Klasse in Mathematik und Naturwissenschaften nichts hinzu - verantwortlich sind schlechter Unterricht und die Fachlehrer.”
Die Ergebnisse zeigen, daß “rund 60 Prozent der Schüler in Mathematik ihre Leistung deutlich verbessern.” Bei 11% stellte man fest, daß sie “praktisch nichts” dazugelernt hätten, ja man hat sogar “Absacker”, also Schüler, die sich gegenüber dem Vorjahr verschlechtert haben, ausgemacht. Es bleiben also mindestens 29%, wo der Unterricht nicht so ganz ergebnislos vorüber ging.
Fazit: Bei 60% war der Unterricht sehr erfolgreich. Gehen wir einmal davon aus, daß die Lehrkräfte, denen man derartige Inkompetenz unterstellt hat, auch in anderen Jahrgangsstufen unterrichten, und zwar erfolgreich, dann könnte es einfach auch so sein, daß gewisse Schüler in der 10. Jahrgangsstufe schlicht geistig überfordert, durch übergroße Freizeitorientierung abgelenkt und mit wenig Bedürfnisaufschub sowie geringer Frustrationstoleranz ausgestattet sind. Auch sind nicht alle Kinder so gescheit und begabt wie ihre Eltern sie naturbedingt gerne sehen. Für manche Eltern wäre es vielleicht auch angebracht, sich einmal etwas mehr um die Lernmotivation und die häusliche Lernarbeit ihrer Kinder zu kümmern; vielleicht würde das dann zu besseren Ergebnissen verhelfen... Aber es ist halt leichter, wieder einmal auf Lehrkräften herumzuhacken, um dann bei einer weiteren Studie erneut dann Krokodilstränen zu vergießen. Ich plädiere freilich hier nicht dafür, vor den Problemen lernschwacher und (temporär) lernunwilliger Schüler die Augen zu verschließen. Aber die hier nötige lernpsychologische Betreuung oder auch “nur” eine entsprechende Individualisierung der Unterrichtsprozesse erfordert als conditio sine qua non eben jene anderen Strukturen, die unserer Gesellschaft aus Kostengründen nicht bereitstellen will. Ich darf in diesem Zusammenhang abschließend den emeritierten Präsidenten der Harvard University zitieren: “If you think education is expensive, try ignorance!” (Wenn euch Bildung zu teuer vorkomt, versucht es halt mit Dummheit.)
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Buchenau, M.A.
In einer Regionalausgabe der Augsburger Allgemeinen Zeitung erschien ein Artikel zur Klassenversorgung, der sich besonders auf die Hauptschulen im Unterallgäu bezog. Zu diesem nahm ich ebenfalls Stellung, weil mir der Inhalt jenes Artikels nun doch allzu einseitig und auch unausgegoren erschien:
Leserbrief zu: “Lehrermangel? Nicht, wenn alle da sind.”
MZ Nr. 245 vom 24. Oktober 2006, S.24
Sehr geehrte Damen und Herren,
Für wen sind wohl diese genannten Durchschnittszahlen (“durchschnittlich 22 Kinder”, so Herr Schwamborn) brauchbar? Allenfalls für jene, die von Statistik nichts zu verstehen scheinen und aus ihre keine brauchbaren Schlüsse ziehen können oder wollen. Jedenfalls ist damit all den Lehrkräften und Schülern nicht geholfen, die sich mit weit größeren Klassenstärken abfinden müssen. Schüler und Lehrer sind eben keine Durchschnittsgrößen sondern sollten ausschließlich über eine individuelle Bezugsnormorientierung gewürdigt werden. Auch die Feststellung, wonach kein Lehrermangel herrscht, “wenn alle da sind” geht so weit an der Wirklichkeit vorbei und erinnert an Selbstverständlichkeiten wie “Wenn es nicht regnet, ist es draußen nicht naß.” Es scheint auf allen Ebenen der Zeitgeist vorzuherrschen, überhaupt etwas sagen zu müssen ohne sich über die Qualität der Aussagen große Gedanken zu machen. Nochmals: So wird das Arbeiten zum Wohle der Jugendlichen wirklich nicht unterstützt.
Mit freundlichen Grüßen
Joachim Buchenau, M.A.
Vielleicht könnte manchmal ein solcher Weckruf helfen ...
groddenohlm kommentiert beliebte Zitate:
"Früh aufstehen und früh ins Bett gehen macht Männer
gesund, mächtig und tot."
(James Thurber)
Das kommt heraus, wenn man einfach so vor sich hin schwätzt. Was wohl
über das Schlafverhalten derjenigen, die sich beim Reflektieren schwer tun
und über nichtssagende Plattitüden nicht hinaus kommen? Si tacuisses ...
"Gesund ist das, was verhindert, daß man an jeder
schweren Krankheit stirbt."
(Georges Perros)
O Gott! Was für eine Weisheit. Danach wären alle Menschen stets
etwas krank. Geht das so überhaupt? Wenn der gute Mann richtig
liegt, dann bekommt der Begriff 'Gesundheit' halt einen neuen
Inhalt.
""Wohlbehagen ermattet den Geist, Schwierigkeiten
erziehen und kräftigen ihn."
(Francesco Petrarca)
Das klingt schon anders und es lohnt sich, darüber nachzudenken. War halt
ein gescheiter (und feinsinniger) Mann, dieser Petrarca.
"Der Kultivierte bedauert nie einen Genuß.
Der Unkultivierte weiß überhaupt nicht,
was ein Genuß ist."
(Oscar Wilde)
Genau so ist es! Die Unkultivierten sind jedoch nicht zu bedauern, denn sie
merken ja nicht, was ihnen entgeht und bemühen sich um ihre, aus der Sicht
der Kultivierten, reduzierten Genüsse. Vielleicht lachen sie auch nur über die
Kultivierten mit ihren Verrrenkungen. Dennoch bin ich lieber kultiviert.
" 'Künstlerisches Experiment' ist eine Jargonformel für den
Ausdruck bedeutender Unfähigkeit."
(Helmut Arntzen)
Wie wahr! Und das gilt für so manche 'Experimente' gleichermaßen ...
"Mir sind die liebevollen Fehler angenehmer
als die unausstehlichen Tugenden."
(Winston Churchill)
Das kann man doch in sehr vielen Fällen getrost unterstreichen!
"Es mag Zeiten geben, da wir gegen Ungerechtigkeiten machtlos sind,
aber wir dürfen nie versäumen, dagegen zu protestieren."
(Elie Wiesel)
Selbst dies scheinen allzu viele vergessen zu haben ...
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