Gedichte 2003 bis 2007
Wiedersehen
Nebel steigen auf in Schwaden
Sonnen bleiben fest verborgen
An den Knochen kleben Maden
Längst verstorben alle Sorgen
Ruinen nur zurückgelassen
Ähnlich dem einst Altgesicht
Nichts geblieben zu erfassen
Buchstaben kleben zu Gedicht
Der tolle Held aus Texaslande
Sendet Tod aus Christenmund
Verbreitet über Welt nur Schande
Und gleicht dem grausam Höllenhund
Sollt wirklich die Geschichte stimmen
Vom zukünftigen Auferstehen
Der Texasheld den Thron erklimmen
Wie mag es ihm dann wohl ergehen
Temporäre Begleitung
Beharrlich anstinken aus Bildschirmflimmern
Fratzen verzerrt zu Harmlosigkeitsmasken
Mit Händen fuchteln und Schuhsohlen scharren
Beständig unverdiente Sympathien erwimmern
Gekettet in zwanghaften Wiederholungsorgien
Gebettet inmitten lauter Gleichgesinnter
Ganovenakrobatik auf glatten Parketten
Das Geschnatter verkaufen als Goldhistorien
Beschimpfung
Holzkopf
Hohlkopf
Dollkopf
Sollkopf
Mollkopf
Tollkopf
Rollkopf
Vollkopf
Dollkopf
Hohlkopf
Holzkopf
Idylle
Den Frühling in vollen Zügen genießen
Zuschauen wie die Halme sprießen
Das Summen der Bienen
Das Flattern der Falter
Hüpfen fern von jeglichem Alter
Sonnenleichtigkeit zu mimen
Ein Fühlen man wäre wie neu geboren
Von aller Sanftheit als Ziel auserkoren
Taumelnd vor Freude durch Wiesen ganz leise
Ein weiterer sorglos Schritt - der Fuß in der Scheiße
Müdigkeit der Sinne
Die Zeilen gelesen - schlicht weitergeblättert
lustlos und gleichgültig
Die Wörter vernommen - Ohren abgewendet
bewußt taub und dumpf
Die Fratzen gesehen - Brechreize unterdrückt
anstrengend aber erfolgreich
Die Medienapparate ausgeschaltet
verbannend wie verachtend
Neue Nahrung für die Sinne gesucht
hoffend und aufbrechend
Vergangenheitserweckungsversuche
Getanzt, in alte, bunte Gewänder gepresst.
Vergangenheiten zurück vergewaltigt.
Die Volksseele rast, kocht und schäumt über:
Freuden über alle Oberflächlichkeiten garniert.
Der subalterne Finanzbeamte als Ritterheld,
Die Salatmamsel in draller Fräuleinskluft,
Pedelle und andere Alltagsträger als Festzugsmosaike,
Der Lehrkörper, ansonsten in öder Selbstherrlichkeit
Ausschließlich vorauseilendem Gehorsam verpflichtet,
Allen voran als mittelalterlicher Possenverkünder.
Volksvertreter endlich einmal wieder in Kindheitspose:
Selbstredend nur herausstechende Positionen erwählt.
Mantel aus Trugschlüssen über persönliche Banalität,
Wohl gewebt und ebenso gewogen, nicht erkennend:
Viel zu leicht befunden, doch Bierseligkeit verbirgt’s.
Blechernes Musikgerappel, dämliche Tanzorgasmen,
Theatergedonnere auf gezimmerten Bühnen der Eitelkeit.
Abseitsstehen als Tugend entdecken. Weg davon!
Purpurdenken ausweichen. Narzißmus schlicht nicht zur
Kenntnis nehmen. Laß sie tanzen, spielen, saufen:
Wertvollere Räume bleiben so von ihnen unbehelligt,
Zum reinen Nutzen der Abseitsstehenden, der aus gutem
Grunde Entsagenden. Schönes, das man nicht braucht.
Schade, dass jene Festtage immer so schnell enden müssen ...
Ausblick
Durch die Fenster hinüber in dürres Astgewirr
Die Scheiben trübe wie seit Jahren
Diesseits des Horizonts schmaler Asphalt
Bürgerliche Einengung als Sicherheitsbalance
Dahinter nicht einmal mehr Weiten
Keine Kraft gegen die Wirrnisse
Niemand da trübe Scheiben zu waschen
Wo denn die Aufruhr gegen Betonfesseln
Aufmerksamkeitszwang verbaler Unsäglichkeiten
Und schon gar nicht irgendeine Nähe
Pupillen dringen aus Leere ins Nichts
Dampfplaudereien als Geräuschkulisse
Lauter schwellende Lockrufe aus Wolken
Sklavische Wiederholungszwänge töten
Aussteigend aufsteigen hinein ins Etwas
Füße
Füße setzen
Füße setzen können
Füße setzen können in erwünschte Mosaikbilder
Füße nicht setzen
Füße nicht setzen können
Füße nicht setzen können in fremd Bleibendes
Füße setzen
Füße setzen gegen falsche Richtung
Füße zum Zuschlagen modriger Türen setzen
Füße gesetzt als Ausdruck des Entsetzens
Füße behende genutzt zum richtigen Handeln
Füße richtig setzen können
Füße so setzen daß
Füße bestimmte Örtlichkeiten meiden
Füße als sichtbarer Ausdruck von Beweglichkeit
Füße als Spiegelbild geistigen Handelns
Füße als persönliches Handlungsmodul
Füße so setzen können wie sie sollen
F. A. Z.
Gezwungen zu hören das Gequatsche,
Dampfgeplaudere und Reden um den Brei.
Anwesenheitszwang! Man ist dabei.
Hirne zermahlen zu einem Gematsche.
Die Luft riecht so eklig und durchdringend fett:
Ich möchte heim ins Bett, um zu lesen die F A Z.
Vom Katheder da dröhnt es oft viel zu dumpf,
Das Hirn wird beständig vernebelt, geknebelt,
Dein Denken richtig und gründlich ausgehebelt,
Du wähnst dich wie so oft in gewöhnlichstem Sumpf.
In dieser Umgebung ist auch schon gar nichts komplett:
Nichts wie heim, hinein in die Kissen, lese die F A Z.
Das Politgedröhne fährt einem eklig tief ins Gemüt.
Dieses dämlich Gelabere stiehlt nur noch die Zeit.
Ein Tor wer vermessen sich opfert gar deren Leid.
Nur ein wenig mit denen und schon ist dein Leben verblüht.
In ihre Fressen könnt ich werfen ein großes, dickes Brikett;
Doch gehorche dem Recht, geh heim, und lese die F A Z.
Sie sitzt schon seit Stunden und redet nur immerfort:
Was sie alles weiß, das geht mir so echt auf den Geist.
Obgleich ich bei ihr sitz, fühl’ ich mich völlig verwaist.
Warum denn noch reden, ich glaub ihr nicht einmal ein Wort.
Trotz all ihrer Schönheit zieht’s mich zu ihr nicht ins Bett:
Viel lieber nach Hause, gute Unterhaltung, allein mit der F A Z.
Geselligkeitsspiele
Kleines Stelldichein in sozialer Gemeinsamkeit
Ausdünstungen gemeinsam in genehme Bahnen
Wer unterscheidet hier schon Kopf noch Hintern
Plätschernde Wasser übertönen dumpfes Würgen
Sonnengewärmte Steinfließen als Aufmunterung
Privatheiten in gewählte Öffentlichkeit krampflos gestellt
Geräusche ganz frei aus allen Öffnungen entwunden
Mund und Hintern in leisem Verdacht der Einklänge
Antike Stammtische als Vorboten und Vorzeichen
Sozusagen als eine Form menschlicher Seinsweisen
Wiederholungsphänomene in neuzeitlicher Umgebung
Gemäße Keuschheit in welchen Stuben auch immer
An Kachelöfen in Amtsstuben in Wirtshäusern eben
Allenthalben ausgesucht selbstgewählt erhellend ...
Irgendwo
Den Alltag den Winden anvertraut:
Ungefragt, unüberlegt, unbetrübt.
Seelen baumeln lassen.
Blicke aus Fremdheiten.
Ungewohnte Abwesenheit.
Lust am Ungewohnten.
Gleichwohl die Fesseln,
Gedanken an Routine.
Rückkehr ins Alltägliche,
Geordnete Morgen,
Geregelt Mittage,
Tage versinken beim Abendmahl.
Nächte aus Träumen:
Filmerlebnisse, Breitwandwelten.
Winde wehen ums Haus,
Unüberhörbar, singend, spielend.
Halten Mauerwerk fest zusammen.
Nur fast vergessen
Steinchen mit Zehen fassen
Sandkörner gleiten lassen
Perlendes Naß auf warmer Haut
Blicke in die Ferne schweifen
Dann wieder zurückholen
Die Nähe einsaugen
Stimmen als Hintergrundmusik
Gedanken tanzen
Wünsche vibrieren
Mit dir in die Fluten tauchen
Rötlicher Strand
Jenseits des Berges
Heller wieder diesseits
Von einer Trunkenheit
In die nächste fliegen
Höhlenszenario
Offene Räume voller nackter Leiber
Liebesspiele ohne Grenzen
Bilderinnerungen
Touristenströme klettern wo
Dereinst Flucht und Freiheit
Vereint in Suche nach Lösungen
Nimm meine Hände
Laß uns ziehen
Matala aufsuchen
(Harding, Dezember 2006)
O Sonnenglut, gleißender Weckruf am Ruhepol des Tages,
Kurzes Empfinden aus tiefstem Hineintauchen.
Erwartungen, Hoffnungen, Wanderschaft der Gedanken:
Dort drüben, hoch in den Bergen ein Stück Unerreichbarkeit -
Noch, für eine geraume Zeit; gleichwohl überschaubar.
Gleichwohl schon jetzt: zum Greifen nahe: schöne Welt.
Tanzende Seelen auf den Kämmen abgemilderter Berge,
Lockrufe, die Entfernungen einfach schwinden lassen.
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Laßt sie rasen, hetzen und donnern,
Schnell wie Pfeile zieht es vorbei.
Es bleibt ein stilles Sehen in Wonnen:
So vieles dann nichts als einerlei.
Sonnen drängen zum Verweilen,
Schweiß vom lauen Wind gekühlt.
Wer wollte hier denn schon enteilen,
Wo man den Augenblick gefühlt!
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Auch hier Zeit nicht stillstehen will.
Kein Versuch, sie zu halten!
Das Umfeld einfach menschenstill,
Schritt für Schritt gestalten ...
Auf und Ab in Stein gegraben;
Zeugnis von Äonen.
Gemälde aus Natur, wie erhaben,
Wege, die sich lohnen.
Von oben droht grüßend der Donnergott,
Schickt dunkle Wolken scheinbar nach:
Es liegt, so scheint's, das Ziel nun brach,
Doch er treibt nur ein klein wenig Spott ...
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Gedichte vom 19. Juni 2006
Vergangene Töne
Vergangene Töne
Karten aus Erinnerung
Rituale mit Neugier verbunden
Selbstsucht im Wünschen
Karten aus Erklärungen
Beschworene Verbindung
Töne schwellen lauter
In trautem Einklang mit
Steigernder Nichtigkeit
Papierberge aus entledigter
Übermittlung von Gestrigkeiten
Rettungsversuch vor dem Vergessen
Pferdehufe über frostigen Schollen
Peitschenknall und Sporentritte
Feuerhauch aus den Nüstern
Die Streitaxt fest umgriffen
Wütende Blicke ins Überall
Gleichwohl lächelnde Maske
Das Rollen der Räder als Melodie
Versteckter Ohnmachtsfechtereien
Vergangene Töne
Aber doch Chorgesang
Anhänglichkeit als Tradition
Der Vasallen Zahl ist endlos
Wasserträger in allen Lagen
Aufrecht gebeugt rittlings
Sogar auf dem Rücken liegend
Die Melodien längst tot
Dorren auf dem Gottesacker
Wohl wissend um das Nichts
Vergangene Töne
Letzte Aufbegehr gegen Leere
Das Jetzt als übersehene Größe
Kadenzen aus zu späten Tönen
Vom Leben mit Häßlichkeit
Und einem Arschwind bestraft
(Hardin, 26.12.2006)
Telefonanruf
Aufgeschreckt, klingeln, dauerhaft.
Die geübte Praxis:
Sitzenbleiben und warten.
Klingeln, immer noch, noch zweimal.
Dann:
Deine Stimme am Anrufbeantworter.
Aufgesprungen, abgehoben.
Es geht dir wieder besser,
Fast schon richtig gut.
Deine Stimme fröhlich und locker.
Vielleicht bald schon: neue Arbeit.
Du, den Widrigkeiten entflohen,
Der Dummheit die Stirne geboten,
Gemeinheiten beiseite geschoben.
Wieder auf das eigene Leben besonnen.
Du möchtest tanzen, laufen, singen.
Leute treffen, Dank mitteilen.
Den Kopf schlicht aufrecht tragen.
Entstandene Narben als Läuterung.
Kopfschmerzen längst in die Nacht vertrieben.
Diese Melodie in deinem Atmen,
Leichtes Klirren von Distanzen.
Entfernte Entfernungen.
Ich stelle mir vor:
Deine Augen, diesmal ohne Tränen.
Dein Lachen, wieder rein und hell.
Deine Gedanken, wieder dein allein.
Irgendwann den Hörer auflegen.
Sich freuen, daß es jemand geschafft hat,
Den Tag als Regenbogen zu erhalten.
Es ist hell geworden.
Irgendwann wird es wieder läuten.
Wieder dieses Aufspringen,
Abheben als Ziel.
(Hardin, 21.12.2006)
Let things get clean
See your body wound in shackles
Black dirt covers once so white
Thinking back of all those tackles
Long for embracement utmost tight
Let these chains soon be forgotten
Released to any foreign beach
Lie down in sands and be so sodden
Unbidden days far out of reach.
Skin to skin and no limitation
Ready for unbiassed deeds
Making love as celebration
And fulfilling all these needs
(Hardin, 30.12.2006)
Die kleine Unabhängigkeit
In dem Wolkenflug versunken
Auf Felsen in die Ferne sehen
Von den Sonnenstrahlen trunken
Bedächtig kleine Schritte gehen
In die warmen Fluten tauchen
Barfuß durch die Dünen wandern
In die Luft Sehnsüchte hauchen
Finger auf der Haut mäandern
Auf keine Regeln mehr versessen
Alte Rhythmen längst vergessen
Sich nicht in Albernheiten messen
Von keiner Dummheit angefressen
Ja so läßt es sich ertragen
Nicht mehr das Nichts zu hinterfragen
Nicht mehr die Null zu diskutieren
Auf den Augen keine Schlieren
Andere mögen Kraft vertrödeln
Laut mit ihresgleichen blödeln
Laßt sie eifrig räsonieren
Sich in ihrer Selbstsucht frieren
Gib mir den Arm um einzuhaken
Uns auf Wiesen auszubreiten
Behutsam durch die Wälder staken
Fröhlich unsere Sinne weiten
In deinen Augen dieses Glänzen
Um deinen Mund dies frohe Spiel
Wir stecken selbst nun uns’re Grenzen
Und finden jetzt ein eig’nes Ziel
(Hardin, 6.12.2006)
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Blaue Augen blauer See
Den See in deinen Augen sehen
in Seelen sich weit auszubreiten
Wünsche endlos heimwärts leiten
Über uns die Flügel wehen
Ist auch so mancher Tag gegangen
Verloren in weiter Endlichkeit
Verspielt vor zu viel Gelassenheit
Bin ich doch stets bei dir gehangen
So laß uns stets zum See hingehen
Den Ballast weit fort zu weisen
Im Augenblau dorthin zu reisen
Wo wir stets zueinander stehen
(Hardin, 24.12.2006)
Abendgedanken
Im Hauch deines Atems umhüllt sich mir die Welt
Deine Schritte sind ewiger Tanz mir
Dein Lachen blendet Sonnenstrahlen in Unbedeutsamkeit
Die Berührung deiner Hände lassen mich träumen
Königliches und erhabenes Empfinden in Trautheit
Was sollen da schon Sandkörner im Alltagsgetriebe ...
(Hardin, 26.12.2006)
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Beherzigung
Hinter dir mit seinen Klauen
Drohen Masken allzu feist.
Niemals jenen Fratzen trauen:
Staatlich handeln oft zu dreist!
Sei verletzlich bleibe wachsam,
Höre nicht den Lügen zu.
Lausche nicht dem Melodram:
Sie hintergehen dich im Nu.
Einfach die Fressen wegzuschalten!
Dreistigkeit nich länger auszuhalten!
Sag zu den Ärschen einfach Nein!
Und laß dich auf dein Leben ein!
(Hardin, 27.12.2006)
Nachwuchslamento
(Dank an Prof. Dr. Thomas Ziehe für sein Konstrukt 'narzißtisch gestörter Sozialisationstypus')
Einst hab ich ganz klein angefangen
Mich am Schnuller festgehangen
Nach kurzer Zeit schon schnell begriffen
Lös dich sehr bald von diesem Kiffen
Bin von des Mutters Schoß gesprungen
Hab das stolze Lied vom Papa gesungen
Es gilt ganz einfach viel zu werden
Zu suchen dieses Glück auf Erden
Und irgendwann hatt ich’s geschafft
Doch ward dann vom Sturm hinweggerafft
Und an Moral kann da nur noch bleiben
Laß dich früh ans richtige Ufer treiben
Und wenn es so hat nicht sollen sein
Dann war böse Welt halt sehr gemein
Zyklus “Lasset Fahnen schwenken, Lieder brüllen”
Brüllen, Freundschaft zu halten:
Gastgeber aller Gastgeber zu sein.
Zu Gast bei Freunden:
Die Selbstbestimmung eigenen Seins.
Herbeireden und Beschwören
Als Spielformen von Wirklichkeit.
Fahnengeschwenke, Stoffeuphorie.
Eine Welt in SchwarzRotGold.
Hymne mit Strophendefizit –
So an Wehmut leidende Genossen:
Furcht vor Zukurzkommen
Im Singen und Tanzen und allem;
Forderung nach Verlängerungen,
Mehr Strophen, um mehr zu singen.
Mehr Begeisterung, um mehr zu hoffen.
Rufe nach Ewigkeitsgeltungen.
Das Goldene Kalb in neuer Form:
Selbst tönend,
Selbst kreisend,
Selbst tanzend!
Ereignisinszenierungen:
Tumbe Bewegungen als Erfolg,
Flüchtige Umarmungen als Freude,
Autokorso und Hupenlärm als
Zeichen gemeinsamen Erlebens
Und Zusammenstehens ...
Freischwimmerversuche:
Weg mit Zurückhaltung.
Fort mit Schuldkomplex.
Abschied vom Gestern.
Wieder Wer sein,
Bekenntnis zur Nation.
Sichtbare Zeichen
Als Aufbruch aus inneren
Ketten und Zwanghaftigkeiten.
Freifliegen. Losgelöst.
Identität neu geschaffen
Klinsmannbegeisterungen
Als Hinweis auf Möglichkeiten.
Vorbild zur Überwindung
Aller Not, allen Übels, aller Apathien.
Heldenerschaffung:
künstlich,
oberflächlich,
täuschend,
Alltäglichkeit vergessen:
Steigende Kosten im Leben
Sinkende Chancen im Tun
Ermüdende Volksvertreter
Einschränkungen, Einengungen,
Zerfall demokratischer Struktur.
Suche nach Alltagshelden!
Nach Lichtgestalten!
Sehnsucht nach Dauer
In evolutionärer Echtheit!
Suche nach Vorbildern!
Nicht jenes Mediengeprotze
Als Zeichen öden Seins.
Da stehen sie wieder:
Beschwören die Vergangenheit.
Aus ihren Mündern
Triefende Euphemismen.
Reden von Leistung und
Erfolg und Aufbäumen,
Von den gesehenen Möglichkeiten.
Verlangen beständig Orientierung
Am sommerlichen Vorbild.
Deutschland als Sommermärchen!
Sie stehen da, jene Optimisten:
Hängende Mundwinkel,
Eingefallene Schultern,
Eingetrübte Blicke.
Doch Worte triefen als
Beschwörungsformeln,
Als gelte es herbeizureden
Was längst gestorben ist.
Zumindest so nicht:
Wiederauferstehung!
Eklige Anbiederungen.
Dreiste Postenabsicherung.
Bewahren von Pfründen.
Täuschung und Selbsttäuschung.
Jahrmarkt der Unerträglichkeit.
Tanzfest aus Verlogenheit.
Fahnenschwenken als dürres Windgeräusch.
SchwarzRotGoldmelodien als Sirenengesänge.
Totschlagen wesentlicher Lebenszeit,
Leugnen verdrängter Notwendigkeiten.
Seht sie da stehen, Hand in Hand:
(Frühjahrsmüdigkeit als Beginn.)
Hört sie dort reden, leere Phrasen:
(Sommermelancholie als Aufgabe.)
Erlebt sie im Feiern und Beschwören:
(Herbstdepression als Buntkleid.)
Schaut sie vereint im Singen endloser
Beschwörungsformeln und Lügen:
(Wintertristesse als hüllender Mantel.)
Leise Töne beständig einfordern:
Melodiös, echt und aufrichtig.
Wieder wahre Melodien leben:
Kadenzen spüren,
Sich nicht an Nebensächlichkeiten
Verkaufen.
(2007)
Vorwärts?
Auf gepackten Koffern sitzen –
Schon seit Jahren.
Endlich irgendwann voran,
Weg, alte Hüllen abwerfen.
Wohin?
Immer noch Klärungsbedarf.
Warum?
Gründe sind und sind auch nicht.
Wie weit?
Entfernungen als Fingerzeig?
Sie halten fest – hier, sanfte
Ketten des Doch-Bleibens.
Alles ist immer auch:
Aushaltbar,
Gewohnt,
Im Reinen.
Zumindest irgendwie.
Aber: Jahre vergehen,
Kein Stillstand der Zeit.
Vorbildswirkung?
Den Fluß hinunter schwimmen,
Die Berggipfel erklimmen,
Ferne Länder heimsuchen,
Die eigenen Wünsche jagen.
Nackte Haut kühlen,
Herzen pochen lassen,
Windmelodien summen,
Unwiederholbarkeiten!
Gepackte Koffer
Auspacken,
Einpacken.
Wieder auspacken.
Wieder einpacken.
Briefe schreiben,
Als Flaschenpost verschicken:
Hinein ins offene Meer.
Zum Hörer greifen.
Alte Wege schreiten.
Zuhause die Koffer:
Als Zeichen der Zeit.
Das Ticken der Wanduhr,
Stetig und unaufhörlich.
War da noch etwas?
(2007)
Rahel
Gläser am Tisch nebenan, doch: meilenweit.
Trinken in ruhiger, langsamer Bedächtigkeit.
Gedämpftes Reden im nahen Raum.
Vorsichtig suchende Blicke.
Unverkennbar im Augenblick:
Weibliche traute Gemeinsamkeit,
Gegenüber sitzt die nackte Zukunft aus
Verfilmung eigener Lebensgeschicke,
Verarbeitung freudloser Vergangenheit,
Leben in neuer Berliner Geschichte.
Bei Vereinnahmung und Unterordnung
Immer wieder: Fluchtgedanken.
Der Morgen unter südlichem Sonnenschein,
Kleiner gedeckter Frühstückstisch,
Leuchtend einladende Augen
Freundlich grüßend und auffordernd.
Vorbeigegangen, vorbeigelockt.
Unfähigkeit, stehen zu bleiben.
Zielabhängigkeit, Verpflichtung fühlen.
Scheue Blicke immer wieder zurück:
Schüchternheit als Handlungsmaxime.
Hilflos, gegen innere Gefühle handelnd.
Stille Signale, unausgesprochene Worte.
Und dann: Dieses Pochen unter der Haut!
Gestriger Erwartungen, Verabredung und
Abmachungen vollkommen entsprochen:
Hingesetzt ganze vier Tische entfernt.
Dort Gespräche unter allen Vorzeichen
Gründlicher und versteckter Ablenkung.
Stühle rücken, Blicke wenden, suchen.
Dein jähes Aufspringen, verfolgt von
Blicken deiner langhaarigen Partnerin.
Die energischen Schritte entlang des
Pools, Körperhaltung wie aus Flucht
Und ehrlichem Aufmerksamkeitsbedürfnis.
Bäuchlings auf die Liege geworfen.
Gelegen, dort, unruhig, eine Zeitlang.
Plötzlich aufgesprungen, schnelles
Gehen, kurzer Blick, dann abgewendet.
Hinter dem Gebäude verschwunden,
Kein Blick mehr zurück. Gefühl von
Entleerung gegenwärtiger Welt.
Am nächsten Morgen: Du, diesmal am
Tisch gleich nebenan. Diese Augen,
Deine kurzgeschnittene Jacke über engen Jeans.
Schnelles Reden als gelte es die Zeit aufzuholen.
Versuche der Wiedergutmachung, des Zurückholens:
Was nie gewonnen, was nicht gelungen.
Erinnern an die rasche Flüchtigkeit des
Augenblickes, an endlose Versäumnisse.
Wortwechsel als Rettungsanker, Versuche.
Rede vom Studium, vom Filmemachen, von
Berlin und vor allem von Babelsberg.
Wenigstens zweimal im Abspann erschienen:
Schnitt. Editor trainee. Aus Allem Ganzes schaffen.
Zeit des Abschieds, drängendes
Hupen von der schmalen Straße.
Bleiben wollen, gehen müssen.
Dieses Vorüber im Rhythmus von Vergänglichkeit.
Fern jenem faustischen Verlassenheitstrauma,
Den Augenblick nicht festhalten zu wollen.
Verweile doch, du bist so schön!
Es gibt sie doch – diese Hoffnungen und Wünsche.
Aber: Rethymnon bleibt zurück, Kreta ohne
Wiederholungen, ohne erfolgreicher späteren
Suche nach Wiederbelebung, oder wenigstens: Kontakt.
Leben als frohstimmende Augenblicksausschnitte, und:
Rahel tief für immer eingegraben und erinnert.
(Für Rahel ohne Stefanie)
Krankenschwester
Dieser Geruch an Desinfektion!
Umgebung aus Unwägbarkeit.
Hort der Ökonomie
Und des Lebens
Gleichermaßen.
Gordischer Knoten –
Unbeweglichkeit.
Wohin sich orientieren?
Festhalten oder loslassen?
Immer wieder:
Diese Gerüche!
Und:
Diese Gerüchte!
Lautes und stilles Schreien:
Andere,
Untereinander,
Miteinander,
Gegeneinander.
Stumme Blicke vor:
Hoffnung?
Verzweiflung?
Ohnmacht?
Auferstehung?
Immer wieder:
Diese Schmerzen.
Leiden am Alltag!
Und:
Freuen am Alltag.
Verzweifeln und
Hochziehen
Gleichermaßen.
Gefühl eines drohenden
Auseinandergerissenwerdens.
Mit dem Chefarzt ficken.
Geheimnisse teilen.
Gleichwohl: Lauffeuer –
Verbreitung ins Überall.
Zunehmendes Alter,
Abnehmende Bindungen.
Deshalb: den Chefarzt ficken.
Sich von ihm ficken lassen.
Längere Sekunden des Nichts:
Kurz keine Gedanken,
Kurz keine Gerüche,
Kurz keine Gerüchte,
Kurz keine Schreie,
Kurz keine Drohungen,
Kurz keine Ökonomie,
Kurz keine Desinfektion.
Dann:
Aufgebäumt und ermattet.
Und:
Chefarztfickspiele als Flucht.
Wirklich auch keine Desinfektion?
Vielleicht ganz tief im Innern doch:
Seelendesinfektion.
(2007)
Die Suche
Man mag mich dünken unansehnlich
Auf ziellos lockend Wanderschaft
In Träumen jagend unaufhörlich
Schon mehrfach schlicht hinweggerafft
Laßt mich an euren Nerven zerren
Dem Fleische ganz verworfen sein
Mal kriegerisch mal untertänig
Wühlen tief in zuckend Gebein
Trunken voll tausenderlei Geistmixturen
Fusel tränkt hechelnd jeden Atemstoß
Gebt auch ein Zeichen aus Rauchkulturen
Und die Kraft wird durchdringend übergroß
Aber über all dem lustvollen Treiben
Verloren den Weg im träumenden Tun
Die Nebel beginnen rasch aufzusteigen
Verkleidet schnell lockend als Saft-Neptun
Meine Heimat ist stets das Hexenviertel
Doch die Orientierung fehlt mir plötzlich jetzt
Wo ist denn ein ledern Fährmannsgürtel
Der mich zurück heim fest dann übersetzt
Inmitten all der agilen Meinesgleichen
Auf schummrig Wassern gleiten dann
Im Hexenviertel morastig untertauchen
Verbrauchen in Lust den dürstend Mann
Und wer sich fürchtet vor Aufdringlichkeiten
Dem sei ein leidend Schicksal ganz gewiß
Ein Opfer wird ganz schnell laut geboren
Und vernichtet mit schnell tötend giftig Biß
Sei willkommen in unserem stillen Hexenviertel
Auch wenn wir es so meist nicht laut benennen
Wir spielen zeitlebens greifend mit dem Wirtel
Bis wir dann irgendwann einfach nicht mehr können
(Juni 2007)
Der weite Blick aus angemessener Höhe ...
gedanklich: er ge
von deiner seele umwoben
sanft an deine poren schmiegen
von widersprüchlichkeiten ausruhen
südlichen frühjahrsregen abschütteln
jenen salzigen kretischen Lippenbalsam
einfach wieder den berliner hauch spüren
schlicht zeit wiederfinden
falsche weichenstellungen vergessen
rufe
aller
hellen
echos
lebendig halten
gläser freudig klingen lassen
trunken von deinem atem
(August 2008)
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